Erding:"Das klingt schon nach Pest"

Die Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft ist umstritten. Schon jetzt gelten für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln strenge Richtlinien. Diese sollen verschärft werden, doch die Kontrolle lässt zu wünschen übrig

Von Alexandra Vettori, Erding

Jetzt sind sie wieder unterwegs auf den Feldern: Traktoren mit ausladenden Spritzdüsengestängen und dicken Plastiktanks mit der Giftmischung. Von Spaziergängern und Radfahrern gefürchtet, von Naturschützern kritisiert - aber nötig, so halten die Landwirte entgegen, um die Erträge zu garantieren. Frühjahrsbehandlung heißt das. Ziel: Eindämmung von Wildkräutern - oder Unkraut, je nach Sichtweise. Meist ist es ein Breitbandherbizid, das auf die aufkeimende Saat gespritzt wird, bei Bedarf gefolgt von einem auf den Standort abgestimmten Spritzmittel. Was kaum jemand weiß: Das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln ist in Deutschland nur sachkundigen Personen erlaubt. Im Herbst wird die Regelung verschärft.

"Wer keine Berechtigungskarte hat, bekommt Ende November im Fachhandel keine Pflanzenschutzmittel mehr", erklärt Gerhard Stock, Kreisobmann des bayerischen Bauernverbands (BBV), die Neuerung. Stock hat 20 Jahre als hauptberuflicher Landwirt gearbeitet. Ihn stört, wie die Öffentlichkeit das Spritzen von Pestiziden verteufelt - "ein schreckliches Wort, klingt schon nach Pest". Er gibt zu bedenken: "Ohne Pflanzenschutzmittel hätten wir deutlich weniger Nahrung." Dass nicht mehr versprüht werde als nötig, liege schon am Preis der Chemikalien: "Das ist ja das Geld der Bauern", betont Stock.

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Jetzt im Frühjahr kommen auf den Feldern Breitbandherbizide gegen Wildkräuter zum Einsatz. Verwendet werden dürfen sie nur von geschulten Personen.

(Foto: Renate Schmidt)

Schon jetzt muss, wer den Traktor mit Spritzmittel-Anhänger lenkt, sachkundig sein, also eine landwirtschaftliche Ausbildung vorweisen. Von Ende November an ist auch für "Alt-Sachkundige" eine vierstündige Fortbildung vorgeschrieben, um die neue Spritzmittel-Berechtigungs-Karte zu erhalten. 1700 Personen wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren rund um Freising und Erding geschult, künftig ist alle drei Jahre eine Fortbildung fällig.

Pflanzenschutz ist kompliziert. Auf der Homepage der Landesanstalt für Landwirtschaft stehen Dutzende von Spritzmitteln, Herbizide wie Fungizide, aufgelistet nach Ackerfrucht, Pflanzenkrankheit, bewertet nach Wirksamkeit, die wiederum abhängig von Temperatur, Feuchtigkeit und Sonnenstrahlung ist. Dazu müssen Auflagen beachtet werden, an Gewässern etwa oder in Hanglagen. Wie Anton Mitterer vom Amt für Landwirtschaft in Erding betont, werden diese Auflagen auch kontrolliert. Zuständig auch für die Kreise Erding und Freising ist das Amt für Landwirtschaft in Deggendorf. Dort ist allerdings zu erfahren, dass die "Inflagranti-Kontrollen" auf den Feldern im gesamten Zuständigkeitsbereich mit seinen 120 000 Betrieben ein einziger Mitarbeiter durchführt.

Dass Pflanzenschutzmittel sich negativ auf die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren auswirken und in angrenzenden Gewässern landen, ist bekannt und wird im Hinblick auf die Ernteerträge in Kauf genommen. Dabei gibt es Bemühungen, die Schäden zu mildern. So werden die Landwirte in den Schulungen ermahnt, Abstände zu Gewässern und Feldgehölze zu berücksichtigen, Kontrollen gibt es aber kaum. Dafür sollen finanzielle Anreize zu Blühstreifen an den Feldrändern motivieren, auf denen nicht gespritzt wird. "Durchaus gut gefördert" wird das laut BBV-Kreisobmann Stock im Kulturlandschaftsprogramm, die Stilllegungsprämien seien mit 320 Euro pro Hektar jedoch überschaubar.

Ein mühsames Geschäft

Es ist möglich, Ackerbau ohne Pflanzenschutzmittel zu betreiben, doch es ist ein mühsames Geschäft, das Fingerspitzengefühl und Handarbeit erfordert. Biobauer Ralf Huber aus Oberallershausen (Landkreis Freising) tut es dennoch. Er baut auf 180 Hektar Weizen, Roggen, Gerste, Ackerbohnen, Erbsen, Hafer und Mais an, nach ökologischen Richtlinien, ohne Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. Und: Er ist stellvertretender Kreisobmann beim Freisinger Bauernverband. Im Schnitt erntet Huber 30 bis 40 Prozent weniger als konventionell arbeitende Kollegen. Es kann aber bis zum Totalausfall gehen, wenn zu viele Schädlinge im Feld sind. Dafür, dass der Biobauer Mehrarbeit und Risiko in Kauf nimmt, erhält er höhere Preise für seine Produkte. Auch wenn, fügt Huber an, "auch in der Biolandwirtschaft die Profite bei anderen hängen bleiben".

Weil die chemische Keule verboten ist, müssen Bio-Ackerbauern viele Faktoren berücksichtigen, das beginnt bei der Mischkalkulation und dem Anbau einer vielfältigen Produktpalette. Eine große Rolle spielt die Fruchtfolge, mit Kleegras und Leguminosen im Wechsel mit Getreide oder Mais, weil erstere dem Boden auf natürliche Weise den Stickstoff zuführen, den die Ertragspflanze verbraucht. Feldfrucht und Bodenbeschaffenheit müssen abgestimmt sein. Gegen Unkraut fährt der Bauer mit dem Striegel durch die Felder, einer großen Egge, die unerwünschten Bewuchs ausreißt. "Das haut relativ gut hin", sagt Huber, auch wenn der Erfolg nicht so hundertprozentig sei, wie mit Spritzmitteln. Bei Reihenkulturen wird mit einem Hackgerät gefahren, und, wenn es hart wird, lässt der Biobauer die Muskeln spielen und arbeitet mit der Handhacke. av

"Die Gesellschaft fordert von der Landwirtschaft Umweltleistungen", sagt Stock, "aber sie vergisst, dass das eine freiwillige Leistung ist, die nicht honoriert wird". Ohne Spritzmittel fielen die Ernten geringer aus, oft sei auch die Pflanzengesundheit schlechter, durch Pilze oder andere Schädlinge. Wie viele Pestizide versprüht werden, weiß keiner genau. Alle Zahlen basieren auf den Absatzmengen der Industrieverbände. Bundesweit geht man von jährlich 40 000 Tonnen aus, der Umsatz beläuft sich auf 1,3 Milliarden Euro.

Auch der Wirkstoff Glyphosat, der im Verdacht steht, Missbildungen bei Föten hervorzurufen, wird in Deutschland nicht nur in Form von Spritzmitteln aus dem Baumarkt für Hobbygartler eingesetzt. Zur Behandlung von Mulchsaat kommt Glyphosat auch in der Landwirtschaft zum Einsatz. Auf Mulchflächen, die über den Winter zum Schutz vor Erosion auf den Feldern bleiben, wachsen besonders viele Unkräuter, die Mulchsaat selbst wird nicht geerntet, weshalb der Einsatz des Totalherbizids, das alle Pflanzen abtötet, möglich ist. In den USA wird es auf weiten Flächen ausgebracht, dank gentechnisch veränderten Saatguts. Im Landkreis schätzt Anton Mitterer die Fläche auf 1000 Hektar.

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