Vorstadt oder Kleinstadt:Kampf der Protegés

Lesezeit: 4 min

Brilmayer gegen Niedergesäß - Großgemeinde kontra Idyll

Martin Mühlfenzl

Ob der schon etwas in die Jahre gekommene Eberkopf auch den neuen Sitzungssaal zieren darf, wird eine der ersten Entscheidungen des neuen Landrates sein. (Foto: EBE)

Es hat sie schon einmal gegeben. Jene Phase der Transparenz . Die etwas Älteren werden sich erinnern. Im Jahr 2002 bemühten sich zwei Kandidaten um die Nachfolge von Landrat Hans Vollhardt: Gottlieb Fauth aus Vaterstetten und Alois Lachner aus Ebersberg. Ein Kandidat mit einer enormen Hausmacht, mit dem stärksten aller CSU-Ortsverbände im Rücken, mit dem Segen des damaligen Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Josef Hollerith ausgestattet. Auf der anderen Seite ein Bewerber mit viel Erfahrung, die er sich unter anderem als Mitarbeiter in der Behörde angeeignet und als Ministerialdirektor im Innenministerium ausgebaut hat. Ein ausgewiesener Fachmann der Verwaltung. Doch der Experte Alois Lachner zog damals seine Kandidatur kurzfristig zurück. Der Ebersberger sah sich um alle Chancen gebracht - aus einem gewichtigen Grund: Fauth war der Kandidat des Kreisvorstandes, der sich mehrheitlich für ihn ausgesprochen hatte.

Die Christsozialen haben aus der eigenen Historie viel gelernt - und sie haben diesen Prozess vor allem ihrer neuen Kreisvorsitzenden Angelika Niebler aus Vaterstetten zu verdanken. Sie will mehr Demokratie wagen. Ein flüchtiges Lächeln begleitet die Ausführungen der Europaabgeordneten in der Ebersberger Gaststätte Steirer Eck. Niebler ist anzumerken, dass sie Spaß daran hat, endlich über personelle Neuigkeiten sprechen zu dürfen. Nach Wochen der Spekulation. Nach all den Qualen, die es ihr selbst und ihren Mitstreitern in der Kreisgeschäftsstelle und im Vorstand bereitet haben muss, Stillschweigen zu bewahren. Die Hände auf dem Tisch übereinander gelegt, den Rücken durchgestreckt und mit verschmitzter Vorfreude darf sie verkünden: "Wir haben zwei Kandidaten für die Landratswahl." Zehn Jahre nach dem Rückzug Lachners.

Landrat Gottlieb Fauth zieht sich zum Jahresende von seinem Amt zurück (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Zwei Bewerber also, die in ein "offenes, transparentes und friedliches" Auswahlverfahren gehen sollen, an dessen Ende Mitte Januar die 197 Kreisdelegierten aus allen Ortsverbänden des Landkreises einen Bewerber aufstellen, der dem erkrankten Landrat Gottlieb Fauth nachfolgen soll. Zwei Bewerber, die gleichermaßen für den angestrebten Generationswechsel innerhalb der CSU stehen sollen. Zwei Kandidaten, die - doch etwas überraschend und entgegen vieler Mutmaßungen - diesen Job in der Mammutbehörde mit 400 Beschäftigten auch unbedingt wollen.

Eine Empfehlung wird es nicht geben. Empfehlen müssen sich daher Vaterstettens Bürgermeister Robert Niedergesäß und der Ebersberger Stadt- und Kreisrat Florian Brilmayer. Sie werden in den kommenden Wochen die Ortsverbände im Norden, Süden und Westen des Landkreises besuchen, um Zustimmung werben und dabei viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Niedergesäß und Brilmayer werden die Stimmungslage an der Basis ausloten und dorthin reisen, wo noch Chancen auf den Wandel und Wechsel bestehen. Diese Ausgangssituation erinnert ein wenig an den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, an die Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern - wohl ohne die inhaltliche und persönliche Schärfe des Duells Barack Obama gegen Mitt Romney. Doch mit ein- und derselben Intention: Brilmayer und Niedergesäß müssen die "Swing States" des Landkreises gewinnen, um für den Posten des Landkreises kandidieren zu dürfen. Also jene Mitglieder und Delegierten in den Ortsvereinen überzeugen, die sich noch nicht auf einen Kandidaten festgelegt haben.

Ihre Partei, die Delegierten und auch der Vorstand, würden nicht nach Himmelsrichtungen urteilen, sagt Angelika Niebler. Allein die Qualifikation und Sympathiewerte der Bewerber würden in die Entscheidung der Delegierten einfließen, hofft die Kreisvorsitzende. Doch die CSU war und ist auch immer eine Partei des Proporzes, des Ausgleichs innerhalb einer Region und der unterschiedlichen politischen und sozialen Strömungen. Und natürlich eine Partei der Mächtigen, Strippenzieher und Macher, der Protegés und Förderer, der Kumpanei und Abhängigkeiten. Von diesem Bild will sich Angelika Niebler verabschieden, offen und lebendig, jünger und weiblicher und eben demokratischer soll sich ihre CSU präsentieren. Allein: Im Kampf um Macht wird sich selbst die so selbstbewusste Kreisvorsitzende alten Ritualen und Grabenkämpfen nicht widersetzen können.

Robert Niedergesäß hat schon Erfahrung in der Leitung einer Behörde. CDer 41-Jährige ist seit 2001 Vaterstettens Bürgermeister (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Der Proporz wird eine Rolle spielen, auch wenn niemand in der Partei dies zugeben will. Niedergesäß und Brilmayer entstammen den mächtigsten Ortsverbänden der CSU; der eine aus der städtisch geprägten Großgemeinde am Rande der Landeshauptstadt, der andere aus der noch immer als Idyll verschrienen Kreisstadt am Rande des Forstes. Beide Ortsverbände gehören derselben Partei an - und doch scheint sie Welten zu trennen. In kaum gespielter und gerade noch zurückhaltender Art und Weise begegnen sich Christsoziale aus dem Westen und Süden - denn natürlich spielen Himmelsrichtungen eine Rolle - gerne mit spürbarer Abneigung. Wird im Süden über den Heimat-Ortsverband der Kreisvorsitzenden gesprochen, fällt oft und gleichermaßen mit Bewunderung und Missbilligung der Begriff "Clique" - "Vaterstettener Clique". Der Erfolg des mitgliederstärksten Verbandes weckt Neid - die Partei von Michael Niebler, Martin Wagner und Robert Niedergesäß regiert mit äußerst komfortabler, absoluter Mehrheit. Der Wille und das Wort der Vaterstettener im Kreis haben Gewicht. Mit Vehemenz werden sich Niebler und Wagner der Kandidatur Brilmayers entgegenstemmen - ein Landtagsabgeordneter aus dem Süden und womöglich eine Bundestagsabgeordnete aus dem Norden müssen reichen: Der Westen wird versuchen, Niedergesäß mit allen Mitteln durchzudrücken.

Bei der Nominierung seines Vaters zum Bürgermeisterkandidaten war Florian Brilmayer (rechts) Kreis- und Stadtrat, bald könnte er das Landratsamt leiten. (Foto: EBE)

Dies werden "die da draußen" im Kampf um Stimmen bei der Kandidatenkür zu spüren bekommen. Letztlich wird die oft spöttelnde Herabsetzung, die Ortsverbände im Süden des Kreises durch den Westen erfahren, aber dafür sorgen, dass sich Niedergesäß einer Phalanx dieser Ortsverbände gegenüber sehen wird. Glonn, Aßling, Frauenneuharting, Steinhöring - all die Christsozialen in den Gemeinden fernab der "Großgemeinde" werden sich auf Brilmayers Seite stellen. Bleiben der Norden und die Verbände in Poing und Markt Schwaben - zwei "Swing States", die sich auf das Werben der Kandidaten einstellen dürfen. Und der heillos zerstrittene Ortsverband der Grafinger CSU. Dort wird sich entscheiden, wer für die CSU als aussichtsreichster Bewerber ins Rennen um das Landratsamt gehen wird. In einem fairen und transparenten Prozess. Und entgegen der Tradition der CSU durch eine echte Wahl.

© SZ vom 01.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: