Bittere Schicksale:Endstation Erding

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Das Gefängnis bleibt nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit ein Abschiebeknast. Für die Inhaftierten - keiner von ihnen ist ein Straftäter - enden hinter Mauern und Stacheldraht alle Perspektiven

Von Florian Tempel, Erding

Klar wurde das Ganze eigentlich schon mit der ersten Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im April. Das Erdinger Gefängnis ist als Abschiebeknast keineswegs ein Provisorium, sondern es bleibt dauerhaft "umgewidmet". Justizminister Winfried Bausback (CSU) - dessen Job viel weniger dauerhaft war - bestätigte bei einem Besuch im Amtsgericht Erding im Juni, dass das Gefängnis auf unabsehbare Zeit als Abschiebehaftanstalt genutzt werden wird: "Ich kann nicht sagen, wir werden die Anstalt in Erding im nächsten oder übernächsten Jahr nicht mehr brauchen."

Die Schicksale von Geflüchteten, die in Erding in Haft genommen werden, um sie abzuschieben, sind nicht selten bittere Geschichten. Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps berichtete zum Beispiel vom Fall eines verwitweten Manns aus Sierra Leone, der mit seiner damals sechs Jahre alten Tochter von der Polizei nach Erding gebracht worden war. Eine Richterin kümmerte sich erst mal darum, dass das Kind etwas zu essen bekam. Dann rief sie das Jugendamt. Das Mädchen wurde "in Obhut genommen", der Vater kam in Haft. Ein sogenannter Dublin-Fall. Vater und Tochter waren zuerst in Italien, bevor sie in Deutschland um Asyl ansuchten.

Bei der Abscheidung gab es dann offenbar einen folgenreiche Fehler der bayerischen Polizei, wie wenig später der Bayerische Flüchtlingsrat berichtete. Die Polizei habe ihm die vorschriftsmäßig abgenommenen Originalpapiere nicht mehr ausgehändigt. Die Folge: Zurück in Italien sei dem abgeschobenen Mann und seinem Kind aufgrund der fehlenden Dokumente Asylunterkunft und Verpflegung verweigert worden. In Italien landete der 30-Jährige mit seiner Tochter auf der Straße. Ordensschwestern rieten ihm, das Mädchen auf einer Polizeistation der Obhut der Behörden zu übergeben. Was er tat.

Ein weiterer Fall aus dem Erdinger Abschiebegefängnis war der einen hochschwangeren Frau: Ende Mai scheiterten die Behörden mit ihrem Versuch, die Frau, die zu dem Zeitpunkt schon ein fünfjähriges Kind hatte, vom Vater des Kindes zu trennen und wenige Wochen vor dem Geburtstermin ihres zweiten Kindes nach Italien abzuschieben. Die 21-Jährige hatte am Flughafen München auf der Treppe zum Flugzeug derart heftig gegen die Abschiebung gewehrt, dass die Polizei sie nicht in die Maschine brachte, sondern wieder zurück in die Justizvollzugsanstalt Erding. Das Amtsgericht Erding hob anschließend den Haftbeschluss auf, mit dem die junge Frau aus Sierra Leone in Abschiebehaft festgehalten werden sollte. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Christine Kamm warf der CSU daraufhin vor, ihre unbarmherzige "Abschiebemaschinerie" nehme keinerlei Rücksicht auf individuelle Schicksale: "Wer donnerstags abschiebt und freitags Kruzifixe aufhängt, der heuchelt."

Vor bald zwei Jahren war ein so genannter Notfallplan aufgestellt worden, laut dem das Erdinger Gefängnis eventuell als Abschiebehaftanstalt genutzt werden könnte. Damit sei aber nicht wirklich zu rechnen, hieß es damals. Schließlich wurde der Notfallplan sogar außer Kraft gesetzt. Umso überraschender war es, als die JVA Erding Anfang Februar binnen weniger Tage doch umgewandelt wurde. Mit dem Notfallplan hatte das nichts mehr zu tun. Es war, wie sich zeigt, eine langfristige Entscheidung. Ex-Justizminister Bausback sagte bei seinem Besuch im Amtsgericht im Juni, erst "nach einer langen Suche" sei die Wahl auf Erding gefallen.

Fritz Steinberger, langjähriges Mitglied im Gefängnisbeirat, geht davon aus, dass die Erdinger JVA noch viele Jahre für die Abschiebehaft genutzt wird. Steinberger hatte die Umwidmung scharf kritisiert, weil das mehr als hundert Jahre alte Gefängnis nicht dafür geeignet sei. Die Inhaftierten seien, darauf wies Steinberger noch einmal hin, keine Kriminellen. Denn Straftäter werden aus ganz normalen Gefängnissen heraus abgeschoben.

Die Erdinger Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps schilderte, dass das Abschiebegefängnis auch für ihre Mitarbeiter nicht nur mehr Arbeit bedeute. Es seien sehr oft "sehr belastende Fälle", da die in Haft genommenen Menschen "alle sehr verzweifelt" sind, denn "sie haben ja gar keine Perspektive mehr". Bei der richterlichen Anhörung vor der Inhaftierung reagierten Männer mitunter äußerst aggressiv, Frauen seien häufig depressiv und drohten mit Suizid: "Es sind enorme menschliche Belastungen."

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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