Bundesweiter Vorlesetag:Ohne Scheu vor Neuem

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Eltern übersetzen die Texte und lesen sie dann vor. Ahmad Alkhudhair aus Kuwait hat zum bundesweiten Vorlesetag auch seine eigenen Kinder mit in die Stadtbücherei Erding genommen. (Foto: Stephan Görlich)

In der Stadtbücherei Erding hören Kinder die Geschichte "Der schaurige Schusch" in fünf Sprachen

Von Julian Zieglmaier, Erding

Menschen können ja sehr speziell sein. Ein neuer Nachbar zieht in die Straße, und schon bevor die erste Umzugskiste angekommen ist, befürchten alteingesessenen Bewohner, dass der Neue einfach nicht reinpasst. Man habe aus sicherer Quelle, der Schwester des Bruders der Nichte der besten Freundin der Mutter, gehört, dass der Neue immer sonntags Rasen mähe, im Sommer ständig grille und es auch mit der Mülltrennung nicht so genau nehme. Und auch in einem größeren Maßstab lassen sich Menschen von der Aussicht verunsichern, dass andere Teil der Gemeinschaft werden sollen, die vielleicht nicht das Gleiche essen und glauben oder anders aussehen und eine andere Sprache sprechen. So geht es auch den Tieren in der Kindergeschichte "Der schaurige Schusch" von Charlotte Habersack, die am Freitag in der Stadtbücherei Erding beim bundesweiten Vorlesetag auf Deutsch, Arabisch, Türkisch, Englisch und Französisch vorgelesen wurde.

Die garstige Gams, das scheue Huhn, der bockige Hirsch, das maulige Murmeltier und der Party-Hase leben zusammen auf einem Berg im fiktiven Simmelgebirge. Als sie die Nachricht erreicht, dass ein neues Tier, der Schusch, zu ihnen ziehen soll, machen schnell die wildesten Gerüchte die Runde. Der Schusch sei angeblich riesig, muffig, zottelig und ziemlich unsympathisch. Als die Tiere eine Einladung zur Einweihungsparty erhalten, wagt sich nur der Party-Hase in das Haus des Schuschs. Ziemlich schnell stellt sich aber heraus, dass der Schusch eher einem kleinen Meerschweinchen ähnelt, sehr nett ist und sich selbst vor den anderen Tieren fürchtet. Bei der Veranstaltung in der Stadtbücherei wurde die Kindergeschichte in einer ersten Runde auf Deutsch und dann auf Englisch und Französisch und in einer zweiten Runde auf Deutsch, Arabisch und Türkisch vorgelesen. Der ursprünglich deutschsprachige Text wurde von Eltern übersetzt und von diesen und Silke Hörold-Ries von der Stadtbücherei Erding vorgetragen. Eine Veranstaltung, die sowohl inhaltlich als auch durch die eigene Interkulturalität zu bezeugen versucht, dass Angst und Misstrauen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft unbegründet ist. "Wir haben jetzt zum dritten Mal eine selbst übersetzte Geschichte vorgelesen. Im ersten Jahr in dem ich teilgenommen habe, 2015, war die Geschichte schon auf Arabisch", berichtet Ahmad Alkhudhair, der aus Kuwait stammt. Ungefähr dreißig Kinder, darunter auch seine eigenen, lauschten den verschiedenen Sprachen. Er hoffe, die Veranstaltung könne die Kinder ermutigen, sich mit Büchern zu beschäftigen, und wecke Interesse an Sprachen. "Es ist einfach gut, wenn alle Kinder zusammen in die Bücherei kommen. Wenn man zusammen Bücher und die Bücherei kennen lernt, dann ist das ein größerer Anreiz als alleine", so Yasemin Altunisik, die den Text auf Türkisch übersetzte und vorlas. Die Kinder hörten aufmerksam zu, egal ob sie die Sprache verstanden, die gerade vorgelesen wurde, oder nicht. Wer den Kindern dabei zusah, bekam den Eindruck, dass allein der Klang der unbekannten Sprachen die Mädchen und Buben faszinierte. Geht es nach der Leiterin der Stadtbücherei, Ingrid Müller-Heß, wird die Veranstaltung auch nächstes Jahr wieder stattfinden. "Jedes Jahr ist das Interesse groß, und die Kinder bekommen die Möglichkeit die Bücherei in einem schönen Rahmen zu besuchen." Die Kinder, die zum Vorlesetag in die Stadtbücherei bekommen sind vielleicht die Party-Hasen von morgen, ganz ohne Berührungsängste vor fremden Kulturen.

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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