Besondere Pferde:Das Glück dieser Herde

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Der Schrankenschneiderhof mit seinen Tinker-Pferden wurde bereits einmal als bester deutscher Stall ausgezeichnet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Familie Zeller vom Ebersberger Schrankenschneiderhof gehört zu den wenigen Tinker-Züchtern Bayerns

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Carry lässt die Zunge raushängen. "Ach Carry", seufzt Andrea Zeller und tätschelt das fünf Monate alte Tinker-Fohlen. Anstatt die Zunge reinzustecken, schmiegt sich Carry unbeeindruckt an seine menschliche Pferde-Mama. Seine eigentliche Mama Coco Ciara verbringt den Nachmittag derweil am anderen Ende des Paddocks mit den anderen Pferdemamas, was ungewöhnlich ist, weil Stuten und Fohlen normalerweise aneinander kleben wie Pattex auf Papier.

Ein Nachmittag auf dem Schrankenschneiderhof. Wenn Politiker vom schönen Bayern schwärmen, dürften sie idyllische Ecken wie den Hof zwischen Ebersberg und Steinhöring vor Augen haben. Hier auf der ländlichen Anhöhe lebt die Familie Zeller: Mama Andrea, 41, Papa Toni, 41, mit den Kindern Maxi, Lisa und Johanna. Und, nicht zu vergessen: Um die 60 Pferde.

Zum Beispiel Carry. Es ist Teil eines echten Vorzeige-Ensembles: Einer Herde von Tinkern, dieser Pferderasse mit dem dichten Haar um die Hufen. Der Hof ist Bastion in Bayern: Denn hier, wo früher noch Kühe grasten, betreiben die Zellers die wohl größte der neun eingetragenen Tinkerzuchten im Freistaat. Geplant war das so nicht.

"Eigentlich wollte bloß meine Schwester wieder ein Pferd", sagt Andrea Zeller. Sie ist kaum drei Kilometer von hier entfernt in Gmaind aufgewachsen, mit Pferden, versteht sich. Auf der gemeinsamen Recherche-Tour nach dem richtigen Vierbeiner für die Schwester standen beide eines Tages irgendwo bei Würzburg vor den lustigen Schecken mit den vielen Fusseln um die Hufe. Und der Frage: Wäre das nicht etwas für sie, so ein richtiges Pferd?

Ein paar Tage später war eine Tinkerstute namens Snow eine Ebersbergerin. Typisch für die gemütlichen Tinker: Sie war stoisch ruhig, nahm Reitanfängern die Angst - und wieherte, wenn sich Hofpapa Toni näherte. Der erzählt: "Da waren wir in dem Strudel drin." Und der Tinker-Strudel hatte zu der Zeit eine besonders starke Sogkraft. Tinker, eine irische Promenadenmischung, avancierten in der Zeit in ganz Mitteleuropa zu Modepferden. Überall ploppten Tinker-Höfe auf, und auch die Zellers versuchten 2002 ihr Glück mit einer eigenen Zucht.

Andrea Zeller deutet auf einen Hengst, der gerade einen anderen zwickt. Insgesamt 20 Tinker gibt es mittlerweile auf dem Hof, drei davon sind Zuchthengste. Die scheinen ihren Job gut zu machen: Die Familie hat schon Tinker-Nachwuchs nach Tschechien und die USA verkauft, "dort sind Tinker totale Prestige-Objekte".

Es gibt einen Grund, wieso Carry nicht ängstlich an seiner Mama klebt. Einen Grund, warum der Schrankenschneiderhof mal als bester deutscher Stall ausgezeichnet wurde: Die Pferde werden hier nicht zu Neurotikern gezüchtet, sondern zu ausgeglichenen Tieren. Nach Einzelhaft in Boxen sucht man hier vergeblich. Die Tiere stehen allesamt draußen, auch die oft eingesperrten Hengste, in einem verwinkelten Pferdekoppel, die direkt auf die insgesamt elf Hektar Weiden führt - 42 mal so viel, wie vom bayerischen Landwirtschaftsministerium vorgeschrieben.

"Je mehr Fläche, desto friedlicher die Tiere", so die Philosophie von Andrea Zeller. Schon als Kind dachte sie sich beim Blick auf die Boxenhaltung: "Die armen Tiere." Als Snow und weitere Tinker und Einsteller dazukamen, entschied sie sich für die offene Haltung. Die scheint zu fruchten: Die Tiere strahlen eine stoische Gelassenheit aus. "Auch Pferde wollen sich mal den Blicken der anderen entziehen", meint Zeller.

Die Familie hat zudem ein ausgeklügeltes Digital-System zur Pferdefütterung eingeführt, "ein idiotensicheres Programm", so Zeller. Am Computer gibt sie ein, welches Pferd wie oft wie viel von welchem Futter essen darf, die Chips unter der Pferdehaut erledigen den Rest. Die Digitalisierung des Hofs entlastet die Familie, genau wie die Aushilfe, ein junger Mann aus Somalia, der jetzt mit einer Schubkarre lächelnd von der Weide kommt. Eine Herausforderung kann so ein Hof natürlich trotzdem sein. Beide arbeiten noch Teilzeit in regulären Jobs. Auf dem Hof hört die Arbeit nie auf. Ständig gibt es Baustellen. Mit den Kindern so richtig im Urlaub waren die Eltern das erste Mal vor zwei Jahren, ein paar Tage Mallorca, "ein Luxus". Als der Tinker-Hype wieder abflaute, die Händler weniger für die Tiere zahlen wollten und die Tinkerzüchter, die das schnelle Geld gerochen hatten, nacheinander wieder ihre Zucht aufgaben, standen auch die Zellers am Scheideweg. Sie überlegten, einen Teil des Hofs zu verpachten. Der ist seit 1492 im Besitz von Toni Zellers Familie.

"Aber dann haben wir es einfach bleiben gelassen", sagt der Papa. Statt einen Teil zu verpachten, investierten die Zellers in ihren Familienbetrieb - und sahen dabei zu, wie ihr Hof infolge immer größer und bekannter wurde. Heute gehen sie mit ihren Tinkern zu Zuchtschauen, auf die Münchner St.-Patricks-Day-Parade, geben Seminare und Reitunterricht. Und halten zusammen, als Familienbetrieb. "Wenn wir etwas verändern, entscheiden wir gemeinsam", sagt die zwölfjährige Johanna. Das Ziel des Tinker-Imperiums? "Wir wollen es einfach immer schöner machen", sagt Mama Zeller.

Am Sonntag, 16. September, lädt Familie Zeller von 9 bis 17 Uhr an zum Hoffest ein. Neben einer Zuchtschau gibt es Shows zu Pferdetraining, Barockreiten sowie ein Jungpferdetraining mit einer bekannten Trainerin. Dazu kommen Ponyreiten, Kinderzirkus und Kinderschminken, Essen und Trinken

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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