Nester unter dem Dach:Bedrohte Spatzen

Lesezeit: 2 min

Auf dem Areal am Jochbergweg leben zahlreiche Spatzen. Da die Tiere immer seltener werden, genießen sie inzwischen besonderen Schutz. (Foto: Renate Schmidt)

In Altenerding wären die Ruhestätten der Vögel fast einer Sanierung zum Opfer gefallen. Der Fall liegt jetzt bei der Naturschutzbehörde

Von Max Ferstl, Erding

Gabriele Möllers erinnert sich noch gut daran, wie sie am 30. Mai den Müll weg brachte: Ein Transporter parkte direkt um halb 10 vor ihrer Haustür am Jochbergweg in Altenerding. Dann erschien ein Arbeiter, erkundigte sich nach dem zentralen Stromanschluss und erwähnte beiläufig, er wolle die Spatzennester im Dach entfernen - ungern zwar, aber es müsse halt sein. Möllers ist stets die Rebellin gewesen, früher hatte sie gegen Atomkraft demonstriert, nun rief sie wütend den Hausverwalter an, erklärte, dass Spatzen unter Naturschutz stünden. Um kurz vor 10 Uhr fuhr der Transporter weg. So erzählt Möllers die Geschichte.

Mittlerweile beschäftigt sich die Naturschutzbehörde mit dem Fall. Sie hat am 6. Juni "zahlreiche Haussperlinge" auf dem Areal am Jochbergweg festgestellt. Dies bestätigte das Landratsamt Erding auf SZ-Anfrage. Allerdings konnten "nicht alle Örtlichkeiten eingesehen werden, sodass die tatsächlichen Fortpflanzungs- und Ruhestätten nicht lokalisiert werden konnten". Bis auf Weiteres dürfe die Hausverhaltung nichts unternehmen, was das "Vorkommen der Spatzen und ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten beeinträchtigen" könnte.

Die Anordnung richtet sich vor allem an Ludwig Lösch, den Hausverwalter. Seine Immobilienverwaltung Lutz betreut den Komplex am Jochbergweg. Lösch erzählt eine andere Geschichte als Möllers. Er habe die Firma mit der Reinigung des Daches beauftragt, das schon. Auch ein Gitter sollte montiert werden, um "Schädlinge jeglicher Art" fernzuhalten. Allerdings, darauf legt Lösch Wert, sollte die Firma keine Spatzennester beseitigen. Das sei alleine schon deshalb schwierig, da er von den Spatzen "gar nichts wusste". Die Eigentümer offenbar auch nicht.

Diese hatten auf einer Versammlung im Frühjahr beschlossen, das Dach zu sanieren. Zuvor hatte eine Firma akuten Handlungsbedarf angemahnt. Das Dach würde nicht ausreichend belüftet, hieß es. Dass Spatzennester wohl Urheber des Problems sind, schien keiner zu ahnen. "Von Spatzen war nicht die Rede", erinnert sich Lösch, der bei der Versammlung anwesend war. Es sei vielmehr "um die technische Umsetzung" gegangen. Die Immobilienverwaltung sollte sich darum kümmern. Lösch sagt: "Wir machen das, was die Eigentümer beschließen."

Inzwischen hat Lösch ein Gutachten beantragt, man warte "auf die Freigabe". Sollten Spatzennester entfernt werden müssen, bräuchte es die Zustimmung der Regierung von Oberbayern. "Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst etwas hören", sagt Lösch. Und, bevor Missverständnisse entstehen: "Die Spatzen sollen natürlich geschützt werden, ganz klar."

So ganz klar ist das - unabhängig vom konkreten Fall - allerdings nicht. Spatzen stehen mittlerweile auf der Warnliste, das Nahrungsangebot wird geringer, weil Maschinen die Felder immer besser abernten. Moderne Dachkonstruktionen verbauen Nistplätze. Auch Sanierungen tragen ihren Teil dazu bei. Oft, weil nicht genau hingeschaut wird. Oder weil es die Besitzer schlicht nicht kümmert. "Das Artenschutzbewusstsein ist schwach ausgeprägt", sagt Sylvia Weber, Projektleiterin für Artenschutz an Gebäuden beim Landesbund für Vogelschutz. Sie wundert sich manchmal, wie wenig manche Menschen mitbekommen von ihrer Umgebung. "Wir hatten mal einen Fall, da hat ein Mann nicht gemerkt, dass er direkt neben einem Nest voller Mauersegler gewohnt hat. Der Lärm war eigentlich unüberhörbar."

Mittlerweile genießen Spatzen und andere bedrohte Vögel strengen Schutz. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nester einfach entfernt werden dürfen, ist sehr gering. Zumindest nicht ersatzlos", glaubt Weber. Oft müssen die Eigentümer Ausweichplätze anbieten, zum Beispiel Nistkästen unter dem Dach.

Im Gegensatz zu großen Städten fühlen sich Spatzen in Erding grundsätzlich wohl. "Die Umgebung ist günstig", sagt die Projektleiterin. Hier finden sie noch ausreichend Nahrung, es gibt zahlreiche Nistplätze wie am Jochbergweg. "Von mir aus können sie bleiben." So sieht Gabriele Möllers das. Sie wird zwar bald wegziehen, will sich bis dahin aber für die Tiere einsetzen. Möllers sagt: "Ich würde mich ans Dach ketteten."

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: