Bedrohliches Karzinom:Bevor es zu spät ist

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150 neue Darmkrebs-Patienten pro Jahr behandeln die Ärzte in der Ebersberger Kreisklinik. Eine Vorsorgeuntersuchung könnte Menschenleben retten und schwierige Operationen verhindern

Von Sophie Rohrmeier

Rötlich-orange glänzend liegt der Darm in seinen Windungen da, der Bauch ist mit Kohlendioxid aufgepumpt. Die Orientierung hier will geübt sein, die Bauchschlagader ist in der Nähe. Es ist hell im menschlichen Inneren. Der Chirurg im Operationssaal II der Ebersberger Kreisklinik tastet sich mit Schere und Zange an die kranke Stelle heran: Darmkrebs. Die zweithäufigste Todesursache bei den Krebserkrankungen. Im Landkreis Ebersberg sind 2011 allein 26 Menschen daran gestorben. Diese Zahlen des Landesamtes für Statistik alarmieren auch die Kreisklinik Ebersberg. Zumal die meisten Todesfälle durch Früherkennung zu verhindern wären.

Etwa 150 neu erkrankte Darmkrebs-Patienten pro Jahr behandeln die Ärzte in der Ebersberger Kreisklinik, zudem rund 500 Patienten mit Vorstufen der Erkrankung. "Und dazu kommen noch mal so viele, deren Darmpolypen in den Praxen der niedergelassenen Fachärzte entfernt werden", sagt Thomas Bernatik, Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin. Im Durchschnitt entwickelt laut Kreissl jeder Siebte in seinem Leben ein Darmkarzinom. Einem Spezialisten für Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts sei sofort klar, ob ein Gewächs im Darm gut- oder bösartig ist. Polypen, also Wucherungen der Darmschleimhaut, sind die häufigste Vorstufe von Darmkrebs. Je älter und größer sie sind, desto höher die Gefahr, dass sie bösartig werden. Aber Peter Kreissl,Chefarzt für Allgemeinchirurgie und ärztlicher Leiter des Darmzentrums in der Kreisklinik, betont: "Frühe Krebsstufen sind durch das Abtragen der Polypen allein schon geheilt."

Anders die Wucherung des Patienten, der heute auf seinem OP-Tisch liegt. Sie muss entfernt werden. Eine Kamera filmt den Bauchraum von innen. Blaue Äderchen durchziehen das Organ, gelbes Fett flutscht in schleimigen Inseln hin und her. Chirurg Kreissl kontrolliert seine Bewegungen über den Bildschirm. Er muss den kranken Teil des Darms finden, herausschneiden - und dann die zwei Enden wieder zusammenfügen. Ein heikles Unterfangen, trotz der guten Erfolgschancen. "Bei dem, was ich mache, kann etwas passieren", sagt der Operateur. Deshalb raten er und seine Kollegen zur Vorsorge. "Der Normalbürger muss verstehen, dass eine einfache Untersuchung viele Komplikationen spart", so Kreissl. Nicht nur die Probleme, die bei einer OP auftreten können - wenn auch, wie Keissl betont, selten. Sondern die volle Ausprägung der Erkrankung.

Bei der minimal-invasiven Operation heute führt Chirurg Peter Kreissl durch drei kleine Schnitte Kamera, Schere und ein Greifwerkzeug in das Bauchinnere, arbeitet sich vor bis zu dem Geschwür. Vor jedem Schnitt prüft er, was zwischen den Schneiden liegt. Dann klackt es - und im Bauchinneren steigt Dampf auf. Die Schere erhitzt sich, wenn Kreissl mit seiner Hand den Mechanismus betätigt. An der Schnittstelle bleiben kleine Brandspuren. Doch so weit hätte es nicht kommen müssen.

Auffällige Stuhlunregelmäßigkeiten oder Blut im Stuhl sind ein Warnsignal. Aber Betroffene, so die Erfahrung von Kreissl, sagen oft: "Das sind bloß die Hämorrhoiden." Warte man aber ein halbes Jahr, könne es schon zu spät sein. Komme es zum Darmverschluss, dann ist der Krebs weiter fortgeschritten. Gebe es bereits Fernabsiedlungen, in der Leber zum Beispiel, dann treten die unspezifischen Symptome von Krebs auf: Bauchschmerzen, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Schwäche. "Der Krebs zieht die Energie aus dem Körper."

Aber: Neun von zehn Patienten überleben die Erkrankung, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Gesetzlich Versicherte haben dabei im Alter von 50 bis 55 Anspruch auf einen jährlichen Stuhlbluttest, ab dem 56. Lebensjahr können sie zudem zwischen diesem, alle zwei Jahre, oder zwei Darmspiegelungen im Abstand von zehn Jahren wählen. Wenn nichts gefunden wird, reicht eine Untersuchung alle zehn Jahre, wurde einmal etwas entfernt, dann alle fünf. Die Intervalle der Vorsorge seien darauf ausgelegt, nichts zu übersehen, sagt Bernatik. Wichtig sei auch, an die Vorsorge selbst zu denken. Der Kontakt mit dem Hausarzt sei oft zu selten.

Das Abführmittel, ein Schlauch in den After, das sei "nicht jedermanns Sache", das gesteht Kreissl den Patienten zu. Und dennoch: "Man muss den Menschen die Scheu und die Scham nehmen." Denn die Erfahrung der Ärzte ist: Die Patienten spüren von der Darmspiegelung nichts. "Die wachen auf und sagen: Wann geht's denn los?", erzählt Bernatik. Belastend ist also nicht die Spiegelung selbst, die sei dank der Medikamente völlig schmerzfrei. Manche hätten Probleme damit, das Abführmittel zu schlucken. Das schmecke aber inzwischen besser. Die Gefahren bei der Untersuchung selbst dürfen die Ärzte zwar bei der Aufklärung nicht verschweigen, etwa die Darmperforation. "Aber das ist wirklich extrem selten", sagt Bernatik. Treten Blutungen auf, können diese meist gut behandelt werden. "In 99 Prozent der Fälle kann man auch diese Komplikationen beheben."

Ein Hauptgrund dafür, dass viele nicht zur Spiegelung gehen, ist Verdrängung, sagt Chirurg Kreissl: Die Angst, dass der Arzt etwas findet. Er selbst indes hat sich schon spiegeln lassen. Der 54-Jährige sieht seine Patienten täglich. Er weiß, was Krebs anrichten kann. Ginge jeder zur Vorsorge, so könnte die Rate derer, die an Darmkrebs erkranken, deutlich sinken, sagt Thomas Bernatik: "Die Reduzierung der Fälle wäre dramatisch." Aktuell gehen von 100 Menschen höchstens zehn zu der Untersuchung, so Chirurg Kreissl. "Aber die, die jetzt nichts machen, kommen irgendwann." Und dann werden vielleicht, wie heute im OP-Saal II, 20 Zentimeter Darm durch den Nabel gezogen und in ein silbernes Schälchen fallen.

© SZ vom 26.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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