Erding:Den Unternehmen gehen die Azubis aus

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Das Nachwuchsproblem zieht sich quer durch alle Branchen. Erdings IHK-Vorsitzender Otto Heinz fordert ein "gesellschaftliches Umdenken und die Abkehr vom vorherrschenden Akademisierungswahn."

Von Florian Tempel, Erding

Die Meldung der Industrie- und Handelskammer (IHK) München und Oberbayern klingt bedrohlich: "Den Betrieben im Landkreis gehen die Azubis aus." Laut der aktuellen Ausbildungsstatistik haben die 220 IHK-zugehörigen Betriebe im Landkreis Erding, die etwa die Hälfte aller Ausbildungsplätze stellen, im vergangenen Jahr 340 jungen Leuten einen Ausbildungsplatz gegeben, was acht Prozent weniger sind als noch 2013. Der Rückgang falle damit deutlich höher aus als im oberbayerischen Durchschnitt. Denn im gesamten Regierungsbezirk ist die Zahl der 2014 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge lediglich um ein Prozent gesunken. Das Handwerk vermeldet zwar noch keinen Rückgang der Ausbildungszahlen. Kreishandwerksmeister Rudolf Waxenberger klagt jedoch, dass es nur noch mit großen Anstrengungen klappe, die Ausbildungsstellen zu besetzen.

Bei den Ausbildungstagen in der Erdinger Berufsschule haben im Oktober mehr als 30 Firmen für eine Ausbildung in ihren Betrieben geworben. (Foto: Renate Schmidt)

"Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen ist ungebrochen", sagt Otto Heinz, Vorsitzender des IHK-Gremiums Erding-Freising, "doch es gehen ihnen schlichtweg die Azubis aus". Eine Riesenproblem sei das, weil die Betriebe in Industrie, Handel und Dienstleistung für ihre Zukunft dringend Fachkräfte bräuchten und unbedingt eigenen Nachwuchs ausbilden müssten. Das Dilemma, dass Betriebe Azubis suchen, aber nicht finden, spiegele sich auch in der aktuellen Online-Umfrage der IHK München unter 900 Unternehmen zum Thema Ausbildung wider: Danach planten zwölf Prozent der Betriebe, weniger Stellen anzubieten. Ein Viertel der Firmen begründete die Reduzierung des Lehrstellenangebots für 2015 mit dem Mangel an Bewerbern. "Das Problem geht quer durch alle Branchen", sagt Heinz. Besonders groß sei es jedoch in den kaufmännischen Berufen, vor allem der Einzelhandel, wo im vergangenen Jahr 24 Prozent weniger Azubis angestellt worden sind. Mit minus 23 Prozent ist der Rückgang bei den Azubis in Gastronomie und Hotellerie im Landkreis fast ebenso groß. Auch in den gewerblich-technischen Berufen sind die Ausbildungszahlen mit zuletzt minus sechs Prozent deutlich rückläufig.

Rudolf Waxenberger ist der Ansicht, dass Flüchtlinge die Lücken bei vielen Firmen schließen könnten. (Foto: Bauersachs)

Heinz fordert ein "gesellschaftliches Umdenken und die Abkehr vom vorherrschenden Akademisierungswahn". Eine Ausbildung müsse wieder als attraktive und echte Alternative zum Studium wahrgenommen werden. Noch immer würden die Karrierechancen nach der betrieblichen Ausbildung und die Fortbildungsmöglichkeiten unterschätzt. Das sieht auch der stellvertretender Kreishandwerksmeister Georg Lippacher so. Viele Jugendliche zögen eine möglichst lange schulische Laufbahn einer Ausbildung vor. Seiner Ansicht sei der Besuch der Fachoberschule für viele "nur aufgeschobene Zeit". Lippacher hat jüngst ein Beispiel erlebt: Ein 24-Jähriger kam zu ihm in seinen Zimmereibetrieb, um bei ihm eine Ausbildung zu machen. Der junge Mann hatte bereits mehrere Semester an einer Fachhochschule studiert, bevor ihm klar wurde, dass er lieber reales Handwerk erlernen wollte.

Der Mangel an Auszubildenden im Landkreis lässt sich an eigentlich sehr positiven Zahlen ablesen: Die Arbeitsagentur hatte nach Beginn des laufenden Ausbildungsjahres im Herbst 2014 nur noch 50 unversorgte Bewerber im Landkreis Erding - und die Jugendarbeitslosigkeit lag im Jahresdurchschnitt bei nur 1,7 Prozent.

Im Nachbarlandkreis Freising, in dem die Situation kaum anders ist, hatte die Kreishandwerkerschaft vor wenigen Wochen 50 junge Flüchtlinge zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. "Wir möchten Ihnen dabei helfen, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen", sagte Martin Reiter, Obermeister der Bauinnung Freising-Erding, "und dazu gehört Arbeit". Auch Waxenberger und Lippacher sind der Ansicht, dass Flüchtlinge die Lücken bei vielen Firmen schließen könnten. "Ich kann das nur begrüßen, wenn das gefördert wird", sagt Waxenberger, "wir im Handwerk nehmen sie gerne auf". Viele junge Flüchtlinge seien offensichtlich "sehr ehrgeizig und zielstrebig", sagt Lippacher. Die intensiven Deutschkurse, die in diesen Tagen an der Volkshochschule beginnen, seien "eine Supersache". Denn solide Deutschkenntnisse seien die entscheidende Voraussetzung.

© SZ vom 03.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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