Amtsgericht:Letzte Chance

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Psychisch Kranker, der wegen Bagatelldelikten angeklagt ist, bekommt Haftstrafe auf Bewährung - unter der Bedingung, dass er eine Therapie antritt und sie auch durchhält

Von Gerhard Wilhelm, Erding

"Sie müssen sich helfen lassen. Damit diese Kleinigkeiten aufhören. Wenn nicht, gehen sie beim nächsten Mal ins Gefängnis." Richterin Michaela Wawerla fand deutliche Worte, um dem 45-jährigen Angeklagten seine Situation vor Augen zu führen. Die "Kleinigkeiten" waren diesmal zwei Mal Schwarzfahren (Schaden 17,40 Euro), ein Diebstahl einer Getränkedose (1,29 Euro) und mehrfacher Verstoß gegen die Auflagen seiner letzten Bewährungsstrafe, da er unentschuldigt Termine bei seiner Bewährungshelferin geschwänzt hat.

Dass tatsächlich nicht jetzt schon angesichts seiner vielen Vorstrafen und einer offenen Bewährung ins Gefängnis muss, verdankt er laut Wawerla auch der Staatsanwältin, die ebenfalls der Ansicht war, dass dem schwer erkrankten Angeklagten eine Haft nicht helfen wird, aber vielleicht eine Therapie. Die Geschichte, die der sichtlich angegriffene 45-Jährige erzählte, begann an seinem 18. Lebensjahr, als er einen Kopfschuss erlitt. Seitdem habe er psychische und physische Probleme: Er gelte als schwerbehindert, leide unter Depressionen, habe epileptische Anfälle, sei unter Drogensubstitution und Medikamenten- und Alkohol-abhängig gewesen. Sprechen fiel ihm vor Gericht sichtlich schwer. Zurzeit sei er nur in Ebersberg in psychosozialer Begleitung. Schwarzgefahren sei er, weil er seine übertragbare Monatskarte zu Hause vergessen habe. Und Termine bei seiner Bewährungshelferin und beim Gesundheitsamt München zur Abgabe von Drogenproben, habe er teilweise nicht wahrgenommen, da er wegen der Corona-Pandemie Angst gehabt habe, aus dem Haus zu gehen. Zudem habe es einen Wechsel bei der Bewährungshilfe gegeben und das habe ihn auch irgendwie gehandicapt.

Den Wechsel bestätigte die neue Bewährungshelferin. Sie sei dem Angeklagten seit 1. Januar 2020 zugeordnet und anfangs habe es selten geklappt. Mal sei er zu seinem monatlichen Termin gekommen, mal habe man telefoniert, oder er habe nichts von sich hören lassen. Sie habe ihn als "antriebslos" erlebt und das Gefühl, "dass er sich schon selbst aufgeben habe". Seit September klappe es ein wenig besser.

Die Liste der Einträge ins Bundeszentralregister startet 1997 und umfasst bis heute 13 Einträge. Von Körperverletzung, unerlaubten Drogenbesitz und -handel, Diebstahl und immer wieder Schwarzfahren. Einmal wurde ein Verfahren wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Auf die Frage von Richterin Michaela Wawerla, was denn aus ihm werden soll, antwortete der 45-Jährige: "Keine Ahnung". Er würde wegen seiner psychischen Probleme vielleicht gerne eine Therapie machen. Seine Bewährungshelferin unterstütze dies, auch, wenn sie keine Erfolgsaussichten prognostizieren könne, da sie kein Gutachten über die psychischen Probleme des Angeklagten habe.

"Sie müssen endlich ihre Problem in Griff bekommen", sagte die Staatsanwältin. Trotz offener Bewährung und einschlägiger Verurteilungen plädierte sie für eine Freiheitsstrafe von acht Monaten - "letztmals" ausgesetzt zur Bewährung. Zudem müsse er sich mindestens ein Jahr in eine Therapie gegen seine Depressionen begeben und dürfe diese nicht vorzeitig ohne Erlaubnis der Ärzte oder Bewährungshilfe verlassen. Positiv für den Angeklagten sprach auch, dass die Taten schon eineinhalb Jahre her sind und der wirtschaftliche Schaden sehr gering ist. Amtsrichterin Wawerla blieb mit sieben Monaten einen Monat unter der Forderung der Staatsanwältin. Wenn er wegen seiner Depressionen ohne Antrieb sei, müsse er sich helfen lassen. Dafür sei die Bewährungshilfe da.

© SZ vom 26.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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