Amtsgericht:Ausgerastet am Flughafen

Lesezeit: 2 min

Ein 47-Jähriger fühlt sich vom Verhalten eines Taxifahrers provoziert und schlägt zu. Die Richterin spricht von "Selbstjustiz"

Von Gerhard Wilhelm, Erding

"Alle Beteiligten müssen sich wie in einem falschen Film gewähnt haben", sagte die Staatsanwältin. Den Film gibt es allerdings schon: Michael Douglas spielte 1993 in "Ein ganz normaler Tag" einen gestressten Familienvater, der im Stau stehend ausflippt und Amok läuft. So weit kam es zum Glück am 27. April 2018 nicht, aber für einen Taxifahrer endete der Ausraster eines 43-Jährigen am Flughafens dennoch schmerzlich: Er erlitt einen Nasenbeinbruch, eine Schädelprellung und Prellungen an der linke Körperseite. Amtsrichterin Michaela Wawerla hat den 43-Jährigen nun zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung. Zudem muss er ein Antiaggressionstraining machen und 3000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Der Angeklagte gab an, dass es in der Arbeit seit Tagen wegen ständiger Staus am Flughafen sehr stressig gewesen sei. Er arbeitet im Büro eines Shuttlebus-Unternehmens, den Ärger der Fahrgäste durch die dadurch entstandenen Verspätungen habe er am Telefon ausbaden müssen. Am Nachmittag des 27. April habe man im Betrieb einen Kollegen verabschiedet, wobei Alkohol getrunken worden sei. Leider habe man festgestellt, dass die Uhr, die man dem Kollegen schenken wollte, defekt war. Nach dem Umtausch gegen 21 Uhr wollte er mit einem der Shuttlebusse seiner Firma wieder zurückfahren. Zwei Flugbegleiterinnen, die ebenfalls mit ihm im Bus waren, sagten aus, dass der Angeklagte schon dort mit seiner Aggressivität aufgefallen sei. Er habe betrunken gewirkt und eine Bierflasche in der Hand gehalten. Eine nach dem Geschehen entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,2 Promille. An der Ausfahrt des Terminals 2 kam es zu einem Stau, offenbar weil eine der Schranken defekt war und der Verkehr von zweien auf eine Spur verengt werden musste. Was dann passierte, konnte sich der Angeklagte selbst nicht mehr so recht erklären. Er sei halt gestresst gewesen und es sei aus dem Ruder gelaufen. Irgendwie habe er sich von dem Einscheren des Taxis in die Spur des Busses provoziert gefühlt. Auch gutes Zureden des Shuttlebus-Fahrers nützte nichts.

Der 43-Jährige öffnete die Bustür, ging zum Taxi und klopfte an die Scheibe auf der Fahrerseite. Als sie unten war, schlug er zu. Wohl mit der Faust; dass eine Bierflasche beteiligt war, die man später neben dem Taxi fand, konnte nicht bestätigt werden. Der Schlag war so wuchtig, dass der Taxifahrer nach rechts umkippte und sein Kopf auf dem Schoß des weiblichen Fahrgastes landete. Als dieser sich einigermaßen berappelt hatte und schon halb ausgestiegen war, schlug ihm der Angeklagte die Fahrertüre zu. Endgültig draußen, kam es zu einem Handgemenge, bei dem sich der blutüberströmte Taxler nach Aussagen aller Zeugen passiv verhalten habe. Der Taxifahrer wurde zudem als "Dreckskanake" beleidigt.

Der Angeklagte wollte mit dem Shuttlebus wegfahren, dessen Fahrer aber weigerte sich und wartete auf die inzwischen alarmierte Polizei. Der 43-Jährige setzte daraufhin die Flucht zu Fuß fort. Eine Hundestreife stellte ihn wenig später. Er wurde zur Flughafenpolizeiinspektion gebracht, wo er sich nach Angaben eines Polizisten zunächst weiterhin aggressiv und unkooperativ verhalten habe.

Selbst sein Verteidiger musste einräumen, dass der Ausraster seines Mandanten unentschuldbar sei. Die Forderung nach einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung durch die Staatsanwältin sei angemessen und nötig, auch wenn sein Mandant zum Tatzeitpunkt alkoholisiert gewesen sei. Für den alleinerziehenden Vater von drei jüngeren Kindern, der nur rund 1400 Euro netto erhalte, seien die geforderten 2000 Euro Schmerzensgeld aber zu hoch.

Richterin Wawerla sah das allerdings anders und sprach von "Selbstjustiz" des Angeklagten. Statt drei verkündete sie vier Jahre Bewährungszeit und 3000 Euro Schmerzensgeld. Neben dem Antiaggressionstraining muss der 43-Jährige fünf Beratungsstunden wegen seiner offenkundigen Alkohol- und Drogenprobleme absolvieren. Bei seinen sieben Vorstrafen spielten diese eine Rolle. Auch wegen Körperverletzung war er schon einmal verurteilt worden. Vor dem Absitzen der Freiheitsstrafe retteten ihn wohl nur seine drei Kinder. "Die sollen nicht mitbestraft werden", sagte Wawerla.

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: