Ebersberg:Freundschaftsdienst an der Kunst

Der Baldhamer Maler Martin Ritter ist vor zehn Jahren gestorben - um sein Erbe zu erhalten, bauen Freunde sein Haus zur Begegnungsstätte um.

Lena Grundhuber

Die Kälte beherrscht das Haus. Eine Kälte, gegen die kein Tee, kein Heizstrahler und kein Zehenwackeln etwas ausrichten können. Das graue Häuschen im Baldhamer Fuchsweg, in dem der Künstler Martin Ritter mit seinem Sohn Ulrich lebte, lag nach dem Tode beider jahrelang wie in Totenstarre. Erst vor ein paar Monaten sind die Bilder und Bücher, die Kissen und die Kaffeetassen so richtig in Bewegung geraten. Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht gleich sieht: Hier wird aufgeräumt.

Ebersberg: Die Atmosphäre des Hauses als Wohn- und Arbeitsstätte soll erhalten bleiben.

Die Atmosphäre des Hauses als Wohn- und Arbeitsstätte soll erhalten bleiben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor etwas mehr als zwei Jahren hatte sich der Künstlerkreis "Notturno", ein Zirkel aus Freunden der Verstorbenen, gegründet. Erklärtes Ziel des neuen Vereins war, das Erbe des Kunstmalers und seines Sohnes zu bewahren, der als literarischer "Interpret" auftrat und 2007 - nur sechs Jahre nach dem Vater - starb. Die drängendste Frage ist inzwischen geklärt: die nach dem Erbe. Ulrich war als kleines Kind von Martin Ritter und seiner Frau adoptiert worden und hatte kein Testament hinterlassen.

Der Besitz fiel also an seine Halbgeschwister. Ende vergangenen Jahres haben die Rechtsnachfolger dem Freundeskreis mit seinen 18 Mitgliedern nun das komplette Erbe inklusive des wertvollen Grundstücks und des künstlerischen Nachlasses geschenkt, "unter der Voraussetzung, dass sie nicht in irgendeiner Weise tangiert werden", erklärt Irene Dingler.

Ihr Mann Peter Dingler, vormals Vaterstettener Bürgermeister, kümmert sich als Rechtsanwalt um die juristische Seite, Irene Dingler ist an diesem Wintervormittag wieder einmal hier, um sich zusammen mit einer Handvoll Freunde um die praktischen Belange zu kümmern. Was bedeutet, Ordnung zu schaffen. Einzig die Küche lässt erahnen, wie es hier einmal aussehen könnte. Der Müll ist raus, stattdessen gibt es eine ordentliche Küchenzeile mit Kaffeemaschine. In anderen Zimmern herrscht nach wie vor ein Sammelsurium aus Bildern, Büchern, Fotos, Kerzenständern und Tüten vor. Dies alles zu sichten, ist für die engagierten Helfer ein später Freundschaftsdienst.

Martin Ritter habe seine Freunde ausdrücklich darum gebeten, für den Erhalt zu sorgen, erzählt Dingler, die eine ideelle Verpflichtung fühlt: "Wir wollen ihm den Namen in der Kunstszene verschaffen, den er verdient." Welchen Stellenwert Martin Ritters umfangreiches Werk aus verschiedenen malerischen und grafischen Stilen haben könnte, wie groß der Nachlass und wie viel er wert ist, davon haben sich die Erben allerdings noch kein abschließendes Bild gemacht - erst einmal muss das Haus in Form gebracht werden.

Der Freundeskreis will den Charakter einer Wohn- und Arbeitsstätte konservieren, die Bilder sicht- und die Tondokumente Ulrichs hörbar machen. Eine "Begegnungsstätte", so etwas wie das Gabriele-Münter-Haus in Murnau, stellt sich Vereinsvorsitzender Heiner Neumann-Neupert vor. Ein Ort, an dem man nicht nur Bilder betrachten, sondern zum Beispiel auch Vorträge hören kann. Da der Verein gemeinnützig ist, habe man einen gewissen Bildungsauftrag zu erfüllen, sagt Neumann-Neupert.

Hunderte Bilder Martin Ritters haben die Freunde bereits aus ihrem Lager im Vaterstettener Bauhof ins Haus geschafft. Die Scherenschnitte, die Ölbilder und Zeichnungen, das vielgestaltige Lebenswerk eines der letzten expressionistischen Maler in Deutschland hängt nun an den Wänden und in den Gängen oder ist in zwei kleinen Atelierräumen zwischen alten Gerätschaften, Büchern, Möbeln und Pinseln untergebracht. Im Gang verputzen die "Notturnos" derweil die Löcher in den Wänden. Man habe das Gesamtwerk an einem Ort haben wollen, begründet Peter Dingler die Entscheidung, die Sachen "nach Hause" zu bringen. Außerdem habe der Bauhof Bedarf für das Lager angemeldet, also habe man im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden, die Bilder an ihrem Entstehungsort zu lagern. Um deren Wohlergehen müsse man sich deshalb keine Sorgen machen: "Dazu sind wir viel zu verliebt in sie."

Auch in der Gemeinde scheint man sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen: Man habe die Bilder nicht aus dem Keller heraus gezwungen, sagt Bürgermeister Robert Niedergesäß. Doch er gehe davon aus, dass die Sache in guten Händen sei. Im Übrigens helfe man gern, "auf Zuruf".

Ein Gesamtsanierungskonzept für das renovierungsbedürftige Nachkriegshäuschen scheint es nicht zu geben. Der dafür nötige "große Batzen" Geldes sei nicht da, sagt Peter Dingler. Allerdings existiere ein Gönner, der finanziell weiterhelfe, aber ungenannt bleiben wolle. Die "lebensnotwendigen Funktionen" habe das Haus, ansonsten machten die Vereinsmitglieder vieles selber, so Dingler. Die Finanzierung müsse man langfristig wohl durch den Verkauf von Bildern sichern, wie Neumann-Neupert sagt. Respekt vor dem Projekt scheint er selbst zu haben: "Vielleicht ist es höllisch naiv, was wir hier machen."

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