Drogenszene München:Katz-und-Maus-Spiel in Schwabing

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Observieren, warten, zugreifen - der Kampf gegen Drogendealer und Produzenten ist mühevoll. Susi Wimmer hat die Drogenfahnder des Landeskriminalamtes bei einem ihrer Einsätze begleitet.

Der Mann, der an diesem Nachmittag aus seiner Altbauwohnung auf die verregnete Adalbertstraße tritt, ist Mitte 30, dunkles Haar, durchschnittlicher Typ, braune Hose, knallblaue Turnschuhe. Er wirkt nervös und fahrig, schaut immer wieder auf die Uhr und fingert an seinem Handy herum.

Noch ist er ahnungslos.

Die Luft im Auto ist drückend schwül. Aus dem Funk rauschen gelegentlich Wortfetzen, ein paar Regentropfen klatschen wie fette Mücken gegen die Scheibe. Die Ziffern auf der Digitaluhr am Armaturenbrett scheinen im Schneckentempo umzuspringen. Der dunkle Wagen des Landeskriminalamtes parkt mitten in Schwabing an der Augustenstraße.

Thomas Weber und seine Kollegen vom Rauschgifteinsatzkommando des Landeskriminalamtes (LKA) haben für heute eine Drogenrazzia angesetzt. Also rein in den Laden, Waffen gezückt, alle die Hände gegen die Wand und her mit der Ware. So wie im Film. Von wegen. Die Fahnder müssen noch etwas anderes perfekt beherrschen: warten, warten und nochmal warten.

Warten. Wie so oft. Die Ermittler haben sich unauffällig an diversen Straßenecken postiert - zu Fuß, auf zwei oder vier Rädern. Alle Augen sind auf ein kleines Cafe mit Markise in Schwabing gerichtet. Hierhin soll er kommen. Der Typ, der nach Informationen aus der Szene seit einiger Zeit mit einem Fahrrad die Gegend rund um den Alten Nördlichen Friedhof abfährt und in Kleinmengen Heroin verkauft.

"Heroin ist die gängige Straßendroge", sagt Weber. Auch München sei, was Drogen anbelange, keine "Oase der Seeligen". Vom Straßendealer bis zum Großimporteur finde man hier alle Figuren aus der Rauschgiftszene. Welcher Typ sie heute erwartet, wissen die Männer und Frauen des LKA noch nicht. Nur: "Dass er mit einem schwarzen Hollandrad unterwegs ist."

Tipps aus der Szene

Beim Landeskriminalamt in München und Nürnberg kümmern sich etwa 110 Fahnder und Sachbearbeiter von Polizei und Zoll um Rauschgift-Delikte. Die Spezialisten werden von Kollegen aus ganz Bayern bei größeren Fällen um Unterstützung gebeten. Die Fahnder ermitteln, observieren und nehmen Konsumenten wie Dealer fest.

Zwischen den aktuellen Einsätzen kümmern sie sich auch um Tipps aus der Szene. So wie heute. "Keine Ahnung", sagt Weber, "wie das ausgeht".

Der erste Akteur im heutigen Fall hat zwei lange Beine, ist weiblich und stöckelt auf hohen Sandalen im Military-Rock in Richtung Cafe. "Die kennen wir", entfährt es Weber überrascht. Will heißen: Die Dame ist in der Drogenszene keine Unbekannte. Woher die Beamten wissen, wer, wann, wo und warum an diesem Tag aufkreuzt und wieder verschwindet, soll Verschlusssache bleiben. Ebenso wie die wahren Namen der Drogenfahnder, der Täter und der Mitspieler.

Ob Freund oder Feind, das kann der Außenstehende an diesem Tag auf die Schnelle nicht beurteilen. Jedenfalls kommt mit der Dame Bewegung in die Sache. "Ich geh rein", funkt eine Beamtin. Und wenig später: "Sie steht an der Bar." Minuten verrinnen. Weber, etwa Anfang 30, blond, in Karohemd und Dreiviertel-Hose, will es ruhig angehen. "Auffallen brauchen wir nicht, wir haben um 17 Uhr unseren Termin", meint er geheimnisvoll.

Und dann kommt Robert G. Er hat einen Typen mit Käppi und Polohemd im Schlepptau. Sie verabschieden sich. Dann setzt sich G. auf sein schwarzes Hollandrad und tritt in die Pedale. Mit dem grünen Regenschirm in der Hand sieht er aus wie einer, der gerade zur Arbeit fährt. Jetzt unauffällig bleiben: Er radelt in etwa zwei Metern Entfernung am LKA-Auto vorbei.

Motor starten und hinterher. Wieder geht die Verfolgung durch Schwabing. Weber scheint alle Seitenstraßen wie seine Westentasche zu kennen. Adelbertstraße, Türkenstraße - Einbahnstraße. Schnell außenrum. Für wenige Der Scheibenwischer ruckelt quietschend über das Glas. Alle Augen sind auf das Cafe gerichtet. Nichts passiert. 17.15 Uhr. "Er hat sie versetzt", meint ein Ermittler. In dem Augenblick tritt die Frau auf die Straße. "Ich hab sie vom Radl aus", tönt es über Funk. Und: "Sie geht recht zielstrebig und telefoniert mit ihrem Handy." Einsatzleiter Stefan Schmidt gibt die Kommandos. "Ein Auto in die Tengstraße." Nahtlos wird der Weg der Frau überwacht.

"Wenn die jetzt in die Adalbertstraße einbiegt, dann könnte unser Mann ein Bekannter sein", meint Weber. Und tatsächlich: Sie bleibt vor einem grauen Altbau stehen, in dem Robert G. wohnt. Er war schon des öfteren im Visier der Fahnder, wurde auch schon kontrolliert. "Aber Drogen haben wir bei ihm noch nie gefunden", erklärt Weber. Der dunkle LKA-Wagen parkt in etwa 20 Metern Entfernung. Die Frau ist auf dem Gehsteig in die Hocke gegangen und bedient ihr Handy. Der Himmel hellt sich langsam auf, auf dem Spielplatz gegenüber streiten sich zwei Kinder um eine Schaukel. Der Bub im Brasilientrikot gewinnt.

Die Frau geht weiter, kommt wieder zurück, drückt erneut die Tasten ihres Handys, geht in das graue Haus, steht nach zwei Minuten wieder auf der Straße und telefoniert, scheint zurück zum Cafe zu gehen, kehrt wieder um. "Reines Vorgeplänkel", sagt Weber.

Augenblicke scheint der Verdächtige aus dem Blickfeld der Fahnder verschwunden zu sein. Bis er dem LKA-Wagen auf der Schellingstraße direkt entgegenkommt. "Er muss durch eine Passage gefahren sein", meint Weber. Und: "Vielleicht hat er dort ein Geschäft abgewickelt."

Ziemlich flott und trotzdem ruhig lenkt Thomas Weber das Auto durch das Schwabinger Einbahnstraßen-Labyrinth. Die "Zielperson" schwenkt schließlich in einen Innenhof an der Schleißheimer Straße. Zwei Fahnder, quasi als Fußstreife im Einsatz, überprüfen das Haus: Unten eine Wäscherei, die Namen an den Klingeln deuten auf keine weiteren "Bekannten" hin. Ein Psychiater hat im ersten Stock seine Praxis. 18 Uhr. 18.30. 19 Uhr.

Drogensucht und psychische Probleme hängen oft zusammen

"Kann sein, dass der da eine Sitzung hat", erklärt Weber mit Blick auf die Uhr. Drogensucht und psychische Probleme gehören meist zusammen. 19.55 Uhr. Die "Zielperson" kommt mit einem kleinen, dunkelhaarigen Mann aus dem Haus. Sie stehen vor der Wäscherei, diskutieren und deuten. "Sieht so aus, als ob sie eine Übergabeörtlichkeit ausmachen", meint Weber.

Das Katz-und-Maus-Spiel beginnt von Neuem. Nur, dass diesmal auch noch der zweite Mann observiert wird. Schleißheimer Straße, Zieblandstraße, Görresstraße, Augustenstraße, Adalbertstraße, Josephsplatz. Die drei Akteure kurven getrennt voneinander durch das ganze Viertel.

Rein ins Haus, raus, ins Cafe, in ein Wettbüro, in die Wohnung des einen, dann die des anderen. Immer am Handy, immer in Bewegung. Um 21.30 Uhr ist Robert G. wieder zu Hause. "Wir gehen davon aus, dass er die Ware hat und warten bis 22 Uhr", kommt die Order des Einsatzleiters über Funk.

Für einen Außenstehenden scheint diese Erkenntnis vom Himmel gefallen zu sein. Nichtsdestotrotz stimmt sie: Als Robert G. zehn Minuten später aus dem Haus kommt und sich aufs Radl schwingt, heften sich die Ermittler an seine Fersen und greifen dann an der Ecke Zentner- und Georgenstraße zu.

Eine Beamtin und ihr Kollege holen den Mann vom Fahrrad. Geistesgegenwärtig hatte Robert G. die zwei Säckchen mit Heroin noch unter ein parkendes Auto geschleudert. Aber auch das war den Fahndern nicht entgangen.

"Ja", Weber nickt. "das ist Heroin, gut 20 Gramm." Der Fahnder sitzt wenig später im LKA-Büro in der Maxvorstadt und macht einen chemischen Drogenschnelltest. Ein paar Zimmer weiter sitzt Robert G. In einem Raum mit vergitterten Fenstern und Eisentüre. Die LKA-Männer hatten ihm das Heroin, ein Springmesser sowie Spritzen abgenommen.

"Etwa fünf Jahre Haft", schätzt Weber. Nach und nach trudeln alle Mitarbeiter im Aufenthaltsraum ein. Die Stimmung ist gelöst, es gibt Limo, auf dem Gang stehen die Raucher und unterhalten sich. Einsatzleiter Stefan Schmidt, etwa Anfang 30, durchtrainiert und in Jeans, hockt sich gleich an den Computer und "checkt" den Mann aus der Schleißheimer Straße.

Der "dicke Fisch"

Die persönlichen Sachen von G. sind auf einem Tisch ausgebreitet. Darunter sein Handy. Es klingelt. Die Fahnder fixieren das Telefon. "Das wird wohl der Besitzer des Stoffs sein", meint ein Ermittler. Das Handy verstummt. Ein paar Sekunden später gibt es erneut Laut. Alle starren auf das kleine schwarze Gerät. Dann ist Ruhe. "Jetzt ist der andere wohl gewarnt."

Der Andere, das ist der Mann aus der Schleißheimer Straße. Wie die Ermittler später erklären, ist er wohl der "dicke Fisch", der die Drogen in großen Mengen nach München bringt. Robert G. ist einer seiner Weiterverkäufer. "Und zwar kein kleiner."

Offenbar sollte G. den Stoff an diesem Abend weiterverkaufen und dann gleich mit dem Geld in die Schleißheimer Straße kommen. Den Großhändler heute noch zu besuchen, hätte keinen Sinn: "Der weiß jetzt, was los ist." Die Männer vom LKA allerdings auch. Sie werden ihn im Auge behalten.

Nachts schwärmen die Frauen und Männer des Rauschgiftdezernats nochmal aus dem Haus und durchsuchen G.s Wohnung an der Adalbertstraße. Seine Mutter öffnet, beschwert sich lautstark und hat glasige Augen. "Sie ist wohl auch rauschgiftabhängig", mutmaßt eine Ermittlerin. Die Wohnung ist verstaubt und verdreckt, G.s Zimmer gleicht einer Müllkippe mit gebrauchten Spritzen, Tabletten, Heroin, Schwertern und brutalen Sex-Comics.

Unterdessen flippt Robert G. in seiner Zelle aus. Drogenentzug. Behauptet er. Ein Arzt wird gerufen. Es ist kurz nach Mitternacht, als der Mediziner dem Drogendealer Haftfähigkeit bescheinigt: für Robert G. sicher nicht der letzte Tag, der hinter Gittern endet.

© SZ vom 9.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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