Erding:Empathie für Lebensmittel

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Ein Wochenende lang geht es in der Erdinger Innenstadt um fair produzierte und fair gehandelte Produkte. Mit spielerischen Aktionen wie der "Soko Schokolade", einer Ausstellung im Frauenkircherl - und viel leckerem Essen beim "Immersatt Streetfood Market"

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

Mit wippenden Bewegungen schneidet sich die scharfe Klinge der Machete Millimeter um Millimeter in die harte Schale der Kakaoschote. Ein leises Knacken ertönt. Die zwei Handteller große Frucht öffnet sich. Leicht bernsteinfarbenen Samen kommen zum Vorschein, das Fruchtfleisch ähnelt dem einer Litschi. So sieht er aus, der Rohstoff, aus dem Schokolade wird. Die neunjährige Anahita Rost sowie die Brüder Christoph und Paul Ismair, zehn und acht Jahre alt, sind überrascht. Denn Geruch und Geschmack sind von der süßen Versuchung, wie man sie kennt und liebt, noch weit entfernt. Sie erinnern eher an getrocknete Früchte.

Die Kinder haben bei der "Soko Schoko" im Erdinger Frauenkircherl mitgemacht. Die Aktion war Teil des Programms, mit dem die Stadt Erding am Wochenende auf den fairen Handel hingewiesen hat. Schon Freitagmittag klappten die Stände des "Immersatt Streetfood-Market" ihre Läden hoch und lockten mit abwechslungsreichem Essen, mitunter Musik auf der Bühne und garantiert entspannter Atmosphäre auf den Schrannenplatz. Am Sonntag hatten zudem die Geschäfte in der Altstadt geöffnet - zum ersten und vielleicht einzigen Mal in diesem Jahr. Viele nutzten die Gelegenheit und verbanden das Mittagessen unter blauem Himmel mit einem Bummel durch die Läden.

Christoph, Paul und Anahita haben ihre eigene Schokolade kreiert. (Foto: Falk Heller)

Zurück ins Frauenkircherl. Carina Bischke und Astrid Amler-Enders vom Verein Bildungsarbeit Global Sozial (Bags) klären die Kinder über die Herkunft des Kakaos auf, geben verschiedene Sorten herum. Aus einem Döschen mit fermentierten und gerösteten Kakaosplittern steigt einem das bekannte, zartbittere Aroma in die Nase. Nach einer Dreiviertelstunde geht es ans Eingemachte: Anahita, Christoph und Paul dürfen ihre eigene Schokolade herstellen. Es ist fast so wie Kuchen backen, nur ohne Ofen. Wiegen, mahlen und immer kräftig rühren, damit die dunkelbraune Rohmasse aus verschiedenen Kakaobestandteilen, Puderzucker und Agavensaft schön zähflüssig wird. Es sieht ein bisschen wie Pudding aus. Der erste Versuch geht an diesem Sonntag schief. Die Klumpen in der Masse wollen partout nicht verschwinden. Macht nichts. Eine halbe Stunde später gelingt es dann doch. Und wie schmeckt das Ganze? "Ganz anders und viel besser als die Tafeln aus dem Supermarkt", sagt Paul. Die Kinder sind nach zwei Stunden von der Aktion hellauf begeistert. Spannend, cool und überraschen sei es gewesen. Auch die Veranstalter sind zufrieden. "Wir wollen, dass die Kinder Empathie für das Lebensmittel entwickeln", sagt Amler-Enders. "Das ist uns wohl gelungen." Zwei weitere Male werden sie die Aktion an diesem Tag anbieten.

Das Frauenkircherl ist traditionell ein Ort für Ausstellungen. An den Wänden hängen am Sonntag 84 Entwürfe zum Thema "Plastik vermeiden". Siebt- bis Neuntklässler vom Anne-Frank-Gymnasium (AFG) haben sie mit Unterstützung der Kunstlehrerin Heike Bildhauer-Lehmann gezeichnet. Die Ideen reichen von einer Welle aus Plastikmüll, die auf eine Erdkugel zuschwappt, über den Spruch "Dengt's grea" bis hin zur Darstellung von Plastik als Krankheit, unter der die Welt leidet. Besucher und eine Jury stimmen über die besten Motive ab. Sie sollen, von einem professionellen Designer überarbeitet, auf T-Shirts gedruckt und verkauft werden.

Nach dem Essen für einige Momente ausspannen - das geht gut in den großen Hängematten, die in der Innenstadt aufgestellt sind. (Foto: Falk Heller)

Pünktlich zur Mittagszeit setzt sich die Sonne gegen den morgendlichen Nieselregen durch. Innerhalb kürzester Zeit füllen sich die Plätze auf den Bierbänken, am Brunnen und in den Hängematten am Schrannenplatz. Musik dudelt angenehm leise aus den Boxen. Die Menschen bahnen sich, leicht gedrängt, ihren Weg von Stand zu Stand. Ob vegan, vegetarisch oder fleischreich, süß oder sauer - früher oder später hat jeder irgendwas zu Essen in der Hand. Das Angebot ist vielfältig. Teigtaschen, Burger, Döner, Curry, Crêpes, Chips, Sushi und Quinoa-Salat - bei allem stehen viele Variationen zur Auswahl, die frisch zubereitet werden. Die Schriftzüge an den Ständen und auf den Karten sind mit Anglizismen gespickt: Aus dem Schweinsbraten in der Semmel wird ein "Pulled Pork Sandwich", der Grill ist ein "BBQ" und die asiatische Teigtasche heißt "Blunch". Und ach ja, überall wird "Streetfood" verkauft. Dem Geschmack tut das jedoch keinen Abbruch.

Gegenüber dem geschäftigen Treiben am Schrannenplatz wirkt der Kleine Platz wie eine ruhige Oase, an dem der soziale Aspekt die kulinarischen Freuden überwiegt. Zwischen dem knallpinken Donut-Stand und der Theke mit Eistee hat der Weltladen seinen Glückshafen aufgebaut. Ältere Frauen verkaufen engagiert Lose für eine Tombola mit fair gehandelten Produkten. Wer will, kann mit fair produzierten Bällen sein Glück beim Torwandschießen versuchen. Sechs Schüsse, bei mehr als zwei Treffern nimmt man an einer Verlosung teil. OB Max Gotz zieht die Gewinner.

Nicht nur die Gerichte, auch die Torwand am Kleinen Platz ist fair gehandelt. Sie kommt aus Landshut. (Foto: Falk Heller)

Auch wenn die Sonne am späten Nachmittag wieder dichten Regenwolken weichen musste, die Erdinger haben - nicht nur am Sonntag - den Markt gut angenommen und die Innenstadt mit Leben erfüllt.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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