Bayerische Asylpolitik:Fehlbeleger zur Kasse gebeten

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Flüchtlinge müssen für Unterkunft teils hohe Gebühren nachzahlen

Von Clara Lipkowski, freising

Als Mustafa Abdel den Bescheid in Händen hält, will er sofort weg aus der Asylunterkunft in Dietersheim, seine Sachen packen und erst einmal bei einem Freund unterkommen. Auf dem Behördenschreiben steht: Für die Nutzung der Unterkunft von Dezember 2015 bis April 2017 ist die Wohngebühr fällig: 4202 Euro. Sofort zu überweisen auf folgendes Konto. Flüchtlingshelfer Franz Nadler muss den panischen Iraker beruhigen: "Er weiß ja nicht, wie er das bezahlen soll."

Das, was dem 26-Jährigen, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, gerade passiert, betrifft viele Flüchtlinge. Sie erhalten Nachforderungen von der Regierung Unterfranken, weil sie "Fehlbeleger" sind - Flüchtlinge, die nach der Anerkennung noch in den Asylunterkünften wohnen bleiben. Eigentlich müssten sie raus, in eigene Wohnungen. Da Wohnraum aber knapp ist, dürfen sie gegen Gebühr bleiben. Genauso zahlen müssen diejenigen, die im laufenden Asylverfahren Geld verdienen. Das Problem: Die monatliche Gebühr liegt oft weit über der ortsüblichen Miete.

Eine alleinstehende Person zahlt 311 Euro, inklusive Energiekosten. Egal, ob sie in einem Zwei- oder Fünfbettzimmer wohnt. Egal, ob es zwölf Quadratmeter hat oder 24. Mustafa Abdel aus Dietersheim, der in der Gastronomie arbeitet, zahlt die bayernweit geltende Gebühr für ein Fünf-Bett-Zimmer das 35 Quadratmeter misst. Für die Fläche, die er allein nutzt, zahlt er somit pro Quadratmeter 44 Euro. Zu den monatlichen Kosten kommen Nachforderungen. In seinem Fall 4202 Euro.

"Was mich so erbost, ist, dass es nicht verhältnismäßig ist", sagt Asylberater Nadler. "Da steht ein Bett im Zimmer und ein Spind, da sind 311 Euro ein Witz." In dem Zimmer zahlen noch drei Bewohner die Gebühr selbst. Insgesamt erhält der Freistaat für diese 35 Quadratmeter 1244 Euro im Monat.

Der Fall ist so kurios, dass schon ein RBB-Fernsehteam von "Kontraste" darauf aufmerksam wurde. Auch Flüchtlingshelfer Reinhard Kastorff aus Moosburg kritisiert: "Diese Pauschale nimmt keine Rücksicht auf die Lebensqualität in solchen Unterkünften." Dass der Freistaat sich das Geld zurückholt, sei nur verständlich. Und: "Arbeitet jemand, wird die Forderung ins Verhältnis zum Verdienst gesetzt." Tatsächlich kann jemand, der anerkannt ist und durch die Gebühren unter das Existenzminimum zu rutschen droht, beim Jobcenter Aufstockung beantragen. Die Kosten derer, die anerkannt sind aber noch nicht arbeiten, übernimmt das Jobcenter grundsätzlich. Nicht anerkannte, arbeitende Flüchtlinge zahlen aus eigener Tasche.

Die Gebühren fließen aus ganz Bayern nach Mellrichstadt in Unterfranken. Dort bearbeitet knapp ein Dutzend Sachbearbeiter der Zentralen Gebührenabrechnungsstelle die Fälle. Sprecher Johannes Hardenacke will nicht bestätigen, dass die Gebühren unverhältnismäßig hoch seien. "Hier nehmen Personen Leistungen in Anspruch, das rechnen wir ab", sagt er. Im Landkreis Freising sind das derzeit 183 Fälle, in ganz Oberbayern 6400. Aus diesem Regierungsbezirk erhält der Freistaat somit laufend rund 1,3 Millionen Euro. Die Nachforderungen berechnet die Behörde rückwirkend ab 1. Januar 2015 - es wurde versäumt, sie pünktlich einzufordern. Erst seit Ende 2016 gehen verstärkt Nachforderungen raus. Hardenacke begründet das so: Zu den Hochzeiten des Flüchtlingszuzugs hätten sich die Ämter erst einmal auf deren Unterbringung konzentriert. Erst dann habe man begonnen, abzurechnen. "Dass die Gebührenpflicht besteht, war aber allgemein bekannt", sagt er. Die "Fehlbeleger" hätten Rücklagen bilden können.

Nadler sagt, weder die Flüchtlinge noch die Helferkreise seien informiert worden: "Selbst wenn im Kleingedruckten etwas versteckt war, das ist doch keine Art." Der Neufahrner Asylhelfer Nikolaus Marzahn sieht das auch so. Er kämpft gerade dagegen, dass eine Somalierin wegen einer Nachzahlung von 933 Euro in die Schulden rutscht. Er fordert, die Nachforderungen zu erlassen und die monatlichen Gebühren an die ortsüblichen Mieten anzupassen. Nadler handelt nun mit der Behörde Ratenzahlungen für Mustafa Abdel aus. "Ich habe fünf Euro im Monat vorgeschlagen. Das würde gehen. Da hat der Sachbearbeiter nur geschmunzelt."

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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