Aktionstag am Schrannenplatz:Hürden im Alltag

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Behinderteneinrichtungen aus dem Landkreis wollen für das Thema Barrierefreiheit sensibilisieren. Wie schwierig es ist, einen Rollstuhl über eine Rampe zu manövrieren, konnte jeder beim Aktionstag ausprobieren

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

Der Himmel leuchtet strahlend blau. Der Reporter schnappt sich einen der Rollstühle, die in einer Reihe auf dem Schrannenplatz stehen, und versucht, die Hindernisse eines Parcours zu bewältigen. Er sitzt zum ersten Mal in seinem Leben in einem Rollstuhl. Auf dem Boden liegt ein etwa fünf Zentimeter hohes, schmales Brett. Gegenüber des Brunnens sind eine Rampe und eine Wippe aufgebaut. Bereits bei der ersten Hürde, dem Brett, stößt er an Grenzen. Ohne die Hilfe der Frau, die ihn begleitet, hätte er keine Chance; die simulierte Bodenschwelle scheint unüberwindbar. Es sind Hindernisse wie diese, die Menschen mit einer Gehbehinderung jeden Tag meistern müssen. Nicht immer steht ihnen jemand zur Seite, nicht immer sitzen sie im Rollstuhl und nicht immer sind sich die "Laufenden" ihrer bewusst.

Geschicklichkeit und Kraft sind erforderlich, um mit einem Rollstuhl über eine Wippe zu fahren. (Foto: Renate Schmidt)

Um die Menschen für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren, haben am Dienstag verschiedene Behinderteneinrichtungen aus dem Landkreis einen Aktionstag veranstaltet. Auf Initiative der Aktion Mensch informieren die Frühförderung Erding-Dorfen, der Fendsbacher Hof, die heilpädagogische Tagesstätte St. Nikolaus und die Nikolaus-Schule Erding Passanten über die Situation im Alltag. Wer will, kann für einen kurzen Moment am eigenen Leib erfahren, mit welchen Problemen die Betroffenen konfrontiert werden. Sei es die lange Rampe zu einem öffentlichen Gebäude oder der Bordstein in der Fußgängerzone, Hürden lauern an vielen Stellen. Für die Veranstalter ist es wichtig zu zeigen, dass Barrieren keine Randerscheinung sind, die nur wenige Menschen etwas angingen oder vor denen man sein Leben lang gefeit sei. "Das betrifft ja nicht nur den Rollstuhlfahrer, sondern auch die junge Familie mit dem Kinderwagen oder die Person, die einen Rollator braucht", sagt Rosemarie Zampach, Leiterin der Tagesstätte St. Nikolaus. Man sei in den seltensten Fällen darauf vorbereitet, nicht mehr laufen zu können, darauf weist Franz Wallner vom Einrichtungsverbund Steinhöring hin. "Oft kommt man plötzlich in die Situation, etwa nach einem Unfall oder einer Krankheit." Erst dann würden sich viele Gedanken machen, ob und wie behindertenfreundlich ihr Wohnort, ihr Umfeld ist. An einem Transporter hängt ein Plakat mit einer Pfeilskala. Passanten schätzen an ihr ein, wie es um Erding bestellt ist. Die meisten entscheiden sich für die Mitte. Soll heißen: Ansätze sind da, aber es gibt noch viel zu verbessern. Das sieht auch Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) so, wie er bei dem Aktionstag sagte.

Das Überqueren einer Bodenschwelle ist ohne fremde Hilfe nur mit sehr viel Übung möglich. (Foto: Renate Schmidt)

Zurück zu dem unscheinbaren Stück Holz auf dem Boden. Der Reporter versucht es ein weiteres Mal, es aus eigener Kraft zu überwinden. Sich zurücklehnen, den Rollstuhl vorne etwas anheben, leicht Schwung holen und mit einem Ruck hinüber, erklärt die Begleitperson. So schwer kann das nicht sein. Doch, ist es. Die Räder berühren immer wieder das Brett, der Stuhl rollt einige Zentimeter zurück. Beim x-ten Anlauf gelingt es, wenigstens ein Rad auf die Schwelle zu hieven. Die Begleitperson hat Erbarmen und schiebt den Reporter schließlich über das Brett. "Viel, viel Übung, dann klappt es irgendwann", sagt sie. Um die Kurve herum geht es weiter zur zweiten Barriere. Acht Prozent Steigung hat die Rampe, sie ist damit etwas steiler als üblich. Auch sie scheint auf den ersten Blick enorm. Der erste Versuch geht prompt schief, da sich der Reporter zu nah an den Rand manövriert hat. 15 Zentimeter über dem Boden sind in einem Rollstuhl nicht ungefährlich. Doch die Begleitperson steht ja zum Glück gleich daneben und hält fest. Sie gibt Instruktionen für den neuen Anlauf. Schön in der Mitte. Dieses Mal gilt es, sich nach vorne zu lehnen und den Schwung auszunutzen. Es erfordert viel Kraft in den Oberarmen, auf der Rampe nicht zurückzurollen. "Würden Sie Ihr ganzes Leben lang Rollstuhl fahren, hätten Sie Oberarme wie ein russischer Zehnkämpfer", sagt Wallner. Auf der Wippe, dem letzten Teil des Parcours, wird dem Reporter jedoch der ernste Teil dieser Aussage bewusst. Es ist noch schwieriger, als auf der Rampe, weil sich der Untergrund bewegt. Zwei Zentner entwickeln beachtliche kinetische Kräfte, die gebremst werden wollen. Ohne fremde Hilfe auf zwei Beinen laufen können, ist ein Geschenk.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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