Erding:Wahlgroßeltern

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Rajmonda und Günter Warkalla sind seit zwei Jahren Leihgroßeltern. (Foto: N/A)

Rumsitzen in der Rente. Das kam für Rajmonda und Günter Warkalla nicht in Frage. Sie wollten Action, suchten sich Patenenkelkinder in Dorfen - und fanden eine zweite Familie.

Von Katrin Langhans

Es ist nicht so, dass Rajmonda Warkalla keine Ruhe mag. Aber nachdem sie jahrelang als Krankenschwester gearbeitet und ihren Mann nach einer Knie-Operation gesund gepflegt hatte, gab es Zuhause nicht mehr viel zu tun. Und es war oft so still im Haus. Rajmonda Warkalla saß nachmittags auf ihrem Sessel und hörte nur das Ticken der Uhren. Die große Massive, die kleine Goldene und die vielen Holzwanduhren, die ihr Mann Günter Warkalla sammelt. Aber Rajmonda, die alle Reni rufen, wollte nicht auf ihren Sessel sitzen und der Zeit lauschen, wie sie verrinnt. Die 62-Jährige wollte in ihrer Frührente noch etwas erleben. Aktiv sein. Warkalla wollte wieder Kinder im Haus. Wieder andere Stimmen hören außer ihrer eigenen und der von ihrem Mann Günter. Sie wollte Action. Und so kam es, dass die Warkallas im November 2012 beschlossen, Patengroßeltern zu werden.

Beinahe wäre das schief gegangen. Die Warkallas saßen beim Kennenlern-Treffen der Caritas Erding mit ein paar Familien und angehenden Patengroßeltern an einem langen Tisch. Jeder sollte sich kurz vorstellen und sagen, was er sich von dem Projekt erhoffe. Reni Warkalla erinnert sich noch genau an ihre Wut im Bauch, als eine Mutter sagte, sie suche jemanden, der auch mal die Wäsche wasche, Hemden bügele und Fenster putze. Nicht mit mir, dachte Reni Warkalla. Zum Glück war da noch Silvia John aus Argentinien.

"Wir suchen Großeltern zum Kuscheln", sagte sie. Reni Warkalla horchte auf. "Für mich war sofort klar, dass ich dieser Familie meine Zeit schenken möchte. So etwas habe ich gesucht", sagt Warkalla. Und als sich die Familien später am Abend besser kennen lernen konnten, setzen sich die Wakallas neben Silvia John. Die sagte, sie suche in Dorfen Großeltern für ihre Kinder, weil die leiblichen Großeltern aus Argentinien kämen und Kontakt fast nur per Skype möglich sei. Die drei unterhielten sich angeregt. Auch noch als alle anderen längst gegangen waren. Die Caritas hatte Listen vorbereitet, in die sich Familien und Großeltern eintragen konnten, um vermittelt zu werden.

Keiner der drei griff zum Stift, für sie war die Sache klar. Die Warkallas, Silvia John und ihr Mann Ruben Di Renzo trafen sich ein paar Tage später - erst mal ohne Kinder - um zu schauen, ob sie zu viert zusammenpassen. Die beiden Frauen unterhielten sich angeregt, gestikulierend und temperamentvoll, die beiden Männer waren eher still. "Daran hat sich bis heute nichts geändert", sagt Günter Warkalla und lacht. Kurz nach Weihnachten krabbelte dann Laila Di Renzo John über den Flur, gefolgt von ihrem großen Bruder Bruno, damals drei Jahre alt. Laila war forsch und furchtlos.

Bruno beäugte seine neuen Großeltern erst mal aus dem Augenwinkel. Am Abend saß aber auch er bei seiner neuen Oma Reni Warkalla auf dem Schoß. Und ein paar Tage später kam er mit dem Laufrad angefahren und klingelte bei den Warkallas. Die Familien wohnen nur etwa fünfzig Meter Luftlinie voneinander entfernt. Mittlerweile, sagt Reni Warkalla, seien sie zu einer Familie zusammengewachsen. "Ich fühle mich nicht als Patenoma, sondern als Oma", sagt sie. Feste Zeiten mit den Kindern gibt es nicht, die Warkallas laden die Kinder ein oder helfen aus, wenn die Eltern mal Zeit für sich brauchen.

Heute holt Reni Warkalla die Kinder vom Kindergarten ab. "Bruuunooo", ruft Warkalla und stapft in den Gemeinschaftsraum des Kindergartens. Bruno, der an einem Tisch sitzt und malt, schaut auf. Grinst und läuft mit Reni Warkalla zur Garderobe. "Na komm", sagt Warkalla und hilft ihm in die Jacke. Seit ein paar Monaten erst besucht Bruno den Kindergarten im Kinder- und Jugendhaus Dorfen. Die Entscheidung, dass er den Kindergarten noch mal wechselt, haben Mutter und Wahloma gemeinsam getroffen. Jetzt kann er sich im Außenbereich auspowern. "Es ist mir wichtig, die Kinder zu fördern", sagt Reni Warkalla. Sie hat Bruno auch für einen Schwimmkurs im Sommer angemeldet und wird ihn hinfahren und abholen.

Bruno klettert ins Auto auf seinen Kindersitz. Zusammen holen sie Laila von der Krippe ab und fahren nach Hause. Günter Warkalla öffnet die Tür. Die Kinder stürmen sofort in den Flur. Laila sucht ihre pinken Glitzer-Schläppchen. Bruno zieht ein Malbuch aus der Spielzeugkiste, die vor der Glasvitrine im Flur steht. An der Wand hängen Fotos von den Kindern, und die Treppen sind mit weißen Gittern abgesichert. Bruno läuft mit dem Malbuch in der Hand ins Wohnzimmer und setzt sich an den Tisch neben Opa Günter. Laila malt neben Oma Reni. "Bei Günter können sich die Kinder nach dem Kindergarten entspannen, und bei mir ist Action", sagt Reni Warkalla "Wollen wir mit Bauklötzen bauen?", fragt sie und schaut die Kinder an. "Ja", rufen Bruno und Laila.

Bruno kippt die bunten Holzklötze aus der Box auf dem Tisch aus und schraubt ein Motorrad zusammen. Laila baut einen Turm. Jedes Mal, wenn sie einen neuen Klotz aufsetzt kräuselt sie die Stirn und grinst Reni Warkalla an. Die zieht Grimassen und fragt: "Wirklich noch ein Stein?" Laila nickt und lacht. Dann kracht der Turm in sich zusammen. "Noch mal", ruft Laila mit ihrem Schnuller im Mund. Chupete, sagt man zu dem Plastiknuckel auf Spanisch. Das war eines der ersten Wörter, die Reni und Günter Warkalla von den Kindern gelernt haben. Eigentlich soll Laila ihren Schnuller nicht mehr so oft benutzen. "Aber bei der Oma darf man auch mal was", sagt Reni Warkalla.

Zum Beispiel auch Waffeln essen. Die Mama koche nicht so gerne süß, sagt Warkalla. Sie schon: "Wollen wir Waffeln backen?" Die Kinder rühren sich nicht, sind ganz vertieft darin, mit Opa Günter Klötze zu stapeln. Erst als der Duft von frischem Waffelteig von der Küche ins Wohnzimmer zieht, kommen sie nachgelaufen und wollen auch einen Löffel Teig in das Waffeleisen schöpfen. Reni Warkalla deckt den Tisch. Es klingelt. "Mama", ruft Bruno und rennt mit Oma Reni zur Tür. Silvia John und Reni Warkalla fallen sich in die Arme. Nachdem sich alle begrüßt haben, essen sie Waffeln mit selbst gemachter Himbeersoße. Sie sprechen über den Tag, und Ruben Di Renzo vereinbart mit Günter Warkalla einen Termin, um den neuen Sandkasten im Garten der Warkallas zu bauen.

"Wir sind froh, die beiden zu haben", sagt Silvia John. Dank der Wahlgroßeltern hätten sie, beide berufstätig, öfters Zeit für sich. Und wenn es Reni und Günter Warkalla mal schlecht geht, so wie vor ein paar Wochen, als sie mit Fieber im Bett lagen, schaut Silvia John vorbei, erkundigt sich, wie es den beiden geht, besorgt Medikamente und füllt den Kühlschrank mit Quark, Milch und Brot. Auch Ostern, den ersten Weihnachtstag und Silvester verbringen die vier zusammen. "Ich möchte die Kinder nicht mehr missen", sagt Reni Warkalla. Das bisschen Geschirr, das bisschen Arbeit nimmt sie gerne auf sich, um am Abend erschöpft in den Sessel im Wohnzimmer zu fallen und dem Ticken der Uhren zu lauschen und an den schönen Tag zurück zu denken. Zeit bekommt eine andere Bedeutung, wenn man sie teilt.

Link zur Audioslideshow, wo Leihoma Reni von ihrem Tag mit den Kindern erzählt: http://youtu.be/cMWGMEpMcvo

Die Caritas Erding sucht noch Patengroßeltern für den Landkreis. Den 13 aktiven Paten stehen 60 interessierte Eltern gegenüber, oft müssen sie bis zu zwei Jahre lang warten, bis sie Leihgroßeltern bekommen. Wer Lust hat mitzumachen erreicht Brigitte Fischer unter der Nummer 08122/ 955 94 20.

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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