Digitale Zeitreise:Eine andere Stadt

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Irgendwie vertraut und doch ganz anders: Erding im Jahr 1723, digital nachgestellt von Thomas Schöberl. Der Schrannenplatz hat heute keine anderen Ausmaße, aber die Schrannenhalle ist noch lange nicht gebaut, die Friedrich-Fischer-Straße endet an einem Stadttor. (Foto: Thomas Schöberl)

"Man muss doch wissen, wo man herkommt": In aufwendiger Arbeit hat Thomas Schöberl das historische Erding am Computer nachgebaut. Das Ergebnis ist faszinierend

Von Regina Bluhme, Erding

"Das Haus hier habe ich auch gebaut", sagt Thomas Schöberl, als er in der Redaktion der SZ Erding im Widnmann-Palais zum Gespräch erscheint. Dieses denkmalgeschützte Haus aus dem Jahr 1782? Aber sicher, und auch das Rathaus und die Pfarrkirche, ja die gesamte Erdinger Altstadt stammen aus seiner Hand. Thomas Schöberl hat nämlich Gebäude und Plätze originalgetreu an seinem Computer erstellt und daraus mehrere Animationsfilme über das historische Erding gestaltet. Auf Youtube können die Zuschauer zum Markttag im Jahr 1723 reisen oder den Schrannenplatz anno 1811 aus der Vogelperspektive betrachten - in erstaunlicher Qualität.

Ein paar Klicks am Computer und schon zockelt ein Bauer mit seinem hölzernen Pferdegespann Richtung Erding los. Die Stadt ist umgeben von einem Wassergraben und einer Mauer mit vier Toren. Es geht hinein ins Jahr 1723. Die Kamera fliegt über die Stadtmauer zum Schrannenplatz. Dort ist gerade Markttag: Pferdegewieher, Hufgetrappel und Stimmengewirr sind zu hören. Unzählige Getreidesäcke sind aneinander gereiht, Händler feilschen um den besten Preis. So lebendig kommt Vergangenheit selten daher.

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"Ich habe versucht, es so darzustellen, wie es gewesen sein könnte", sagt Thomas Schöberl. Aber so könnte es wirklich gewesen sein, schließlich hat sich der 60-jährige Erdinger akkurat an historische Vorgaben gehalten, hat unzählige Bücher gewälzt, alte Stiche, Gemälde, Pläne, Fotos studiert und dann mithilfe einer Grafiksoftware Haus für Haus auf historischem Grundriss aufgebaut.

Begonnen hat alles vor zehn Jahren, als Schöberl für seine Familienchronik recherchierte und dabei seinen Stammbaum bis ins Jahr 1600 zurückverfolgen konnte. "Ich habe sehr viel gelesen und irgendwie wächst man dann so rein. Ich wollte dann wissen, wie es wohl früher in Erding war", erzählt der 60-Jährige. Sein Interesse wurzelt wohl auch in einem besonderen Kindheitserlebnis. Er ist einer der fünf Buben, die vor gut 50 Jahren beim Spielen das Kletthamer Gräberfeld entdeckt haben. Dafür hat er im letzten Jahr den Archäologie-Preis des Archäologischen Vereins erhalten.

Thomas Schöberls erster Erding-Film spielt im Jahr 1811. Mithilfe des Computerprogramms Cinema 4 D hat er die Altstadt wiederaufgebaut. Billig ist so eine Software nicht, zwischen 800 und 2000 Euro muss man laut Schöberl dafür zahlen. "Die Sache ist ziemlich komplex und zeitaufwendig", sagt er. "Für die Pferde zum Beispiel musste ich jeden Knochen einzeln ansteuern." Zwei Jahre hat er für "Erding a.D. 1811" gebraucht. 2015 hat er den gut fünfminütigen Film dann auf Youtube gestellt. 8000 Zuschauer wurden bislang verzeichnet.

Inzwischen hat er weitere Kurzfilme über das historische Erding veröffentlicht. Wer will, kann jetzt auch ins Erding der Jahre 1723, 1812 und 1813 reisen oder einen virtuellen Stadtrundgang im Jahr 1865 unternehmen. Schöberl findet es wichtig, sich mit Geschichte, auch mit der Stadtgeschichte, zu beschäftigen. "Man muss doch wissen, wo man herkommt, wo die Wurzeln sind", sagt er. Zugleich gehört für ihn aber auch dazu, seinen Horizont durch Reisen zu erweitern, andere Kulturen und Lebensweisen kennenzulernen.

Noch ist Schöberl auf der Suche nach einer richtig guten Hintergrundmusik für seine Filme. Ihm schwebt dramatische Filmmusik vor, "da gäb's schon schöne Sachen." Leider unterlägen die meisten der Gema. Auch die Suche nach einer geeigneten Erzählerstimme für seinen ersten Film erwies sich als schwierig. Zehn Computerstimmen habe er ausprobiert für "Erding a.D. 1811", berichtet er. Doch mit der schließlich ausgewählten Frauenstimme konnten sich viele Zuschauer nicht anfreunden. "Sie kritisierten, dass sie zu künstlich klingt", erinnert sich Schöberl. Seither spricht der Filmemacher selbst den Erzähler im Off.

Thomas Schöberl verbringt viel Zeit am Computer. (Foto: Stephan Goerlich)

Eine weitere kleine Schwachstelle will Schöberl mithilfe eines neuen Computerprogramms ausschalten. "Bei den Menschen und Tieren sind die Bewegungen noch ein bisserl unrund", sagt er. Künftig sollen die Zuschauer ähnlich wie bei einem Computerspiel in die Figuren schlüpfen und sich mit ihnen selbständig auf den Weg durchs historische Erding machen können. "Natürlich ohne Ballern und Schießen", wie er betont. So schnell wird es aber nicht gehen, fügt Schöberl gleich hinzu, denn er muss jetzt wieder jedes Haus neu aufbauen.

Alle Videos sind hier zu sehen.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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