Flüchtlinge in Erding:"Wir fühlen uns willkommen"

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Familie Takruri in ihrer Unterkunft (Foto: Renate Schmidt)

Die Familie Takruri ist im Sommer aus Syrien nach Deutschland geflohen. Sie feiert in diesem Jahr in Erding ihr erstes deutsches Weihnachtsfest.

Von Sebastian Fischer, Erding

An Heiligabend wollen sie nach München fahren. Dort würden die hellen Lichter so schön weihnachtlich glänzen, dort stünden so schöne Weihnachtsbäume, sagt Ibrahim Takruri. Dann fühle sich seine Familie ein wenig an ihre Heimatstadt Sahnaya in Syrien erinnert, wo die Takruris mit ihren Freunden Weihnachten feierten und Hand in Hand zu Jingle Bells tanzten. Ibrahim, seine Frau Sabbah, Tochter Tala und die Söhne Josef und Wiam. "Dann kommt Baba Newel", der Weihnachtsmann, sagt Wiam, 12, und zwinkert seinem Vater zu.

Die Familie Takruri ist im Sommer aus Syrien nach Deutschland geflohen. Sie feiert in diesem Jahr in Erding ihr erstes deutsches Weihnachtsfest. Was dabei nicht ganz unwichtig ist: Die Familie Takruri ist muslimisch. "Wir leben zusammen", sagt Ibrahim, 35, und seine braunen Augen lächeln: "Deshalb feiern wir zusammen."

Leitkultur, dieser Begriff ist in der Debatte über die Integration von Flüchtlingen in Deutschland insbesondere in Bayern wieder zum Modewort geworden. Der Begriff wird anschaulich, wenn in diesen Tagen in den Straßen der Altstädte weihnachtliche Lichter glänzen: Die deutsche Leitkultur, dazu gehört scheinbar ein christliches Fest. Doch wenn in Reden auf so mancher Parteiveranstaltung oder Vereinsfeier von Leitkultur die Rede ist, dann steht im Subtext immer auch die Abgrenzung von anderen Kulturen, anderen Religionen und Bräuchen. Ob das der richtige Weg ist? Wer die Takruris besucht, der lernt etwas anderes: den Willen, aufeinander zuzugehen.

Die Familie hat keinen Weihnachtsbaum

Ibrahim sitzt an einem regnerischen Dezembertag in seinem spärlich eingerichteten Wohnzimmer im Erdinger Norden auf einem gepolsterten Holzstuhl. In der Ecke steht ein Kinderbett, das Bettzeug ist mit kleinen Marienkäfern bedruckt, eine Spende der Flüchtlingshelfer. Darüber hängt bunte Geburtstagsdekoration, Tala hat vor kurzem ihren achten Geburtstag gefeiert. Sie geht in Erding zur Grundschule, lernt dort schreiben und rechnen und jetzt natürlich die Weihnachtsgeschichte. Neulich hat sie ihren Vater gefragt, wo sie denn an Weihnachten die Geschenke hinlegen, denn sie hätten ja gar keinen Weihnachtsbaum. Wiam erzählt, er wünsche sich ein Handy, wie es seine Mitschüler haben und seine Freunde im Fußballverein. Ibrahim hat seinem Sohn gesagt, dass er das Handy bekommt, wenn er in der Schule gute Noten schreibt.

Sahnaya, wo die Takruris bis zum Sommer lebten, ist eine Kleinstadt südwestlich von Damaskus. Dort wohnen viele griechisch-orthodoxe Christen, dort war Weihnachten ein großes Fest, das bis zum nächsten Morgen dauerte, erzählt Ibrahim. Die Menschen haben sich mit dem Weihnachtsmann fotografiert, es gab eine Polonaise um den Weihnachtsbaum, er hat die Fotos noch auf seinem Handy. Natürlich würde sie Weihnachten von zu Hause kennen, sagen viele Syrer, wenn man sie in diesen Tagen auf den vielen Weihnachtsfeiern der Helferkreise im Landkreis danach fragt. Das sei immer ein fröhliches Fest gewesen. Syrien, sagen sie dann, sei ein Land vieler Kulturen gewesen, die in gegenseitigem Respekt zusammenlebten. Bis der Bürgerkrieg begann.

Takruri hat in Syrien eine Autowerkstatt geleitet. Er hat in den USA studiert und in Kanada gearbeitet. Zu Hause verdiente er gut, deshalb konnte er sich die Flucht leisten. Die Route führte die Familie über das Mittelmeer. Dort, sagt Takruri, habe er seinen besten Freund kennengelernt. Seine Augen füllen sich mit Tränen, als er davon erzählt. Er hatte Platzangst auf dem viel zu engen Boot, ihm war schwindelig, ihm war schlecht. Ein syrischer Mann habe ihn damals gehalten, stundenlang. Der Mann lebe nun mit seiner Familie in Wiesbaden. Sie telefonieren oft. Ach ja, sagt Takruri und breitet die Arme aus: "Er ist übrigens ein Christ."

Die Familie hat Verständnis, wenn Deutsche Sorgen haben

Takruris Frau Sabbah Hadeei - in Syrien behalten die Frauen ihren Geburtsnamen - sitzt neben ihrem Mann im Wohnzimmer. Sie trägt ihr Kopftuch locker um den Kopf gebunden. Die Familie ist religiös, trinkt keinen Alkohol, isst kein Schweinefleisch. Was aber nicht heißt, dass man sich mit den beiden nicht über den Erdinger Weißbräu und bayerischen Schweinsbraten unterhalten kann, wenn sie ihren Gast zu Falafel und Bulgur einladen. Ibrahim Takruri liest im Koran, doch er muss lachen, wenn er darüber spricht: "Ich kenne ihn nicht auswendig." Takruri ist tolerant. Er hat auch Verständnis dafür, wenn sich Deutsche sorgen, dass in diesem Jahr so viele Flüchtlinge gekommen sind: "Es ist ja euer Haus, ihr dürft entscheiden, wann es voll ist." Es macht ihn wütend, wenn sich Araber oder Nordafrikaner an den Grenzen als Syrer ausgeben, er habe das selbst gesehen, sagt er: "Sie haben ihre Gründe, klar. Aber wir haben keine andere Wahl."

Wofür Takruri kein Verständnis hat, sind irrationale Sorgen. Er versteht die Menschen nicht, die Angst haben oder gar auf die Straße gehen, weil sie glauben, dass Muslime wie Ibrahim das Abendland islamisieren. Als er im Sommer nach Erding kam, sollte er zunächst mit seiner Familie in einem Container leben. Es hat jemand ein Hakenkreuz darauf geschmiert. Die Takruris durften umziehen. Ibrahim lächelt: "Wir fühlen uns willkommen."

Die Familie mag Erding besonders jetzt, wo alles so schön leuchtet und süß duftet. Seit der Weihnachtsmarkt auf dem Schrannenplatz in der Erdinger Altstadt eröffnet hat, ist Takruris Tochter Tala jeden Tag hingegangen. Immer nach der Schule hat sie sich ein paar Schlittschuhe ausgeliehen und ist auf der Eisfläche ihre Runden gelaufen. Takruri hat zwei Videos auf seinem Handy gespeichert. Das erste vom ersten Tag, als Tala das erste Mal in ihrem Leben wacklig auf Schlittschuhen stand. Das zweite drei Wochen später: Tala, wie sie sicher ihre Runden dreht. Sie ist so stolz, dass ihr Vater das Video immer wieder abspielen soll.

Die Takruris sind in Deutschland angekommen. Ibrahim ist einer der unverzichtbaren Helfer im Warteraum Asyl, dem Kurzzeitlager für Flüchtlinge am Erdinger Fliegerhorst. Er ist fast jeden Tag dort, übersetzt für die Syrer in der Arztpraxis, sein Englisch ist ja sehr gut. Deshalb ist er auch in seiner Unterkunft, in der auf mehreren Etagen Flüchtlinge leben, mittlerweile der Ansprechpartner für alle möglichen Fragen. Und das Deutsche Rote Kreuz will ihn für seine Arbeit bezahlen, von Januar 2016 an darf Takruri in Deutschland sein eigenes Geld verdienen, dann ist sein Interview beim Bundesamt für Migration genau drei Monate her. Er hat Freunde, die er zu ihrem Asylantrag begleitet hat, die schon einen positiven Bescheid bekommen haben. Die Takruris warten noch.

Doch erst einmal freut sich Ibrahim, der Muslim aus Sahnaya, nun auf Weihnachten. Er hat noch etwas Geld gespart, für Geschenke. Die letzte Schularbeit von seinem Sohn Wiam war eine Eins. Vielleicht bringt Baba Newel ja wirklich ein Handy.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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