Kabarett im Alten Kino:Mehr als blattonische Liebe

Lesezeit: 2 min

Sprechloses Duo "Ohne Rolf" lässt dem Publikum die Augen übergehen

Ulrich Pfaffenberger

EbersbergSonntag- bis Donnerstagabend bekommen wir die vorhersehbaren Dialoge in den Talkshows serviert. Vorhersehbar, obwohl sie eigentlich überraschend sein sollten. Freitag ist Pause. Samstag gehen wir dann ins Alte Kino und konsumieren die überraschenden Dialoge. Obwohl sie eigentlich vorhersehbar sein sollten, zumindest wenn "Ohne Rolf" auf der Bühne stehen und sich Blatt für Blatt durchs vorgedruckte Geschehen blättern.

Nach "Blattrand" und "Schreibhals" servieren Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg ihr inzwischen drittes Programm "Unferti" und haben dabei ein fast schon beklemmendes Maß an perfektionierter Absurdität erreicht. Die Tempi der Abläufe - sie scheinen mit der Atomuhr aufs Tausendstel genau dramatisiert und exerziert. Der Dezibelwert des Plakatraschelns - er differenziert die Stimmungen mehr im gefühlten als im messbaren Ultraschall-Bereich. Der Wechsel der Perspektiven und Geistesebenen - er springt mit der Eleganz und Unvermutbarkeit eines Neutrons. Das Publikum ist ganz Auge, gefangen von der Brillanz des Textbuchs und gebannt von der Lakonie der beiden, ja: Blättermacher. Das Lachen, das sich befreiend entlädt, ist so echt, wie Lachen nur sein kann.

Zu den herausragenden Merkmalen des neuen Programms gehört, dass erstens der eigentliche Inhalt bis zur Pause schon erzählt ist. Zweitens greift sodann eine dritte Person ins Stück ein, von der - das Haupt unter einer Papiertüte verborgen - man vermuten möchte, dass sie Rolf ist, von der man aber erfährt, dass es sich um den Autor handelt, den allwissenden Schriftführer, von dem sich die beiden Blättermaxen befreien wollen. Eine geschickt gewählte Stilform, die dank ihrer Beliebtheit im Genre den Verdacht nährt, dass sich "Ohne Rolf" von Comics inspirieren ließen, ihre papierenen Botschaften die Rolle der Sprechblasen übernehmend.

Aberwitzige Regieeinfälle wie die Mückenplage der rosafarbenen Post-it-Papierchen, die sich später als freischwebende SMS erweisen, die Papiertaschentücherschachtel, die stilrichtig mit "Danke" und "Bitte" beklebt ist, der Gedankenfang per Klingelbeutel im Saal, der erotische Tanz der Giraffe oder die Fähigkeit von Jonas und Christof zum aussagestarken Scherenschnitt - sie alle lassen die Gäste verzücken und im aufmerksamen Stammpublikum Ahnungen von "Mörd!" aufkeimen.

Spätestens als die beiden auf der Bühne mit der Transkription von "Görl Ei Wanna Mäik Ju Swet " und "O Röwar Monami" das Karaoke neu definieren, ist einer neuen Sprache die Blattform geebnet, füllt eine Atmosphäre von anarchischer Liebe zum Wort und zum ganzen Satz den Raum, die das Herz pochen lässt und die Sinne durcheinander wirbelt. Wenn auch noch düstere Gedanken auf grauem Papier daherkommen und die freiheitssuchenden Umblätterer dank Klebeband ihre eigenen Botschaften in Schwarz auf Weiß auf Schwarz zum grobschlächtigen Gegenentwurf der glatten Papierform des Autors präsentieren, wenn die Spieler die Rollen und die Rollen die Spieler wechseln sowie ein Akkordeon ans Publikum ausgegeben wird - spätestens dann sind alle Zweifel ausgeräumt, dass hier etwas geschieht, das man erlebt haben muss, um es glauben zu können.

Ob es den allwissenden Autor gibt, blieb an diesem Abend offen. Dass der Satz "Ich bin PLAKAtheist" eine tiefere Wahrheit enthält, dagegen nicht. Das voll besetzte Haus unterstrich ihn mit begeistertem Applaus.

© SZ vom 22.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: