Eine Ära geht zu Ende:Traditionshaus muss schließen

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Fast 500 Jahre lang haben die Kandlers in Notzing ein Wirtshaus und später ein Hotel betrieben. Die Pandemie hat alle ihre Zukunftspläne zerstört

Von Regina Bluhme

Seit fast 500 Jahren ist das Hotel Kandler in Familienbesitz. In ein, zwei Jahren wollte Inhaber Anton Kandler an seine Töchter Elisabeth, 26, und Anna-Maria, 23, übergeben. Die beiden hätten gerne weitergemacht, doch nun macht Corona alle Pläne zunichte. Das Kerngeschäft mit Tagungsgästen und Familienfeiern ist komplett eingebrochen. Lange versuchten Eltern und Töchter, den Familienbetrieb über die schwierige Zeit zu retten. Erst vor kurzem wurde noch die neue Bar im Stadel eröffnet. Doch jetzt mus die Familie Kandler die Reißleine ziehen. Zum 30. September wird das Traditionshaus an der Erdingermoos Straße geschlossen.

"Corona ist für die Gastronomie einfach ein Endgegner", sagt Elisabeth Kandler am Telefon. Die Juniorchefin fühlt sich gerade "wie in einem Strudel versunken". Die letzten Monate habe die Familie alles versucht, die Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, "wir haben so viel wie möglich dann selber gemacht, uns fast aufgearbeitet, um den Betrieb am Laufen zu halten". Irgendwann, und das sei gar nicht so lange her, sei dann für die Eltern der Punkt gekommen, an dem die Entscheidung fiel zu schließen.

Die Kandlers hatten ihr schmuckes Haus ganz auf Tagungen und Familienfeiern ausgerichtet. 1996 hatte es Anton Kandler, 61, mit seiner Frau Amalie übernommen. Das Haus war beliebt, die Kandlers bewirteten Stammgäste und internationale Tagungsteilnehmer. Dann kam die Pandemie. Die 48 Hotelzimmer stehen seit einem halben Jahr leer. Zum Anwesen gehört noch ein Gasthaus mit 300 Innenplätzen, ein Biergarten mit 100 Plätzen und seit neuestem noch die Bar 1552. Die Zahl verweist auf das Jahr 1552, das Jahr in dem Wolfgang Kandler die Schlossgaststätte in Notzing erworben hat und damit den Grundstein für die Wirtedynastie gelegt hat. Im Laufe der Jahrhunderte hat das Anwesen zahlreiche An- und Umbauten erfahren, zahllose Besucher aus aller Welt begrüßt - darunter gerüchteweise auch einmal Napoleon -, Hochzeiten und Goldene Hochzeiten bewirtet, Kriege und Krankheiten überlebt.

Jetzt aber geht die Ära Kandler in Notzing erst mal zu Ende. "Wir zahlen jeden Tag drauf, das Haus ist einfach zu groß", sagt Elisabeth Kandler. Vorm Weitersprechen muss sei eine lange Pause machen. Den Eltern sei die Entscheidung unheimlich schwer gefallen, "sein Lebenswerk gibt man nicht so schnell her". Auch für sie und ihre Schwester sind jetzt alle Zukunftspläne zunichte gemacht "Wir sind hier im Betrieb aufgewachsen, wir konnten uns nie was anderes vorstellen", sagt sie. Die 26-Jährige hat Tourismusmanagement studiert, ihre Schwester besuchte die Steigenberger Hotelfachschule. Der Vater hat erst noch im vergangenen Jahr die Technik und den Brandschutz auf den neuesten Stande gebracht, um das Haus an die Kinder in absolut einwandfreien Zustand zu übergeben. Jetzt werden sich die Schwestern einen neuen Job suchen müssen. "Surreal" nennt Elisabeth Kandler die Situation. Sie werde wohl erst noch eine Fortbildung zur Sommelier machen, die Schwester will eine Ausbildung zur Konditorin oder Köchin beginnen. Leid tut es Elisabeth Kandler auch um das "Superteam" ihrer insgesamt 30 Mitarbeiter. "Es hat grade alles so gut gepasst". Es seien auch hier viele Tränen geflossen. Sie ist aber recht zuversichtlich, dass die Angestellten wieder einen Job finden.

Bis zum 30. September werden die Kandlers ihr Wirtshaus von Montag bis Sonntag für Gäste offen halten, auch die Bar ist Freitag und Samstag ab 20 Uhr geöffnet. Am vergangenen Wochenende gab es ein Herbstmenü, dieses Wochenende werden bayerische Tapas serviert und am letzten Wochenende vor der Schließung steht ein Überraschungsmenü auf der Speisekarte. Vielleicht hält ja die Zukunft auch noch ein überraschende Wende bereit. Elisabeth Kandler jedenfalls hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. "Es war immer unser Traum hier weiterzumachen. Vielleicht können wir irgendwann mal wieder starten."

© SZ vom 19.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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