Rollstuhlgruppe:Es darf ruhig mal krachen

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"Wir betreiben keinen Leistungssport, aber wir sind auch nicht harmlos", sagt Ursula Frey. (Foto: Renate Schmidt)

Jeden Donnerstag trainiert die Sportgruppe der Lebenshilfe Erding in der Turnhalle der Herzog-Tassilo-Realschule. Das Team besteht aus acht Leuten - und könnte eine Verstärkung gut gebrauchen

Von Regina Bluhme, Erding

Matthias Zerndl ist ein großer Fan des FC Bayern. Er verpasst kaum ein Spiel im Stadion und schützt sogar seine Reifenfelgen mit dem Vereinsabzeichen. Wenn er beim Basketballspielen richtig los düst, dann sind von dem Bayern-Logo nur noch rot-weiße Kreise zu erkennen. Der junge Rollstuhlfahrer ist ein begeisterter Sportler. Jeden Donnerstag trainiert er in der Rollstuhlsportgruppe der Lebenshilfe Erding. Mit Übungsleiter René Feetz wird Gymnastik gemacht, ehrgeizig um jeden Ball gekämpft und viel gelacht. Das Team besteht aus acht Leuten und könnte eine Verstärkung gut gebrauchen.

Es ist kurz vor vier Uhr und in der Turnhalle der Herzog-Tassilo-Realschule warten die ersten vier Rollstuhlfahrer bereits darauf, dass es losgeht. Neben Matthias Zerndl sitzt Bianca Born. Wie ihr Felgenschutz verrät, ist sie eindeutig ein Fan vom Erzrivalen 1860 München. "Das macht nichts. Wir kommen klar", sagt die junge Frau. Matthias Zerndl nickt. Helmut Hartmann kommt hereinspaziert, schiebt seinen Rollstuhl zu den anderen und nimmt Platz. Lange habe er seine Frau, die im Rollstuhl saß, zu der Gruppe begleitet, berichtet er. Nach ihrem Tod ist er der Gruppe treu geblieben.

Es wird noch etwas geratscht und gelacht, dann geht es los. Auch Trainer René nimmt in einem Rollstuhl Platz. Der ausgebildete Physiotherapeut betreut die Gruppe seit 1999. Die Teilnehmer beginnen mit Schulter- und Armkreisen. Aufwärmgymnastik. "Arme nach oben und Hände nach hinten", "Ellbogen zur Seite", "Schultern nach oben". Der Übungsleiter korrigiert und lobt. Die verschiedenen Übungen sollen die Sehnen im arg strapazierten Arm- und Schulterbereich dehnen. Dann wird jeder Finger einzeln durchgeknetet, "es darf ruhig mal krachen", sagt er zu den Teilnehmern. Sie lachen. Überhaupt wird viel gescherzt. "Ich höre hier viel schwarzen Humor" berichtet Feetz. Die Rollstuhlfahrer ließen sich nicht unterkriegen, "sie machen das Beste aus ihrem Leben".

Ursula Frey ist seit vielen Jahren dabei. Jeden Donnerstag fährt sie von ihrem Wohnort Forstinning nach Erding zum Training. "Wir betreiben keinen Leistungssport, aber wir sind auch nicht harmlos", sagt sie. Mancher Spieler reagiert durchaus sauer, wenn es mit dem Korbwerfen nicht so klappt. Die Körbe befinden sich in regulärer Höhe. Je nach Grad der körperlichen Einschränkung zählt aber auch, wenn die untere Korbhälfte berührt wird. Nach spätestens drei Zügen müssen die Spieler den Ball in ihrem Schoß wieder abgeben - wenn der Ball nicht schon vorher vom Gegner weggeschlagen worden ist. "Da wird schon gekämpft", kommentiert Feetz. "Und manchmal fällt bei besonders gewagten Manövern schon auch mal ein Fahrer aus dem Rollstuhl." Oder der gegnerische Rollstuhl wird einfach festgehalten. Ein böses Foul.

Die Mannschaft besteht aus drei Frauen und fünf Männern im Alter von 28 bis 67 Jahren. Gegründet wurde die Rollstuhlsportgruppe von Heidi Bauer, der inzwischen verstorbenen Ehefrau von Alt-Landrat Xaver Bauer. Von Anfang an sei die Gruppe durch die Lebenshilfe Erding unterstützt worden. Auch heute noch kümmere sich die Lebenshilfe um Übungsraum und Übungsleiter, berichtet Ursula Frey. "Dafür sind wir sehr dankbar." Im Laufe der Zeit ist die Gruppe allerdings ziemlich geschrumpft. "Wir waren schon mal 20", berichtet René Feetz. "Über neue Mitspieler würden wir uns sehr freuen."

Wer beim Rollstuhlsport mitmachen möchte, kann beim Training in der kleinen Turnhalle der Herzog-Tassilo-Realschule vorbeischauen: Es findet immer donnerstags von 16 bis 18 Uhr statt. Weitere Informationen gibt es bei Ursula Frey, Telefon: 08121-40729.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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