Erding:Gerichtsverfahren haben Konjunktur

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Das Leitungsteam des Amtsgerichts: Direktorin Ingrid Kaps (rechts), ihre Stellvertreterin Gabriele Reichert und Stefan Priller. (Foto: Renate Schmidt)

Die Jahresbilanz des Amtsgerichts weist erneut eine Steigerung der bearbeiteten Verfahren aus. Die Hälfte aller Zivilstreitigkeiten sind Schadensersatzklagen wegen verspäteter oder ausgefallener Flüge

Von Florian Tempel, Erding

Wäre Ingrid Kaps die Chefin eines Wirtschaftsunternehmens, könnte sie bei der Präsentation der Jahresbilanz 2014 voller Freude über ein dickes Umsatzplus berichten und stolz auf ein seit Jahren stetiges Wachstum verweisen. Als Direktorin des Amtsgerichts kann sie das nicht. Die Zahl der Verfahren, die sie und ihre 13 Richterkolleginnen und Kollegen im vergangenen Jahr bearbeiten mussten, ist schon wieder deutlich gestiegen. Deshalb lag aber die Arbeitsbelastung am Erdinger Gericht - trotz neuer Richterstellen - 15 Prozent über dem Durchschnitt eines bayerischen Amtsgerichts. Eigentlich, so Kaps, bräuchte man drei weitere Richter, um der Flut der Verfahren Herr zu werden. Dem unterbesetzten Amtsgericht gelinge es jedoch trotzdem, die Fälle erheblich schneller abzuarbeiten als ein durchschnittliches bayerisches Gericht. Besonders stolz ist Kaps, dass es kaum überlange Verfahren gebe.

Für die Zunahme der Verfahren waren auch 2014 vor allem die sogenannten Reisevertragsklagen verantwortlich. Dabei geht es an dem für den Münchner Flughafen zuständigen Amtsgericht fast immer um dasselbe: Flüge waren verspätet oder fielen aus, wodurch die Passagiere Anspruch auf eine Entschädigung bekamen. Die Höhe der von den Fluggesellschaften zu leistenden Zahlungen ist zwar genau festgelegt. Dennoch wird darüber zunehmend vor Gericht gestritten. In den vergangenen vier Jahren hat sich die Zahl derartiger Verfahren mehr als verdoppelt. Mittlerweile machen sie 58 Prozent aller in Erding behandelten Zivilsachen aus. Bei den Straf- und Familiensachen, Betreuungen, Nachlass- und Grundbuchangelegenheiten blieb die Zahl der Verfahren hingegen relativ konstant.

Die in allen Bereichen vergleichsweise schnellen Bearbeitungszeiten "heißt aber nicht, dass wir in Erding die Sachen raushauen", sagte Kaps. Dass die Qualität der Entscheidungen gut sei, zeige der geringe "Rücklauf", die wenigen Beanstandungen von Urteilen durch Gerichte der nächst höheren Instanz. Ein Strafverfahren dauert am Amtsgericht im Schnitt nur zweieinhalb Monate, ein Zivilverfahren wird in dreieinhalb Monaten erledigt und Familiensachen sind nach viereinhalb Monaten zum Abschluss gebracht.

Anfang Oktober steht für das Amtsgericht eine außergewöhnliche Veränderung an. Die komplette Grundbuchabteilung wird aus dem Gerichtsgebäude aus- und im Neubau der Stadtwerke Erding als Untermieter einziehen. Zwölf Mitarbeiter werden dann räumlich getrennt vom übrigen Gerichtspersonal arbeiten. "Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren", sagte Richter Stefan Priller, der den Umzug organisiert. Das Grundbuchamt auszulagern sei keine triviale Aufgabe. Denn neben dem Personal müssen auch 70 000 Grundbuchakten umziehen. Die Grundbücher werden in der neuen Registratur im Keller des Stadtwerke-Neubaus untergebracht. "Das wird eine Herausforderung", sagte Priller, mit hohem Anspruch an höchste Genauigkeit. Denn es wäre ein Riesenproblem, wenn sich nach dem Einsortieren der ein oder andere Band nicht mehr finden ließe. Die Akten des Grundbuchamtes stammen zum Teil aus dem 19. Jahrhundert. Es sind sehr große und mehrere Kilo schwere Folianten, in Schweinsleder gebundene Bände mit handbeschriebenen Seiten. Die alten Akten seien aber keineswegs Museumsstücke, so Priller. Man brauche sie sogar ziemlich oft, um in ihnen zum Beispiel alte Wegerechte und Dienstbarkeiten nachzuschlagen.

Sobald das Grundbuchamt umgezogen ist, wird man im Amtsgericht damit beginnen, den freigewordenen Platz neu zu konzipieren. Ein Ziel ist der Bau eines vierten Sitzungssaals, für den längst dringender Bedarf bestehe, sagte Kaps.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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