Falsche Pilger:Wenn feuchte Augen lügen

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Mit diesem rührenden Pilgerbuch zugunsten der angeblich leukämiekranken Tochter haben die beiden Betrüger zahlreiche Pfarrämter genarrt. (Foto: Christian Endt)

Immer mehr Menschen klappern Pfarrämter in der Region ab, um mit raffinierten Tricks und erfundenen Geschichten an Geld zu kommen.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Der Mann mit dem Rosenkranz hat das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Tochter habe jetzt keine Haare mehr, Leukämie, sagt er und schluchzt. Er sagt, dass er 56 sei und seit einem Unfall nicht mehr arbeiten könne - um Geld zu sammeln, pilgere er von Pfarramt zu Pfarramt. Die Szene vor zehn Tagen auf dem Ebersberger Marktplatz wirkt täuschend echt und der Pole, der sich Miroslaw G. nennt, hat seine Glaubwürdigkeit dokumentiert. Mehr als 40 katholische und evangelische Pfarreien zwischen Schlesien und München haben in seinem Pilgerbuch mit Gruß, Stempel und Unterschrift bestätigt, dass sie für G.s Mission gespendet haben. "Für Tochter Christina", schrieb Ebersbergs Dekan Josef Riedl am 16. August in das Buch. "Gott segne die ganze Familie."

Allein aus Freising, Ebersberg und Erding hatten ein Dutzend Pfarreien den Pilgern Bargeld zwischen 30 und 70 Euro gespendet. Die rührende Geschichte musste einfach stimmen, wegen des Pilgerbuchs hatte auch die SZ keine Zweifel, als sie über G. und seinen Begleiter berichtete. Inmitten all der schlimmen Nachrichten der vergangenen Monate einmal eine herzerwärmende Meldung. Doch dann kam eine ganz andere Wahrheit ans Licht.

Wenige Tage später wurden die beiden Männer beim Klauen erwischt, G.'s Partner entkam, er selbst wurde von der Polizei festgenommen und verhört. G. verstrickte sich in Widersprüche und gestand schließlich, dass die ganze Geschichte erfunden war. Die Männer dürften zwar Bedürftige gewesen sein. Die Spenden von insgesamt 3000 Euro haben sie aber für alles Mögliche ausgegeben, nur nicht für ein leukämiekrankes Kind.

Die beiden sind nicht die ersten, die Pfarrämter in der Region abklappern und mit Trauermiene um Geld betteln. Und sie sind auch nicht die einzigen, die sich dafür ein Drama ausgedacht haben. Im Erzbistum München-Freising ist das Problem bekannt. Dort gehen immer wieder Meldungen ein, wenn Trickbetrüger die Pfarrämter in der Region aufsuchen. "Es kann gut sein, dass es in den vergangenen Jahr mehr geworden ist", sagt eine Sprecherin.

Selbst wer mit seiner Lügengeschichte verdächtig erscheint, ist meistens fein raus. Das ist der Unterschied zu Bettlern, die Leute auf der Straße ansprechen: Bei der Polizei gibt es zur Pfarramts-Masche so gut wie keine Daten. "So was kommt in der Regel nicht zur Anzeige", sagt Gerhard Freudenthaler, stellvertretender Dienststellenleiter in Ebersberg. Wer unglaubwürdig erscheint, bekommt zwar kein Geld. Die Polizei werde aber nicht gerufen. "Die örtlichen Pfarrer sind in einer Zwickmühle", sagt Freudenthaler. Sie sollen menschlich sein, riskieren aber, dass die Pfarrei betrogen wird.

Ein Buch mit Stempeln und Unterschriften ist da schon so etwas wie ein handfestes Beweisstück. Dachte sich auch Dekan Joseph Riedl. Der Ebersberger Stadtpfarrer begegnete G. am Dienstag vor zwei Wochen, als dieser nach dem Gottesdienst mit einem schweren Rucksack in die Sakristei kam, das Pilgerbuch vorlegte und mit feuchten Augen seine Geschichte erzählte. Das verkaufte Haus, die kleine Rente, die teuren Medikamente für die kranke Tochter. "Normalerweise vermeiden wir, dass wir Bargeld ausgeben", sagt Riedl. Er biete dann an, eine Rechnung zu übernehmen, auf Vorlage. Dann weiß man zumindest, wohin das Geld fließt.

Brigitte Schmitt ist Sekretärin im katholischen Pfarramt Anzing. Sie hat in den vergangenen acht Jahren eine abenteuerliche Entwicklung festgestellt: "Seit kurzem werden Kinder zu uns geschickt." Erst vor einer Woche sei der Anführer einer Kinderbande aggressiv geworden, als sie ihm erklärte, dass nur der Pfarrer Geld herausgeben dürfe. Ähnliches hat die Sekretärin der Markt Schwabener Pfarrei St. Margaret festgestellt. In letzter Zeit klopfe es immer häufiger an der Tür, sagt Maria Eichinger. Polen, Rumänen, aber auch Deutsche: "Es wird immer schwieriger zu erkennen, ob jemand die Wahrheit erzählt."

Wie kann man sich dagegen wehren? Das Ordinariat gibt keine Schulungen oder Fortbildungen, hat stattdessen ein Merkblatt verfasst, wonach Pfarrämter angehalten werden, auf eine schriftliche Bestätigung der Notlage, etwa eine Rentenbescheinigung oder Krankenhausrechnung, zu bestehen. Ansonsten empfehle es sich, Bettler ans nächste Caritas-Zentrum zu verweisen, wo die Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft würden. Kleinere Beträge um die 20 bis 30 Euro könne man jedoch auch weiterhin "unbürokratisch" herausgeben.

Genau darum geht es in den meisten Fällen: Um Notlagen, die oft echt wirken und auch echt sein könnten. Dann muss eine schnelle einfache Entscheidung her. So machte es auch Markt Schwabens Pfarrer Herbert Walter, er spendete den polnischen Pilgern 50 Euro. Zwei Wochen später erfuhren die Mitarbeiter des Pfarramts aus der Zeitung, dass die kranke Tochter gar nicht existiert.

Wem glaubt man also noch? Brigitte Schmitt aus Anzing hat eine Strategie entwickelt, die sie nicht als Anleitung in der Zeitung lesen möchte. Nur so viel: "Wer in Not ist, dem geht es nicht ums Geld, sondern darum, dass sich seine Situation verbessert." Als einmal eine ungarische Familie mit drei Kleinkindern ausgehungert und mit leerem Tank vor ihrer Pfarramtstür stand und der Vater nach Arbeit fragte, bestand für Schmitt kein Zweifel. Die Familie durfte sich im Pfarrheim waschen und übernachten - und erhielt für die Weiterfahrt am nächsten Tag einen Tankgutschein.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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