Erding:Verstrickt im Massengeschäft

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Jung und belastbar: Die neuen Richter Björn Schindler, Julia Raichle und Ramona Wolfe mit Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps (von links). (Foto: Renate schmidt)

Der Flughafen beschert dem notorisch stark belasteten Amtsgericht Erding stetig mehr Arbeit. "Und es ist kein Ende in Sicht", sagt Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps. Immerhin gibt es jetzt frische Kräfte

Von Florian Tempel, Erding

Ein Malaysier hat nach einem Flug von Kuala Lumpur nach München stundenlang am Flughafen im Erdinger Moos auf den verspäteten Anschlussflug in die litauische Hauptstadt Vilnius warten müssen. Was macht er? Der Malaysier verklagt die litauische Fluggesellschaft am Amtsgericht Erding. Solche Schadensersatzklagen von ausländischen Fluggästen sind keineswegs kuriose Ausnahmen, sondern gehören zunehmend zum Tagesgeschäft für Erdinger Richterinnen und Richter. Der Flughafen beschert dem notorisch stark belasteten Gericht aber auch auf andere Weise stetig mehr Arbeit, sagt Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps - "und es ist kein Ende in Sicht."

Immerhin hat das Gericht junge Richter für die viele Arbeit bekommen. Julia Raichle und Björn Schindler sind zwar Nachbesetzungen, Ramona Wolfe hat jedoch eine ganz neu geschaffene Stelle übernommen. Alle drei haben seit ihrem Dienstantritt schon mitbekommen, dass der Großflughafen München ein nicht versiegender Quell für Gerichtsverfahren ist.

Raichle und Wolfe haben als Zivilrichterinnen erfahren, dass Klagen gegen Fluggesellschaften am Amtsgericht Erding ein Massengeschäft sind. Die sogenannten Reisevertragssachen machen bereits mehr als 60 Prozent aller Zivilverfahren aus. Es geht immer wieder um dasselbe: Verspätete oder gestrichene Flüge und verloren gegangenes Gepäck. Eine neue Tendenz ist jedoch, dass immer mehr Klagen aus dem Ausland kommen. Die betroffenen Fluggäste haben die Wahl: Sie können eine Fluggesellschaft an ihrem Unternehmenssitz verklagen. Der Malaysier hätte also auch in Litauen vor Gericht ziehen können. Aber eben auch in Erding, weil er in München für mehrere Stunden hängen blieb. Dass diese Möglichkeit von vielen vorgezogen wird, liegt nach Kaps' Einschätzung "am guten Ruf" des Amtsgerichts. Die Anwälte wissen, dass die Fälle hier schnell und verlässlich abgehandelt werden. Denn in Erding sind ja Spezialisten am Werk, die jeden Tag mit solchen Sachen zu tun haben.

Gerade die Klagen gegen ausländische Airlines machen besonders viel Arbeit, sagt Kaps. Die Akten und die Ladungen zu den Gerichtsterminen müssen erst einmal an Übersetzerbüros geschickt werden, bevor sie unter Einhaltung des offiziellen Dienstweges über das Landgericht Landshut ordnungsgemäß im Ausland zugestellt werden können. Weil das vor allem für die Geschäftsstellen-Mitarbeiter des Gericht so viel Arbeit ist, hat Kaps nun anderweitig für Entlastung gesorgt: Der Publikumsverkehr wird auf die Vormittage beschränkt. Termine am Nachmittag gibt es nur noch nach Vereinbarung.

Doch auch deutsche Fluggesellschaften bescheren dem Erdinger Gericht Mehrarbeit. Seit die Lufthansa-Tochter City Line ihren Unternehmenssitz von Köln an den Münchner Flughafen verlegt hat, kann jede Klage gegen diese Fluggesellschaft grundsätzlich in Erding eingereicht werden. Wo ein Flug von City Line verspätet war oder auf welcher Strecke eine Koffer verloren ging, ist egal. Auch in diesem Fall wissen Anwälte in ganz Deutschland: Erding ist als spezialisiertes Gericht der richtige Ort für so eine Klage.

Richterin Raichle hat auch mit ganz anders gelagerten Fällen vom Flughafen zu tun. Als Ermittlungsrichterin ist sie zunehmend für Abschiebehaftbefehle zuständig. Meistens sei es so, berichtete sie: Ein in Deutschland abgelehnter Asylbewerber taucht unter, wird aber einige Zeit später im Ausland aufgegriffen und von den dortigen Behörden in ein Flugzeug nach München gesetzt. Gleich nach der Landung wird er von der Bundespolizei in Erding bei Richterin Raichle vorgeführt. Dazu kommen Fälle von Asylverfahren, bei denen die Betroffene den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen dürfen. Diese Verfahren müssen eigentlich binnen 30 Tagen abgeschlossen sein. Immer öfter reicht ein Monat aber nicht. Und dann kommen wieder die Erdinger Richter ins Spiel, müssen sich den Einzelfall anschauen und über eine Verlängerung der Zeit im Transitbereich entscheiden.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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