Erding:Schlaflos am Rätschenbach

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Eine Familie hat wegen des Kneipenlärms Schallschutzfenster einbauen lassen - richtig durchatmen kann sie nur, wenn es regnet

Von Mathias Weber, Erding

Das muss man sich vorstellen: Seit 400 Jahren wohnt die Familie von Helga Selmaier in ihrem Haus in der Erdinger Altstadt, in der Gasse Am Rätschenbach, nicht weit vom Schönen Turm entfernt. Hier also leben die Selmaiers seit Jahrhunderten, und man darf davon ausgehen, dass all die Vorfahren meistens einen recht guten Schlaf genossen haben, außer vielleicht, es herrschte mal wieder Krieg.

Krieg herrscht derzeit zum Glück keiner, gut schlafen kann Helga Selmaier aber trotzdem nicht. Sie, ihre Familie und einige ihrer Nachbarn leben mit dem Dilemma, das es in vielen schönen und beliebten Innen- und Altstädten gibt: Viel los, aber auch viel Lärm. So viel Lärm, wie sie kürzlich dem Erdinger Oberbürgermeister Max Gotz bei einer Parteiveranstaltung persönlich sagte, dass sie kaum mehr zur Ruhe findet.

Schlimm ist es geworden, seitdem an der Landshuter Straße das "Kennedy's" eröffnet hat - tagsüber ein Café, abends eine Mischung aus Kneipe und Bar. Dass der Laden überhaupt aufmachen konnte, damit wollte man eigentlich gar nicht mehr rechnen: Ein Dreivierteljahr hat es gedauert, bis alles seine Richtigkeit hatte, und der ehemalige Gewerbeladen von der Stadt neu als Gastronomie genehmigt wurde. Genehmigt wurde auch eine Freischankfläche auf dem Bürgersteig.

Mit dem Ausschankschluss auf der Freifläche um elf Uhr abends ist der Radau für die Selmaiers aber nicht vorbei. Die Leute würden sich trotzdem noch Am Rätschenbach aufhalten, der auch noch eine Verbindung zum Heigl's in der Maurermeistergasse herstellt - noch so eine Kneipe, aus der man vielleicht mal ein bisschen angetrunken raustorkelt und sich vor den Häusern in der Gasse noch eine Zigarette ansteckt.

"Ich war auch mal jung", sagt Helga Selmaier, und dass die Innenstadt natürlich attraktiv bleiben solle. Aber gerade jetzt im Sommer sei es schlimm: Zwar hat die Familie Schallschutzfenster eingebaut, aber bei der großen Hitze würde man eben gerne mal das Fenster aufmachen. "Wenn es nur einmal wäre, würde man ja nichts sagen", so Selmaier, aber es höre nicht auf, gerade am verlängerten Wochenende: Donnerstagnacht, Freitagnacht, Samstagnacht, und am Sonntagmorgen stehen dann sogar Lastwagen in der Einfahrt zur Gasse, die Getränke anliefern - eigentlich ist das verboten.

Und was sagt die Stadt zum Thema Lärm? OB Gotz versprach auf der Parteiveranstaltung, dass das Ordnungsamt genauer hinschauen und öfter kontrollieren werde. Aber ob das was bringt? Im vergangenen Jahr hat die Stadt sieben Ordnungswidrigkeiten bei Gaststätten festgestellt - keine einzige war wegen zu hoher Lärmbelastung oder weil die Sperrzeiten nicht eingehalten wurden; die sieben Lokale hatten tatsächlich keine gaststättenrechtliche Erlaubnis, hätten also gar nicht aufmachen dürfen. Gotz sieht die Verantwortung auch bei ganz anderen Stellen als bei der Stadtverwaltung: Die Vermieter sollten Verantwortung übernehmen und sich gut überlegen, wen sie in ihre Häuser lassen. Aber auf dem Erdinger Mietmarkt bestimmt der Preis: Georg Sellmeier von VID-Immobilien sagt, dass man für Gastronomie grundsätzlich mehr Miete für den Quadratmeter verlangen könne als für ein Ladengeschäft.

34 Lokale haben Helga Selmaier und ihre Nachbarn in der Innenstadt gezählt. Dazu kommen die Feste, die das Jahr über stattfinden, das Altstadtfest, die Eiszeit, der Christkindlmarkt. Kürzlich, so erzählt es Selmaier, kam sie gar nicht aus dem Rätschenbach raus, weil plötzlich der Triathlon stattfand. Vielleicht gibt es für ihr Lärmproblem nur eine Lösung: "Ich bin ganz froh, wenn es regnet", sagt sie. "Dann kann ich endlich auch die Fenster aufmachen."

© SZ vom 11.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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