Ebersberg:Meuterei auf dem Parteitag

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Einig war man sich nur bei der Auswahl des Mittagessens. Deftiges servierten die Piraten im Anzinger Forsthof bei der Kampfabstimmung um das Amt des Vorsitzenden.

Martin Mühlfenzl

Wie sehr sich die Bilder doch gleichen: Egal ob im Berliner Abgeordnetenhaus oder in der Anzinger Sportgaststätte - wo die Piraten tagen, hält moderne Technik Einzug. Beinahe auf jedem Platz im Forsthof steht an diesem Samstag ein Laptop und jede Menge Kabel durchziehen den Raum. Der Beamer lässt auf der Leinwand die im Minutentakt aktualisierte Homepage erstrahlen.

Der Kreisverband der Piratenpartei hält ein Jahr nach seiner Gründung seine erste ordentliche Kreisversammlung ab - und übt sich in gelebter Demokratie. Denn in einer Kampfabstimmung, der allerdings das Flair der demokratischen Auseinandersetzung gänzlich fehlt, entscheiden sich die Mitglieder mehrheitlich für den Plieninger Michael Nausch (44) als neuen Vorsitzenden. Der unterlegene bisherige Chef der Kreis-Piraten, Sebastian Hietl (24), nimmt die Niederlage gelassen zur Kenntnis und lässt sich wenige Minuten später zu Nauschs Stellvertreter wählen. "Ich habe es eh nicht so gerne, mich in den Vordergrund zu stellen", sagt der bisherige Kreischef. "Das überlasse ich gerne anderen."

So rückt Nausch vom einfachen Mitglied in der zweiten Reihe in den Vordergrund und führt künftig einen Kreisverband, der sich an die althergebrachten Konventionen und Regularien der Parteiendemokratie erst noch gewöhnen muss. Bei ihrer Kreisversammlung dauert es geraume Zeit, ehe sich der noch amtierende Vorstand um Sebastian Hietl und seinen Stellvertreter Peter Martischka in den Wirrungen von Geschäfts- und Wahlordnung zurecht findet. "Es ist halt leider so, dass wir diesen ganzen Kram durchziehen müssen", stellt Martischka als Wahlleiter angesichts der strengen Regularien fest, an die sich demokratische Parteien zu halten haben. Die Akkreditierung der Mitglieder, die Nominierung der Kandidaten, das Ausstellen der Wahlscheine, die detailgetreue Achtung der Wahlordnung. Was Kommunalpolitiker der etablierten Parteien im Schlaf beherrschen, scheint den Piraten ein wenig auf die Nerven zu gehen.

Dennoch entscheiden die sieben stimmberechtigten Mitglieder - auch bei den Piraten dürfen Gäste nicht wählen - in Rekordzeit über den Vorstand. Dem neuen Führungsduo steht im dreiköpfigen Vorstand weiterhin Andreas Kriesmer als Kassier zur Seite. Die von Hietl angestoßene Debatte über eine Erweiterung des Vorstandes um zwei Beisitzer ersticken die Mitglieder und Gäste indes im Keim. "Warum sollten wir zwei weitere Mandate schaffen? Wir tagen doch eh immer offen und jeder kann kommen und mitarbeiten", findet Michael Nausch. Der zu diesem Zeitpunkt Noch-Vorsitzende Hietl und seine Unterstützer beugen sich dieser Sicht und stimmen letztlich ebenfalls für die bisherige Regelung.

Darüber hinaus findet eine programmatische Debatte nicht statt. Ohnehin scheinen die Piraten ein außergewöhnliches Verhältnis zu Veranstaltungen dieser Art zu pflegen. Hervorragend funktioniert die kollektive Auswahl des Mittagessens - ohne Murren schreibt jeder seinen Namen hinter ein Gericht auf der Speisekarte. Weitere Positionierungen bleiben in der Folge aber aus: Kein Wort über den Weg in die Kommunalparlamente, keine Anleitung zur Stärkung oder Verankerung in den Städten und Gemeinden, keine Antworten auf drängende Fragen der Kreispolitik.

Selbst die üblichen Piraten-Parolen zur Freiheit im Netz und zum barrierefreien Zugang zum Internet bleiben aus. Möglicherweise halten es Nausch und Hietl nicht für notwendig, vor den eigenen Sympathisanten das Mantra der Liberalität hochzuhalten. Vielmehr schwelgen die Piraten in der Erinnerung an den Sieg des Landesverbandes in Berlin. "Das ist der Hype, den wir gebraucht haben", sagt der neue Vorsitzende. "Jetzt geht es für uns so richtig los." Wohin, steht aber nicht einmal auf der gerade aktualisierten Homepage. (Kommentar in der gedruckten Ausgabe vom 10. Oktober 2011)

© SZ vom 10.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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