Azubi-Wohnheim:Wettstreit um Lehrlinge

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Von einem Ausbildungsgehalt lassen sich die Mieten nicht bestreiten. Das Projekt ist dringend notwendig

Von Gerhard Wilhelm

Eigentlich könnten die Erdinger Unternehmer positiv gestimmt in die Zukunft schauen. Die Zahl der Jugendlichen, die statt dem Abitur erst Mal die mittlere Reife und dann eine Ausbildung machen wollen, steigt im Landkreis. Die Abiturquote liegt mit 24,1 Prozent deutlich unter dem Schnitt von 35,8 in der Region München. Und dennoch können nicht alle Lehrstellen besetzt werden.

Das liegt zum einen daran, dass die Schulabgänger von heute sich aussuchen können, welchen Job sie erlernen wollen. Damit fallen Firmen, die Jobs mit Arbeitszeiten außerhalb der normalen Bürozeiten (zum Beispiel Bäcker, Gastronomie), Jobs mit ungeliebten Tätigkeiten wie Metzger und Jobs mit einem schlechten Ruf - kaum zu glauben, aber auch Banken bekommen nicht genügend Auszubildende mittlerweile - durch das Suchraster. Diese Unternehmen haben es also bei der Azubi-Suche doppelt schwer.

Denn allen gemeinsam ist, dass Erding zur sogenannten Boomregion München gehört. Das heißt: Wer als Jugendlicher nicht das Glück hat bei seinen Eltern wohnen zu können (was aber auch nicht jeder Azubi vielleicht will), muss sich eine Wohnung suchen. Wer mit seinem Lehrlingsgehalt Mieten in Erding bezahlen muss, wird feststellen, dass ihm zum Leben sehr wenig übrig bleibt. Das gleiche Problem haben im übrigen alle Arbeitnehmer im überhitzten Mietmarkt. Wer als Unternehmer diesen Malus nicht irgendwie ausgleichen kann, hat schlechte Papiere im Wettstreit um Azubis, aber auch um Fachkräfte.

Die Idee, ein Wohnheim für Lehrlingen zu bauen, ist allerdings nicht neu. Früher hieß die Lösung Werkswohnungen. Bis in die 1970er Jahre hinein gab es in Deutschland rund 450 000. In den Jahren zuvor waren für die ersten großen Fabriken dringend Mitarbeiter gesucht worden. Aber so schnell konnte damals kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.

Die aktuelle Studie "Wirtschaft macht Wohnen" sieht in Boomregionen bezahlbare Wohnungen, die Unternehmen ihren Mitarbeitern bereitstellen, also Lösungsmöglichkeit. Was lange als überholtes Modell abgetan wurde, kommt also wieder. Nachdem die Immobilien- und Baupreise ebenfalls ungeahnte Höhen erreicht haben, ist die Idee - wie in einer Genossenschaft - gemeinsam so ein Projekt zu stemmen, sinnvoll. Dass sich die Stadt beteiligt ebenfalls, denn auch sie profitiert von einer florierenden Wirtschaft in Form von Steuern. Aber wer A wie Azubi-Wohnheim sagt, sollte auch an W wie Werkswohnungen für seine Mitarbeiter denken. Mitarbeiter mit kurzen Wegen zur Arbeit und mehr Geld in der Tasche sind zufriedene Mitarbeiter. Und zufriedene Mitarbeiter leisten mehr.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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