Erding:Ein Provokateur - immerfort

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Die Tochter schimpft über den Vater, die Ärzte warnen vor einem Aufschub. Rudolf L. Reiter aber verschiebt die Herzklappen-Operation. Der Mann hat dafür keine Zeit. Der Erdinger Künstler wird 70 - und gleich vier Ausstellungen sollen sich seinem Lebenswerk widmen.

Von Mathias Weber

Die OP hat er abgesagt, nur einen Tag davor. "Da waren die Ärzte in Bogenhausen nicht so begeistert", sagt Rudolf L. Reiter und mag sich ein Grinsen nicht verkneifen. Obwohl sein körperlicher Zustand alles andere als zum Lachen ist: Zwei Herzklappen müssen ihm ausgewechselt werden, er leidet immer wieder unter Vorhofflimmern. "Ich habe ehrlich Angst", sagt der Künstler beim Besuch der SZ in seinem Atelier in der Erdinger Altstadt. Und auch wenn die Tochter natürlich schimpft über den Vater, die Ärzte vor einem Aufschub warnen: Reiter verschiebt die OP, später ins Jahr. Er sagt, er sei konservativ: Bei dem, was er dieses Jahr vor hat, will er nicht unter den Nachwehen einer schweren OP leiden, bei der ihm der Brustkorb geöffnet werden muss. Reiter weiß: Eigentlich ist das verrückt.

Der Erdinger Maler und Bildhauer, der mit kugelrundem Bauch und weißem Rauschebart immer ein wenig an den Weihnachtsmann erinnert, wird im Juni 70 Jahre alt. Gleich vier Ausstellungen soll es zum Geburtstag des bekannten Künstlers geben - zwei in Erding, jeweils eine in Hessen und eine in Berlin. Sie brauchen seine gesamte Konzentration, die Vorbereitung nimmt derzeit Reiters Zeit in Anspruch. Zum Malen kommt er da kaum noch, auch, weil er einfach älter wird und alles langsamer geht. Vielleicht ein Bild im Monat schafft er, vielleicht mal zwei, vielleicht auch mal keines. Eines aber will er speziell für eine Ausstellung im Frauenkircherl anfertigen, ein Monster von einem Bild: drei Meter lang, einen hoch.

Dass es gleich so viele Ausstellungen sind, die sich mit dem Werk Reiters beschäftigen, freut ihn sehr. Los geht es Anfang Juni in Bad Homburg. Warum genau dort? "Hessen war für mich schon immer wichtiger als Bayern", sagt er. "Wenn ich dort gelebt und gewirkt hätte, wäre ich schon dreimal Professor geworden, und das ohne Parteibuch" sagt Reiter im vollen Ernst und freut sich über den verdutzten Reporter und die kleine Spitze gegen seine Heimat. Das Provozieren mag sich Reiter auch mit knapp 70 nicht nehmen lassen.

Bad Homburg also: Viele Menschen, die sich Reiters Kunst leisten können, lebten in Hessen, in der Nähe von Frankfurt, glaubt Reiter. Banker und so. Weil man ihn dort kennt und schätzt, hat sich das Kunstzentrum der Stadt bei ihm gemeldet. Und so wird es nun eine Retrospektive dort geben, von den frühen Arbeiten über seine romantischen Naturbilder bis zu den neuesten informellen Werken. Nur einen Tag nach der Vernissage in Bad Homburg reist Reiter weiter nach Berlin. In der Galerie am Gendarmenmarkt wird eine für Reiter recht außergewöhnliche Schau unter dem Titel "Deja vu" gezeigt: Porträts hängen dort in Berlin Mitte, es geht um Reiters altes Thema "Wiedergeburt". Die von Reiter porträtierte Schauspielerin Christine Neubauer etwa bekommt ein Bild von Notre Dame beigehängt: Weil Neubauer glaubt, sie war in ihrem früheren Leben die Esmeralda aus dem "Glöckner von Notre Dame". "Gesichter meines Lebens" nennt Reiter die Menschen, die er porträtiert hat. In Berlin werden viele Menschen hängen, die Reiter persönlich kennen gelernt hat, und manche, bei denen das schwieriger war - von Heiner Lauterbach über den Richard Wagner (dessen traurigen Lohengrin er gern mal beim Malen hört) und Joseph Beuys, mit dem er lange zusammen gearbeitet hat. Keine Verkaufsausstellungen sollen es werden, reine Schauen, das ist Reiter wichtig. Zwei soll es dann noch in Erding geben: "Die Stadt gibt sich die Ehre", sagt Reiter über die Retrospektive, die im Frauenkircherl gezeigt werden wird. Begleitend dazu soll es Lesungen und Performances geben. Eine letzte Ausstellung schließlich soll der Landkreis ausrichten, fertig geplant ist das Projekt aber noch nicht. Reiter will in einer Mühle ausstellen, was an seine erste Ausstellung in Erding erinnern soll, die im Jahr 1973 in der Pointer Mühle statt fand. Damals hatte Reiter Erdinger Künstler zu einem Bunten Kreis versammelt, die Malerei, Grafik und Plastiken ausstellten. Er selbst will dafür noch Werke malen, auch für ihn ganz außergewöhnliche. Zum Beispiel ein Bild von Venedig im Herbst, auch auf einer Riesen-Leinwand: Ungewohnt für ihn, der früher nur Naturbilder gemalt hat. Aber vielleicht wird man so im Alter. Reiter sagt, er fährt immer im Herbst nach Venedig, wenn es so richtig schön morbide ist. Wie in seinem Lieblingsfilm, "Wenn die Gondeln Trauer tragen". Aber das war's dann auch mit Stadtansichten, "einen Schönen Turm wird's beim Reiter nicht geben", sagt der Reiter.

© SZ vom 05.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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