Erding:Banken brauchen Moral

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Richard David Precht (rechts) bei der Sparkasse im Gespräch mit Thorsten Otto: "Wir leben in revolutionären Zeiten", sagte der Philosoph und Bestsellerautor. (Foto: Renate Schmidt)

Der Philosoph Richard David Precht fordert für die Zukunft ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Sparkassen sollen für die Gemeinschaft wirken und zeigen, "dass sie die Guten sind"

Von Regina Bluhme, Erding

Richard David Precht ist Philosoph, Bestsellerautor und Fernsehmoderator, und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Auf Einladung der Sparkasse Erding-Dorfen hat der 54-Jährige in der Reihe "Von Mensch zu Mensch" am Mittwoch in Erding über künstliche Intelligenz und deren Auswirkungen gesprochen. Es wurden zwei unterhaltsame, beklemmende, lehrreiche, nahezu revolutionäre Stunden: Precht sprach von massiven Umbrüchen in der Gesellschaft, nannte Gewinner und Verlierer auf dem Arbeitsmarkt und forderte im vollbesetzten Schrannensaal ein bedingungsloses Grundeinkommen.

"Wir leben in revolutionären Zeiten", betonte Richard David Precht. Im Zeitalter des Maschinenlernens und der künstlichen Intelligenz werde es zu gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen kommen, vergleichbar der industriellen Revolution. Was das nun für die Zukunft der Arbeit bedeute, da gebe es zwei Meinungen: Die eine Seite sage, durch die Digitalisierung würden letztendlich mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als alte wegfielen. Es gebe aber auch eine Studie, die davon ausgehe, dass in Zukunft in Deutschland bis zu 43 Prozent der Arbeitsplätze durch Roboter oder Maschinen ersetzt werden könnten. Gefährdet seien Berufe, für die man "kein überragendes Talent braucht und deren Kundschaft keinen Wert darauflegt, dass sie mit Menschen zu tun hat". Als Beispiel zählte der 54-Jährige unter anderem den Beruf des Rezeptionisten auf.

Es gebe aber Felder, die würden nicht vom Stellenabbau betroffen. Die IT-Branche zum Beispiel, klar. Außerdem auch "höhergestellte Dienstleister" wie Projektleiter. Das Handwerk werde seiner Ansicht nach zum "Digitalgewinner", denn die Arbeiten mit komplexen und sozialen Strukturen könne kein Roboter ausführen. "Die können super rechnen, aber die können keine Heizung reparieren." Und natürlich werde es im Bereich der Alten- und Krankenpflege weiterhin Stellen geben. Das Problem sei nur: "99 Prozent der Leute können nicht einfach zum IT-Experten umschulen", so Precht. Und 99 Prozent wollten auch nicht in der Altenpflege arbeiten.

Wohin also mit all den Menschen, deren Arbeit bald ein Roboter oder eine Maschine erledigt? Es müsse ein neues Gesellschaftssystem her, erklärte der promovierte Philosoph vor gut 200 geladenen Sparkassengästen. Die Lösung ist seiner Ansicht nach das bedingungslose Grundeinkommen. 1500 Euro monatlich stellt er sich vor, bis zu 1000 Euro könnten die Menschen dazu verdienen. Finanziert werden soll der Systemumbau durch eine Finanztransaktionssteuer.

Im Gespräch mit BR-Moderator Thorsten Otto ging es auch um Digitalisierung der Warenwelt. Precht schilderte die Innenstadt seiner Geburtsstadt Solingen, wo es keinen einzigen Einzelhändler mehr gebe. "Stirbt bei Ihnen auch der Einzelhandel?" fragte Otto ins Publikum. "Ja", kam es zurück, wenn auch eher zögerlich. Precht forderte 25 Prozent Steuer auf Onlinehandel, mit dem Erlös könnten Geschäftsgründer in der Innenstadt gefördert werden. Auch der Klimawandel wurde angesprochen. Er glaube nicht, sagte Precht, dass die anvisierten 1,5 Grad Erderwärmung gehalten werden können. "Da kommt Gigantisches auf uns zu."

"Wir dekorieren auf der Titanic die Liegestühle um", so hatte Joachim Sommer, der Vorsitzende des Sparkassenvorstands Erding-Dorfen, Richard David Precht zuvor zitiert. "Doch wir befinden uns weder auf der Titanic, noch dekorieren wir einfach um", betonte Sommer. "Wir arbeiten hart daran, das Vertrauen in uns zu rechtfertigen." Natürlich mache sich auch im Bankenbereich die Digitalisierung bemerkbar. Wenn Banken überleben wollten, so Precht, "dann müssen sie zeigen, dass sie die Guten sind". Die Zukunft gehöre den Instituten, die "einen ethisch-gesellschaftlichen Mehrwert schaffen". Die Sparkassen seien ja auch "aus einer guten sozialen Idee heraus entstanden" und sollten auch weiter "gemeinschaftsstiftend wirken", fügte er hinzu. Soziale Fragen sind offensichtlich ein großes Thema. Mehrere Wortmeldungen aus dem Publikum beschäftigten sich mit der ungleichen Verteilung von Arm und Reich, mit Überbevölkerung und Hunger, namentlich mit der Not in Afrika. Hier forderte der 54-Jährige eine neue Entwicklungshilfepolitik für Deutschland - weg vom "Prinzip Gießkanne" und hin zu einer Partnerschaft mit einem einzigen Land, das gezielt gefördert werden solle. Er hoffe auf einen Domino-Effekt, durch den andere Länder mitgezogen würden.

Auch wenn der Digitalisierung die Zukunft gehört: Im Pressegespräch vor dem Vortrag verriet Richard David Precht, dass er Zeitungen traditionell auf Papier lese. Texte zum Korrekturlesen drucke er sich immer aus. "Was ich auf Papier lese, bleibt doppelt so gut im Gedächtnis."

© SZ vom 08.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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