Erding:"Daran arbeite ich bis zu meinem letzten Atemzug"

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Janusz Marszalek, langjähriger Oberbürgermeister von Oświęcim, hat einige Zeit in Wartenberg gewohnt. (Foto: Renate Schmidt)

Die schwere Last Auschwitz: Janusz Marszalek will aus der Stadt Oświęcim eine die Stadt des Friedens machen

Interview von Wolfgang Schmidt

Zum Tross von Krakaus Kardinal Stanislaw Dziwisz in Wartenberg gehörte auch Janusz Marszalek, der von 2002 bis 2011 Oberbürgermeister von Oświęcim war. Unter dem Namen Auschwitz steht die Stadt für eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Und Janusz Marszalek steht dafür, dass es in Polen statt riesiger Verwahranstalten für Waisenkinder jetzt Kinderdörfer gibt.

SZ: Ist das richtig, dass Sie früher einmal selbst in Wartenberg gewohnt haben?

Janusz Marszalek: Ende Mai 1987 war ich zum ersten Mal hier bei der Familie Festl. Ich habe damals Deutsch gelernt. Nicht in der Schule, sondern in der Familie.

Angeblich wollten Sie Steuerberater werden.

Ich habe das studiert in Krakau, wollte aber während der kommunistischen Zeit aus Polen auswandern. Dass ich andere Wege gegangen bin, lag maßgeblich an einem Gespräch mit Christina Festl. Sie sagte mir, hätte sie nicht geheiratet, wäre sie eine SOS-Kinderdorf-Mutter geworden. Ich habe gefragt, was ein SOS-Kinderdorf überhaupt sei - und bekam die Idee nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe davon dann Bernd Gössner, einem Geschäftsmann und Vorstand der Kolpingsfamilie im oberpfälzischen Auerbach, erzählt. "Dann müssen wir anfangen", hat er gesagt.

Und dann sind Sie Politiker geworden?

Das war ein Zufall. 2002 war in Polen die erste Direktwahl der Bürgermeister nach dem Krieg. Drei Tage vor der Anmeldefrist sind einige Bürger zu mir gekommen und wollten, dass ich kandidiere. Es geht nicht, habe ich gesagt. Ich bin in keiner Partei. Als Antwort bekam ich zu hören, umso besser. Wir brauchen keine Partei. Drei Tage haben die mich bearbeitet, dann haben sie mich angemeldet. Bei der Stichwahl habe ich 61 Prozent bekommen. Die Kommunisten haben mir damals versprochen, dass ich nicht länger als drei Monate aushalten werde. Ich war 103 Monate im Dienst.

Sie wurden Oberbürgermeister einer Stadt, die für Polen wie für Deutsche eine ganz besondere Rolle spielt.

Und für die ganze Welt.

Das ist eine besondere Verantwortung und doch auch eine besondere Last?

Die Stadt hat große Probleme durch die Belastung vom Zweiten Weltkrieg. Hitler hat uns eine schwere Last hinterlassen. Diese Opfer kann man nicht vergessen. Das ist der größte Friedhof der Welt ohne Gräber und zu einem besonderen Symbol für alle geworden. Als Beispiel wie wichtig diese Stadt ist: Gleich nach der Wahl hat mich der polnische Innenminister angerufen und gratuliert. Es sei nicht normal, dass er jedem Bürgermeister gratuliere, aber Sie wissen wahrscheinlich nicht, was das für eine schwere Aufgabe für Sie werden wird.

Sie waren sich der besonderen Bedeutung aber schon bewusst?

So ganz nicht. Ich sollte mich gleich nach dem Anruf mit dem israelischen Botschafter treffen. Es war ein angenehmes Gespräch. Aber es gab meinerseits eine klare Aussage. Ich mache nur bei Projekten mit, die für gemeinsame Lösungen für die Zukunft stehen. Man darf das Leben nicht kaputt machen wegen der Geschichte.

Sie haben in einem früheren Interview eine klare Trennung vorgenommen zwischen dem heutigen Oświęcim und dem früheren Auschwitz.

Das ist wichtig, weil die ganze Welt sagt, nie wieder Auschwitz. Als Gast in Deutschland, sollte ich mich oft in das Goldene Buch der jeweiligen Stadt eintragen. Mit der Aufschrift Janusz Marszalek, Stadtpräsident von Auschwitz, konnte ich mich nicht einverstanden erklären. Auschwitz steht für Tod und Vertreibung. Ich bin für das Leben. Jetzt heißt die Stadt Oświęcim. Das soll die Stadt des Friedens sein.

Darum kämpfen Sie gerade.

Daran arbeite ich bis zu meinem letzten Atemzug.

Es gibt deshalb auch Anfeindungen gegen Sie im eigenen Land.

Das ist normal. Die, die keine Feinde haben, haben sich die Freunde nicht verdient.

Sie laden die Wartenberger Jugend jetzt in diese Kinderdörfer ein. Was können sie erleben, was sie können sie lernen?

In der Gegend von Krakau kann man viel erleben. Krakau selbst mit seinen Kirchen, dem historischen Museum, seinem jüdischen Viertel. Unter dem Marktplatz von Krakau ist die Geschichte von Europa innerhalb von zwei Stunden erfahrbar. Man kann zum Geburtsort von Karol Woityla fahren, man kann Zakopane einplanen oder eine Fahrt nach Tschenstochau. Man kann Musik mit den Roma und Sinti organisieren. Und man kann im Kinderdorf sehen, was aus der als verrückt angesehenen Idee geworden ist. Die Weltjugendtage sind vom 26. bis 31. Juli 2016. Fünf Tage oder zehn Tage Aufenthalt. Das ist alles machbar. Wir können das auch so organisieren, dass die Gruppe schon einen Monat vorher kommt.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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