Anschauliche Heimatkunde:Glücksfall für die Geschichtsschreibung

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Funde und Dokumente der Jubiläumsausstellung "1200 Jahre und mehr" im Rathaus Zorneding sind eine historische Quelle ersten Ranges und wecken nostalgische Erinnerungen.

Rita Baedeker

Aus heutiger Sicht erscheint das Foto vom Bahnhof aus dem Jahr 1870 geradezu märchenhaft: Es zeigt ein stattliches Gebäude mit sage und schreibe neun Bahnbediensteten, die stolz in die Kamera blicken. Angesichts der heutigen Ödnis an selber Stelle kann man da schon wehmütig werden . . . Das Bahnhofsbild aus besseren Zeiten dokumentiert zusammen mit einer Vielzahl von Karten, Briefen und Gedenkblättern samt Zornedinger Poststempeln aus der Privatsammlung von Helmuth Fritsch ein Stück Heimatgeschichte.

Bei der Vernissage der Jubiläumsausstellung "1200 Jahre und mehr" im Rathaus rühmt Bürgermeister Piet Mayr zu Recht die vom Heimatkundekreis Zorneding, dem Briefmarkensammlerverein Vaterstetten und der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege konzipierte Ausstellung als sichere Basis für die weitere Geschichtsschreibung. Allein die 2006 entdeckten Gräber aus dem sechsten Jahrhundert am Ingelsberger Weg seien ein Glücksfall für die Forschung. Da es sich bei den Toten um bessergestellte Personen gehandelt habe, fügt er listig hinzu, sei er sicher, dass diese am Kapellenberg gewohnt haben müssen. Und erntet bei den rund hundert Gästen wissendes Gelächter.

So wie die Funde aus dem frühen Mittelalter, birgt auch die Sammlung Fritsch einzigartige historische Schätze: Amtlicher Schriftverkehr, alte Briefe mit besonderer Aura, Briefe, die von der Akkuratesse und dem Fleiß eines Schreibers künden, Briefe, die Freude, Trauer und Verdruss brachten. Ersttagesbriefe mit Sonderstempeln zu irgendeinem besonderen Anlass, etwa der Jugendausstellung 1994, sind eine weitere Bereicherung der Schau. Kuriosität am Rande: Auf einigen historischen Kuverts ist das "Z" von Zorneding, vermutlich unabsichtlich, verkehrt herum gedruckt.

Der zur 1200-Jahrfeier herausgegebene Sonderstempel samt Gedenkblatt und Schmuckkuvert ist jetzt schon ein wertvolles Sammlerstück. Die Marke mit dem Motiv der "Alten Post" kostet 1,50 Euro. Am Festsonntag, 30. Juni, wird im Festzelt ein Postamt eröffnen. Dort kann man Briefe mit Marke und Stempel gleich aufgeben. Auch die Postkarten, darunter eng beschriebene Urlaubsgrüße, Luftaufnahmen, verschnörkelte Dorfansichten, sind ein Stück Geschichte und wecken nostalgische Gefühle. Besucher studieren gerührt die Fotos, rätseln, deuten auf das eine oder andere Motiv, eine Villa, ein Porträt.

Herzstück der Ausstellung sind die vom Heimatkundekreis Zorneding in jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit zusammengestellten Schautafeln. Sie dokumentieren die Entwicklung der Gemeinde von der ersten urkundlichen Erwähnung 813 bis heute. Ratolts Gelöbnis kann man Wort für Wort nachlesen. "Im Namen des höchsten und erhabenen allmächtigen Gottes", so erklärte er, übergebe er all seinen Besitz in dem Ort, der Zornkeltinga genannt wird, dem Altar der Heiligen Maria in Freising - für sein Seelenheil und das seiner Vorfahren. Muss ein ziemlich schlechtes Gewissen gehabt haben, dieser Ratolt.

Emmi Heder, Vorsitzende des Heimatkundekreises, schlägt einen Bogen von Ratolt zum Reihenhaus und zählt wichtige Ereignisse der Chronik auf, Grundherrschaft, Hunger, Krieg. Von 1550 bis 1800 sei Zorneding der größte Ort im Gericht Schwaben gewesen. Als 1802 ein großes Feuer wütete, wurden neben zahlreichen Gebäuden auch die meisten Dokumente vernichtet. Erst der Bau der Bahn 1872 habe dem Dorf neuen Schwung gebracht.

Im oberen Stockwerk dann der "Kulturschock". Dort ist Schritt für Schritt das Neubaugebiet am Daxenberg dokumentiert. An dieser Anhöhe, die früher Huiberg hieß, sei es zu einem Zustrom "vieler Fremder, die sich selber noch fremd waren", gekommen, sagt Heder mit mildem Sarkasmus. "Wie ein Naturereignis" sei zu Beginn der Siebzigerjahre die Siedlung über Zorneding hereingebrochen. So ungewohnt war offenbar der Name, dass auf dem ersten Schild "Dachsenberg" statt "Daxenberg" stand, berichtet Helmuth Fritsch. "Nach ein paar Tagen haben sie den Fehler bemerkt und das Schild ausgetauscht." Dokumentiert ist auch die Gemeindegebietsreform von 1978, bei der Zorneding und Pöring zwangsverheiratet wurden und ihrer westlichen "Kolonien" verlustig gingen. Pöring musste seine "Waldkolonie" und Zorneding die "Kolonie Baldham" an Vaterstetten abgeben.

Wer sich jetzt fragt, wo in der Ausstellung die Menschen geblieben seien, erklärt Heder, dem müsse sie antworten: "Wir konnten das Rathaus leider nicht aufstocken." Im Buch über Zorneding, das im Herbst erscheine, werde das nachgeholt.

Beim Gang durchs Rathaus erinnern sich viele wehmütig an vergangene Zeiten, als es keinen Daxenberg gab und Pöring weit weg schien. Neben Liedern aus dem 15. und 16. Jahrhundert haben die Mitglieder des Kammerchors a cappella, der die Eröffnung begleitet, auch dazu ein Stück auf Lager: Es heißt "Die Wahrheit" und endet, leicht verändert, so: "So fahr der Teufel ins Heu, nach Pöring in das Heu."

Die Ausstellung ist bis 13. September zu den Öffnungszeiten zu sehen. Die Ausstellung von Helmuth Fritsch und dem Sammlerverein bis 5. Juli.

© SZ vom 24.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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