Der Maler Franz Xaver Stahl:Fehlende Kapitel

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Das Leben des Erdinger Malers während der Zeit des Nationalsozialismus wurde in der Literatur bisher ausgespart. Die Historikerin Heike Kronseder soll das nun ändern

Von Antonia Steiger, Erding

Bislang fehlt ein Buch, das das Leben und Wirken Franz Xaver Stahls in der Zeit des Nationalsozialmus nachzeichnet. Das soll sich nun ändern. Aber nicht so, wie es sich die SPD gewünscht hat: Sie war in den Haushaltsberatungen mit ihrem Antrag gescheitert, dass die Stadt Erding Geld bereitstellen soll, um eine Masterarbeit über Franz Xaver Stahl in Auftrag zu geben. Stattdessen wird die Leiterin des Museums Franz Xaver Stahl, Heike Kronseder, selbst ein Werk verfassen, das sie bereits in Arbeit hat und das sich mit diesem Zeitabschnitt befasst, auf den auch die SPD den Fokus gelegt hatte: die Zeit des Nationalsozialismus. Stahl war Mitglied in der NSDAP.

Das Bild "Weidende Kühe" kaufte Adolf Hitler 1941 für 11.000 Reichsmark. (Foto: Renate Schmidt)

Dieser Zeitabschnitt ist in dem 1991 erschienenen Buch "Franz Xaver Stahl 1901 - 1977" ausgelassen worden. Das weckt Misstrauen, so sieht das die SPD. So sieht das aber auch Heike Kronseder. Sie will in der Monografie sämtliche Dokumente über und von Stahl aus dieser Zeit veröffentlichen und damit eine Lücke schließen, wie sie sagt: Die Witwe Franz Xaver Stahls, Margarete Stahl, habe an dem 1991 erschienenen Buch mitgewirkt, sagt Kronseder. Sie habe die Arbeit so "koordiniert", wie man sich an Stahl erinnern sollte. Zum Beispiel als ewigen Junggesellen, "aber das ist halt nicht so". Margarete Stahl hatte Franz Xaver Stahl im Jahr 1962 geheiratet, nachdem ihr erster Mann, Stahls Malerfreund Johann Georg Schlech, gestorben war. Stahl war da schon 62 Jahre alt. Anhand von Briefen, die sie im Nachlass gefunden hat, kann Kronseder nun nachweisen, wie sie sagt, dass er "eine Geliebte, eine Verlobte" gehabt habe, die er auch heiraten habe wollen. Auch von dieser Frau ist nirgendwo die Rede gewesen.

Dass die 1930er- und 1940er-Jahre in dem Stahl-Buch von Ilse Paula Dolinschek, das im Selbstverlag vom Landkreis Erding herausgegeben worden ist, ausgespart wurden, "das ist immer verdächtig", findet die Kunsthistorikerin Kronseder. Als dieses Buch erschienen ist, seien solche Fragen "nicht so kritisch beäugt worden". Für sie geht es nun um die Frage, ob sich Stahl nach der Machtübernahme durch die Nazis verändert habe und ob er sich ihnen angeboten habe. Sie verweist darauf, dass Stahl schon 1923 im Glaspalast ausgestellt hatte. Seine Werke seien hochpreisig verkauft worden, auch die Bayerische Gemäldesammlung nahm Werke von ihm auf. "Damit war er ein gemachter Mann" - vor der Machtergreifung.

Heike Kronseder geht auch der vielfach aufgeworfenen Frage nach, unter welchen Umständen Stahl in die NSDAP eingetreten ist. Der damalige Wartenberger Bürgermeister Max Kammerer habe ihn bedrängt, weil ihm andernfalls die Wohnung in der Nymphenburger Straße in München gekündigt worden sei, sagt Kronseder. Und das sei schriftlich gut belegt. Sie wolle dokumentieren, sagt sie, nicht werten. Stahls Leben solle in die Zeitgeschichte und die Erdinger Lokalgeschichte eingebettet werden. "Sämtliche Dokumente aus dieser Zeit sollen abgedruckt werden." Wann das Buch erscheint, ist dabei ungewiss. Sie wolle sich nicht unter Druck setzen, sagt Kronseder. Dass das Buch einen Umfang von 200 oder 300 Seiten bekomme, könne sie aber "mit Sicherheit" schon mal sagen. Der Arbeitstitel lautet "Franz Xaver Stahl als Künstler im Nationalsozialismus".

Ob diese Arbeit dann zur Befriedung in der Stadt beitrage, wie sich das SPD-Stadtrat Stefan Grabrucker wünschen würde, wie er sagt, das wird sich zeigen. Grabrucker hatte den SPD-Antrag damit begründet, dass es in Erding verschiedene Sichtweisen auf Stahl gebe, weswegen eine Person "von außen" auf den Maler blicken solle. Dafür fand sich vorläufig jedoch keine Mehrheit. Denn dass zeitgleich zwei Personen über Stahl forschen sollen, fanden viele im Stadtrat unsinnig. Sie äußerten sich indes sehr unterschiedlich: So sagte Helga Stieglmaier (Grüne), man solle Heike Kronseder das Vertrauen schenken. Wenn dann noch Zweifel blieben, könnte man eine weitere Arbeit in Auftrag geben. Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) kritisierte die SPD dagegen deutlich dafür, dass ihre Fraktion "dauernd Verdächtigungen in den Raum stellt", was die Vergangenheit Stahls zur Zeit des Nationalsozialismus betreffe. Der Kulturreferent und CSU-Stadtrat Ludwig Kirmair vertrat die Auffassung, dass niemand mehr über Stahl wisse als Heike Kronseder, weswegen es keine Sinn habe, dass sich ein Student mit der Materie befasse. Auch ein Student müsse sich an Kronseder wenden, wenn er über Stahl forschen wolle. Sie selbst hat in einer Stellungnahme an die Stadt geschrieben, dass "das biografische Zeitfenster des Nationalsozialismus" von ihr "mit maximaler Sachkompetenz unter minimalem Zeit- und Budget-Aufwand" in Form einer Publikation zu erbringen sei.

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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