Krähen über Erding:Ruhe bitte!

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Die Erdinger Saatkrähen haben sich zu einer echten Lärmbelastung entwickelt. Doch Fachleute warnen: Die Verbreitung des geschützten Vogels ist nur dann zu steuern, wenn man ihn nicht stört

Von Antonia Steiger, Erding

Ein Singvogel avanciert in Erding zum Stadtgespräch. Nicht dank seiner überragenden Sangeskünste, die jedermann als unterdurchschnittlich einstuft, sondern im Gegenteil wegen des unmelodischen Geschreis, mit dem der Nachwuchs der Saatkrähen um Futter bettelt. Hunderte junge Saatkrähen verharrten bis Anfang Juni in ihren Nestern hoch über Erding und breiteten einen Klangteppich über der Stadt aus, der Anwohner nicht schlafen lässt, Bürgern die Zornesröte ins Gesicht treibt und die Politik ratlos macht. Doch das Schlimmste ist bereits überstanden: Der Nachwuchs wird flügge und geht auf eigene Faust in der Umgebung auf Futtersuche. Nicht einmal nachts übernachten die Saatkrähen dann noch in ihren Nestern, sagt Mathias Luy vom Landesbund für Vogelschutz. Es wird ruhiger in Erding. Vorübergehend.

So laut wie noch nie

So laut wie in diesem Jahr waren die Saatkrähen in Erding noch nie, das ist die Auffassung fast aller Erdinger. Widersprechen will ihnen da niemand, kein Vogelschützer und kein Regierungsbeamter. Offizielle Zählungen nach Beendigung der Vergrämungsmaßnahmen bestätigen diese Vermutungen. In den Bäumen hängen so viel Nester wie noch nie: 649 Stück. In jedem Nest wird ein Brutpaar vermutet, das dort seinen Nachwuchs aufzieht. Seit der Zählung sind jedoch viele Wochen vergangen, die Bäume sind dicht belaubt. Und man darf davon ausgehen, dass etliche Krähen, deren Nester die Bauhofmitarbeitern zerstörten, ohne Umschweife damit begonnen haben, irgendwo eine neue Behausung zu errichten. Wie viele Nester es tatsächlich sind, kann daher jetzt keiner sagen. Der Trend ist jedoch eindeutig: Im Jahr 2015 zählte man 512 Nester und ein Jahr später 649 Nester. Vor zehn Jahren waren es gut sechzig, sagte OB Max Gotz (CSU) im Stadtrat.

Wie die Lärmbelastung durch das Krähengeschrei einzudämmen ist - was Bürger immer deutlicher von der Politik fordern -, bleibt vorläufig unklar. Immer wieder gegen die Krähen vorzugehen, sie zu verjagen und ihre Nester zu zerstören, das sei auf jeden Fall der falsche Weg, sagt Mathias Luy.

Sie lieben einen guten Überblick.

Die Saatkrähen leben in Kolonien, weil sie ihnen den größtmöglichen Schutz bieten. Sie mögen es, wenn sie einen guten Überblick haben, deswegen leben sie so gerne am Rande des Erdinger Stadtparks und nicht mittendrin. Der Park biete aber nicht unendlich vielen Krähen einen guten Lebensraum, erklärt Luy. Die Population im Park werde daher nicht unendlich weiter wachsen. Werden die Krähen jedoch verjagt, weichen sie aus, suchen sich einen neuen Standort, bilden eine neue Kolonie - und vermehren sich in einer größeren Geschwindigkeit, als wenn sie sich alle miteinander den Stadtpark als Lebensraum teilen müssten. Für Luy ist daher klar, dass es das Beste wäre, man ließe die Saatkrähen im Stadtpark in Ruhe.

Krähen aus Wohngebieten zu entfernen, diese Maßnahme unterstützen auch die Vogelschützer, wie Luy betont. Und diese Maßnahme hatte in Erding auch Erfolg: Statt elf Splitterkolonien im Jahr 2015 gibt es in diesem Jahr nur noch sechs, auch das ist ein Ergebnis der vergangenen Nesterzählung im Frühjahr, wie Stadtpressesprechern Christian Wanninger mitteilt. Die größte Splitterkolonie ist mit 73 Nestern die am Herzoggraben, die nach Auffassung von Mathias Luy schon so einen gesicherten Status hat, dass man auch diese Kolonie nicht antasten sollte - zum Besten der Erdinger, die andernfalls damit rechnen müssten, dass sich die Krähen noch stärker in ganz Erding ausbreiten würden.

Dass diese Splitterkolonie so groß werden durfte, liegt laut Wanninger an der Lage: Die Mitarbeiter des Bauhofs konnten mit ihren Maschinen die Nester in den Wipfeln der an einer Böschung stehenden Bäume nicht erreichen. Irgendwann, sagte Wanninger, sei das auch eine Frage des Aufwands und der Kosten. Einen Baumkletterer für diese Tätigkeit einen hohen Stundenlohn zu zahlen, dazu konnte sich die Stadt nicht durchringen, zudem einige schmale Eschen auch für einen Baumkletterer nicht zu erklimmen sind. "Zudem beschädigen wir fortlaufend unseren schönen Baumbestand", hatte Gotz auch im Stadtrat gesagt.

Werden Forderungen der Erdinger Bürger nach einer Vertreibung der Krähen laut, verweist die Stadt Erding gerne auf die Regierung von Oberbayern, die sämtliche Maßnahmen wie auch die Vergrämung aus Splitterkolonien erlauben muss. Auch jetzt sagte Gotz, als er vom Umweltreferenten Thomas Schreder (CSU) auf die zunehmenden Klagen der Erdinger angesprochen wurde, er werde noch einmal in der Behörde vorsprechen, denn Tierschutz könne nicht vor Menschenschutz gehen.

Die Hauptkolonie darf nicht beeinträchtigt werden.

Er wird aller Voraussicht nach auf mitfühlende Menschen treffen, denn auch in dieser Behörde hat man Verständnis für die vom Lärm geplanten Erdinger. "Die Lärmbelastung durch die Krähen in Erding ist Beobachtungen zufolge leider sehr hoch", teilte man kürzlich auf Nachfrage mit. Aber auch die Fachleute der Regierung von Oberbayern warnen vor brutalen Maßnahmen und lassen mitteilen, "dass die Hauptkolonie im Stadtpark nicht beeinträchtigt" werden dürfe, insbesondere auch nicht bei den nächsten Schritten der Parksanierung, die die Stadt Erding für das kommende Jahr plant.

Das ist eine sehr interessante Vorgabe für die Landschaftsplaner, zumal der nächste Sanierungsabschnitt exakt das Areal mit den von den Saatkrähen bevorzugten Bäume am Parkrand in Altenerding umschließt. Bisher vorliegende Entwürfe für den nächsten Sanierungsabschnitt sehen vor, dass der Hang am Tiergehege Richtung Bahngleise zum Beispiel als Rodelhügel genutzt werden soll. Es werden wohl noch Gespräche geführt werden müssen, doch die Warnung der Regierung von Oberbayern vor einer Störung der Krähenkolonie im Park sind unmissverständlich. "Andernfalls wäre wieder eine Zunahme der Splitterkolonien im Stadtgebiet Erding zu erwarten." Und das sieht Luy ebenso. Nur wenn man die Krähenkolonie in Ruhe lasse, sei die Verbreitung in der Stadt Erding steuerbar.

Zurück in den Stadtpark!

Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit: Beim ersten Abschnitt der Parksanierung hatte die Stadtpolitik auch die Krähen im Visier und hoffte, dass sich die Vögel, die bereits zu einem Ärgernis für die Anwohner avanciert waren, aus dem Areal zurückziehen. Einige Krähen taten den Planern diesen Gefallen, sie besiedelten aber anschließend das Stadtgebiet auf so unkoordinierte Art und Weise, dass es schon wenig später hieß, es wäre wohl doch besser, wenn man die Krähen wieder in den Stadtpark zurückscheucht. So begannen die Versuche, die Splitterkolonien wieder aufzulösen.

Es wird daher wohl das Beste sein, wenn die Erdinger den Saatkrähen mit Toleranz und Interesse begegnen. Glaubt man Mathias Luy, der auch Vorsitzender des Oberbayern-Verbandes des Landesbundes von Vogelschutz ist, wäre das auch gar nicht so schwierig. Schulklassen sind ihm zufolge hellauf begeistert, wenn sie zu Saatkrähenkolonien geführt werden und die Kinder das rege Treiben und die ausgefeilte Kommunikation der Vögel untereinander erleben dürfen. "Es ist ja auch ein Naturspektakel", sagt Luy.

Den Erhebungen zufolge hat sich die Saatkrähe bayernweit auch wieder prima erholt. Zwar sei der Zustand von vor hundert Jahren nicht wieder erreicht, sagt Luy. Doch nach dem Tiefstand von 1955, als es bayernweit nur noch 600 Brutpaare gab, sollen es jetzt schon wieder weit mehr als 9000 Brutpaare sein. Es ist ihm zufolge aber gar nicht der Status einer bedrohten Tierart, weswegen auf Saatkrähen keine Jagd gemacht werden dürfe. Es ist ihr Status als Singvogel. "In Europa wird ganz allgemein keine Jagd auf Singvögel gemacht", sagt Luy.

Dass die Saatkrähen einen solchen Zorn auf sich ziehen, liegt Luy zufolge aber auch in Unkenntnis begründet. Auch im Stadtrat sagte Gotz, Bürger an der Niedermühle hätten ihm berichtet, dass die Saatkrähen nun auch schon Menschen angegriffen hätten. Luy hält das für unmöglich, es gibt ihm zufolge keinen einzigen Beleg dafür, dass Saatkrähen auf Menschen losgingen. Er vermutet daher, dass die Saatkrähe mit der Rabenkrähe verwechselt wird. Um ihre Jungvögel zu schützen, seien die Rabenkrähen dazu imstande, auf Hunden, Katzen und in seltenen Fällen auf Menschen loszugehen.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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