Amtsgericht:Zeugen widerrufen: Bewährung für Schleuser

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Weil ihn die Belastungszeugen in der Hauptsache nicht mehr identifizieren, wird ein 37-Jähriger nur in einem Fall verurteilt

Von Thomas Jordan, Erding

Ein 37-jähriger türkischer Staatsbürger ist wegen der gewerbsmäßigen Einschleusung eines Ausländers nach Deutschland vom Amtsgericht Erding zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden.

Es war eine langwierige, mehr als drei Stunden andauernde Verhandlung, die eine handfeste Überraschung für Gericht und Staatsanwaltschaft bereithielt. Denn eigentlich war der 37-Jährige noch in einem zweiten Fall wegen Einschleusung von Ausländern angeklagt. Wäre er in diesem Fall verurteilt worden, wäre er wohl nicht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Dabei stand der Vorwurf im Raum, dass der 37-Jährige im Jahr 2017 eine vierköpfige türkische Familie ohne Aufenthaltstitel in Deutschland von Izmir über Marokko und Frankreich nach München geschleust habe. Für die Organisation der Schleusung per Linienflug und die falschen Pässe sollte er 20 000 Euro erhalten haben. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung hatten die beiden Eheleute den Angeklagten noch mithilfe von Auswahlfotos als ihren Schleuser identifiziert. Vor Gericht überlegten sie es sich dann anders. Sie sagten zwar aus, dass sie mithilfe von Schleusern aus dem türkischen Izmir über Marokko und Frankreich nach Deutschland gekommen waren. Wegen Problemen mit der türkischen Polizei hätte vor allem der Ehemann, ein gelernter Schneider, auswandern wollen.

Die beiden gaben aber an, den wenige Meter von ihnen entfernt sitzenden Angeklagten "heute zum ersten Mal" zu sehen, wie es die Ehefrau formulierte. Ihre Personenbeschreibung ihrer Schleuser war dann nahezu das vollständige Gegenteil des Angeklagten. Auch der Ehemann, der bei der Polizei sogar den Namen des Angeklagten genannt hatte, bestritt diese Aussage nun vor Gericht. Er sei von der Polizei unter Druck gesetzt worden, so dass er auf ein Bild gezeigt habe, das dem Schleuser nur ähnlich gesehen habe. Diesem unerwarteten Widerruf der beiden Belastungszeugen setzten Staatsanwaltschaft und Gericht nichts entgegen. Auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten wurde das Gerichtsverfahren in dieser Sache eingestellt. Im Verlauf der Verhandlung erwähnte eine Zeugin, dass eine andere Familie, die der Angeklagte ebenfalls geschleust haben soll, ihn ebenfalls nicht mehr identifiziert habe, möglicherweise aus Angst davor, dass eine Aussage negative Auswirkungen auf deren laufendes Asylverfahren in Deutschland haben könnte.

Damit blieb noch der Vorwurf der Schleusung eines weiteren türkischen Staatsbürgers über die selbe Route. Nach einem Rechtsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung entschied sich der Angeklagte dazu, in diesem Fall ein Geständnis abzulegen. Zuvor hatte der Angeklagte aus der Untersuchungshaft heraus die Tat in Briefen an Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Erding bestritten. Auf Antrag der Staatsanwältin wurden von Amtsrichter Björn Schindler Briefe verlesen, in denen der Angeklagte erklärt hatte, den türkischen Staatsbürger zufällig beim Check-In in Marrakesch getroffen zu haben. Auch habe er ihm mit den Flugtickets nur geholfen, weil dieser ihn darum gebeten habe. Ein Brief beginnt mit den Worten "Ich will von Ihnen Gerechtigkeit".

Hier konnte eine Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei vom Flughafen München als Zeugin mit Einzelheiten zur Aufklärung beitragen. Die Polizistin hatte zusammen mit einem Kollegen den Geschleusten, der keinen Aufenthaltstitel für Deutschland hatte, dabei beobachtet, wie dieser sein eigentlich von Marrakesch bis nach Kiew ausgestelltes Flugticket im Gebäude des Flughafens München zerriss und in einen Mülleimer warf. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Geschleuste zusammen mit dem Angeklagten am Flughafen Marrakesch eingecheckt hatte. Außerdem hatte der Geschleuste den Angeklagten mehrmals über Whatsapp angerufen und dessen Nummer gespeichert.

Die Staatsanwältin kaufte dem Angeklagten seine späte Reue nicht ab und forderte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung, die andere Schleuser abschrecken soll. Weil der 37-Jährige aber noch nicht vorbestraft ist und eine positive Sozialprognose hat, blieb es bei einer Bewährungsstrafe.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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