Berufsschule Erding:Körper, Krankheiten, Kondome

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Theater- und Sexualpädagoge Fritz Letsch unterrichtet von April an junge Flüchtlinge in Erding. (Foto: Robert Haas)

Der Pädagoge Fritz Letsch startet im April mit Sexualkundeunterricht für Flüchtlinge

Von Veronika Wulf, Erding

Kann die Frau schon beim ersten Sex schwanger werden? Kann es sein, dass ich vom Onanieren Rückenschmerzen bekomme? Solche Fragen begegnen dem Sexualpädagogen Fritz Letsch häufig bei seiner Arbeit. Seit etwa sechs Jahren gibt er Sexualkundeunterricht an Schulen ab der sechsten Klasse. In den letzten drei Jahren kam die Arbeit mit Flüchtlingen dazu: An der Berufsschule Freising klärt Letsch mit der Schwangerenberatung Donum Vitae geflüchtete Schüler über die Funktionsweise ihres Körpers, Geschlechtskrankheiten und Verhütung auf. Vom 3. April an kommt er auch an die Flüchtlingsklassen der Berufsschule Erding.

Drei Unterrichtsstunden am Stück sind zunächst vorgesehen, in allen zehn Flüchtlingsklassen der Berufsschule in Erding. Bezahlt wird Letsch über Donum Vitae. Die Berufsschülerinnen werden getrennt unterrichtet - von Sozialpädagoginnen des Vereins Brücke. Von Frau zu Frau und von Mann zu Mann sei der Sexualkundeunterricht vertrauter, sagt Letsch. Außerdem sei sein Alter von Vorteil: "Ich bin 63, da gelte ich für die als Imam, als weiser Lehrer." Gekichere gäbe es wenig, auch nicht bei den Kondom-Übungen an Holzmodellen. "Das Eis ist schnell gebrochen, wenn man erst mal angefangen hat, über Geschlechtsteile zu reden", sagt Letsch. Er beginnt seinen Unterricht mit den biologischen Grundlagen: Wie funktioniert der Mann? Um Frauen gehe es auch, insbesondere um den Zyklus und die Schwangerschaft, aber der eigene männliche Körper und sein "Sexualgeschehen" stehen im Vordergrund. Außerdem informiert Letsch die Schüler über Verhütungsmethoden und Geschlechtskrankheiten. "In manchen Kulturen wird es vermieden, über HIV zu sprechen, weil es dann im Raum ist", sagt Letsch. Auf solche "abergläubischen Mechanismen" sei er gestoßen. Außerdem stelle er Homosexualität als gleichwertig dar, da sie in manchen Ländern bestraft wird.

Ansonsten herrsche bei den Flüchtlingen eine "genauso große Bandbreite an Unwissen" wie bei deutschen Schülern: dass eine Frau auch von den ersten Lusttropfen schwanger werden kann, dass es Kondome in verschiedenen Größen gibt und dass man ein Kondom, einmal falsch herum aufgesetzt, nicht weiter verwenden sollte. "Ein großer Teil der Geflüchteten ist weit aufgeklärter, als man denkt," sagt Letsch. Eine Besonderheit ist die Sprache: Da viele Flüchtlinge noch nicht so gut Deutsch sprechen, brauche man Zeit. "Oft kennen sie gar keine Begriffe für bestimmte Organe", sagt Letsch. Er gibt den Schülern Zeit, Wörter in ihrer Sprache zu finden und sie untereinander auszutauschen.

Die Flüchtlinge, die Letsch unterrichtet, sind zwischen 17 und 27 Jahre alt. "Im Schnitt haben sie weniger sexuelle Erfahrung als meine deutschen Schüler", sagt er. In vielen Herkunftsländern der Flüchtlinge gebe es außer der Ehe kaum Möglichkeiten, einer Frau näher zu kommen. Doch auch verheiratete Männer sind unter den Schülern. Sie tauschten im Unterricht ihre Erfahrungen aus. Ein weiterer Unterschied bei den Flüchtlingen seien Traumata, sagt Letsch. "Je mehr jemand traumatisiert ist, desto eher wird die Sexualität des Körpers zurückgefahren." Gerade bei Frauen sei das wichtig: "Manche haben auf der Flucht diverse Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen oder mit Sex gegen Gefälligkeiten oder Schutz gemacht, wurden aber nicht schwanger wegen der Stresssituation", sagt Letsch. Angekommen in Deutschland, würden manche plötzlich schwanger werden. Dem müsse man vorbeugen. Und noch etwas sei bei den Flüchtlingen anders: "Sie sind besonders dankbar und verabschieden sich mit Handschlag oder der Hand auf dem Herz."

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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