Erding:Höchste Disziplin und hartes Training

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Im Sport gibt es Regeln. "Bei der Selbstverteidigung ist das anders", sagt Andreas Frühwirth (rechts). (Foto: oh)

Andreas Frühwirth besteht als erster Erdinger die zweite Lehrerprüfung im Wing Tsun

Von Andreas Junkmann, Erding

Der Sportunterricht ist gerade zu Ende, als es zu dem Vorfall kommt. Ein stämmiger und bekanntermaßen leicht reizbarer Junge baut sich vor seinem Mitschüler auf und schlägt diesen ohne ersichtlichen Grund zu Boden. Alles geht ganz schnell. Warum der Schüler zugeschlagen hat, weiß niemand so genau - am allerwenigsten das Opfer selbst. "Diese Szene habe ich bis heute nicht vergessen", sagt Andreas Frühwirth viele Jahre später. Er war es, der damals den Schlag seines Mitschülers einstecken musste. So etwas würde Frühwirth heute nicht mehr passieren, denn der inzwischen 48-Jährige hat als Erster im Landkreis Erding die zweite Lehrerprüfung im Wing Tsun bestanden - einer aus China stammenden Kampfkunst der praxisorientierten Selbstverteidigung.

In der Prüfung, die aus einem technischen und einem kämpferischen Teil besteht, werden verschiedene Kampfsituationen durchgespielt. Die sogenannten Drills reichen dabei vom Anwenden von Verteidigungsstrategien bis hin zum richtigen Verhalten bei einer Messerattacke. Um überhaupt erst zur zweiten Lehrerprüfung antreten zu dürfen, muss der Kandidat bereits alle zwölf Schülerprüfungen und die erste Lehrerprüfung abgelegt haben. Der zweite Lehrergrad ist vom Niveau her mit einem schwarzen Gürtel oder Dan zu vergleichen, allerdings unterscheidet sich Wing Tsun an sich deutlich von den klassischen Kampfsportarten. "Wing Tsun ist kein Kampfsport. Im Sport gibt es immer Regeln, an die man sich halten muss. Bei der Selbstverteidigung ist das anders", erklärt Frühwirth. Auf der Straße müsse man schließlich auch auf jede Situation vorbereitet sein.

Nachdem sich Andreas Frühwirth zunächst an Taekwondo versucht hatte, betreibt er seit nunmehr neun Jahren Wing Tsun - seine "Berufung" wie er selbst sagt. Für die zweite Lehrerprüfung hat er sich entsprechend intensiv vorbereitet. Ein halbes Jahr höchste Disziplin und hartes Training liegen hinter ihm. "Mich zeichnet vor allem die Regelmäßigkeit im Training aus", sagt der Erdinger. Disziplin kennt Frühwirth ohnehin bestens aus seinem Beruf. Er ist Lehrer am Anne-Frank-Gymnasium in Erding. Den Schülern muss angesichts des Hobbys ihres Lehrers allerdings nicht angst und bange werden. "Ich komme nicht in die Klasse und sage: Aufpassen, sonst kracht es." Im Gegenteil. Der Lehrer möchte sein Wissen über Selbstverteidigung sogar an seine Schüler weitergeben und hat schon einen entsprechenden Kurs an der Schule abgehalten. Demnächst werden auch die anderen Lehrkräfte in die Geheimnisse der Kampfkunst eingeführt. Frühwirth plant, auch seinen Kollegen die praxisorientierte Selbstverteidigung nahe zu bringen.

Dass das Thema Selbstverteidigung spätestens seit den Vorfällen in der Silvesternacht von Köln, deutlich an Präsenz gewonnen hat, kann Andreas Frühwirth aus eigener Erfahrung berichten. Neben seiner Lehrertätigkeit am Gymnasium, gibt er seit drei Jahren auch Selbstverteidigungskurse für Frauen an der Erdinger Volkshochschule. Eigentlich finden die Kurse zwei Mal im Jahr statt, aber wegen der großen Nachfrage hat die VHS das Angebot erweitert. Heuer gab es neben den normalen Kursen bereits zwei zusätzliche Termine - alle restlos ausgebucht. "Der Unterschied zwischen vor und nach Silvester ist unglaublich", stellt Frühwirth fest. Einige seiner Schülerinnen seien selbst schon einmal in einer gefährlichen Situation gewesen und haben sich deshalb für den Kurs entschieden. "Ich finde es schlimm, dass Frauen den Männern körperlich eigentlich immer unterlegen sind. Zu wisse, wie man sich selbst verteidigt, ist eine Möglichkeit, dieses Defizit etwas auszugleichen", sagt Frühwirth. Zudem werde dadurch das Selbstbewusstsein enorm gestärkt. Doch auch wenn das Training ein Gefühl von Sicherheit verleihe, dürfe man, sagt Frühwirth, nie den Fehler machen und sich selbst überschätzen. "Auch der größte Meister kann nicht jeden Angriff abwehren."

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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