Digitalfernsehen:Roter Knopf - weißes Rauschen

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Ganz einfach? Überhaupt kein Problem? Vom Einstieg in das neue Fernsehzeitalter mit der DVB-T-Box - ein Selbstversuch.

Von Tanja Rest

Vor drei Wochen lag ein Schreiben unserer Hausverwaltung im Briefkasten. Unsere Hausverwaltung schreibt gerne Briefe, die Betreff-Zeilen der letzten drei lauteten: "Trittschall in Ihrer Wohnung"; "Beschwerden wegen zu lauter Musik"; "Trittschall in Ihrer Wohnung (Ermahnung)". Wenn unsere Hausverwaltung uns einen Brief schreibt, ist das kein furchtbar gutes Zeichen.

In der Betreff-Zeile dieses Briefes stand: "Umrüstung der terrestrisch analogen Antennenanlagen". Wir tippten spontan auf Steven Spielberg: Werbefeldzug für seinen neuen Blockbuster "Krieg der Welten". Das Münchner Hausverwaltungswesen hat aber offenbar von Hollywood gelernt, es weiß, wie man das Szenario einer unheimlichen Bedrohung von Outer Space in einem einzigen messerscharfen Satz auf die Menschheit herabbeschwört.

"Ab dem 01.06.2005 werden nur noch die öffentlich-rechtlichen 3 Programme analog ausgestrahlt, diese schalten ab dem 30.08.2005 auch den analogen Fernsehempfang ab, Ihr Bildschirm bleibt dann schwarz."

Uns wurde schwarz vor Augen.

Wir sind bekennende Bildschirm-Maniacs. Wir lieben einfach alles, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Allein die Vorstellung, dass wir Harald Schmidts Zeigefinger in "Harald Schmidt", Marietta Slomkas Huskyblick im "heute journal" und, hmm. . ., jedenfalls: dass wir diese beiden Sendungen ab dem 30.08.2005 nie wieder zu Gesicht kriegen könnten, jagte uns Moll-Akkorde über die Nackenpartitur.

Die Formel der Zukunft

Die Hausverwaltung hatte das zum Glück schon recherchiert: "Grundvoraussetzung (für Zeigefinger, Huskyblick etc.) ist die Anschaffung eines DVB-T-Empfängers." Womit ja alles klar war. Bis auf eines. Was, beim Barte Obi-Wan Kenobis, war ein DVB-T-Empfänger?

Stunden später, auf www.digitalfernsehen.de in Gesellschaft von Worten wie "Frequenzökonomie" und "Quadratur Phase Shift Keying" aufs Launigste verbracht, wussten wir Bescheid: DVB-T war nichts Geringeres als die Formel der Zukunft.

Sie vereinte Bildbrillanz, Kostenminimierung und gnadenlosen High Tech mit einer so tiefen Anwenderfreundlichkeit, dass es einem den Atem verschlug. Wie Spielberg mal richtig bemerkt hat: "Es kommt auch Gutes, von dort draußen." Wir wollten es haben.

Fernsehen, richtig scharf!

Mittwoch bei Saturn auf der Theresienhöhe. Die Frage, wo es bitte diese irre digitale Empfangskiste gibt, erübrigt sich. Oben an der Rolltreppe steht schon das Schild: DVB-T-Gemeinde links abbiegen; über dem Pfeil spuckt die Geiz-ist-Geil-Domina das bekannte Bündel Großbuchstaben aus: "Jetzt wird Ihr TV-Programm so richtig scharf!"

Oh ja. Links schieben sich bereits ganze Schiffsladungen DVB-T ins Blickfeld, drumherum manövriert eine Flotte von Verkäufern, das immergleiche Entkrampfungskommando repetierend: "Antennenkabel hier rein, über das Scart-Kabel zum Fernseher, sehen Sie, ganz einfach, überhaupt kein Problem!"

Diesen Satz hören wir in der nächsten halben Stunde so um die 38 Mal, oder, um es mit den Worten von Vertriebsleiter Steffen Rosin zu sagen: "Seit Anfang Mai geht's hier zu wie beim Bäcker, wenn's die Semmeln umsonst gibt."

Gucken, gucken, gucken, gucken

Leider gibt es DVB-T nicht umsonst. Der Empfänger kostet bei Saturn in der versilberten Champagner-Ausführung 399 Euro und im Mittelfeld immer noch zwischen 88 und 119 Euro. Bei Aldi wurden auch schon Modelle für 59,99 gesichtet. "Zu dem Preis", schwärmt Rosin, "da kündigen Sie am besten Ihren Kabelvertrag, das Gerät einfach an den Fernseher anschließen, und dann können Sie gucken, gucken, gucken, gucken."

Großartig. Aber nun, welches Modell? An der Nordflanke des DVB-T-Berges starren zwei Frauen seit einer Viertelstunde auf die Angebotsschilder wie verzagte Partygäste auf die Klingel des Gastgebers. Frau 1: "Ich weiß nicht, wonach ich fragen soll, man kommt sich so doof vor." Frau 2: "Ich hatte ja RTL immer auf der drei. Ob man das jetzt wieder auf die drei bekommt?" Frau 1: "Ich weiß nicht, kriegt man für mehr Geld auch mehr Programme?"

Kriegt man nicht. Und laut Steffen Rosin ist der Unterschied zwischen den Geräten sowieso zu 98 Prozent Design: "Wollen Sie einfach nur ne kleine Kiste, sagen wir mit DVD-Anschluss, oder haben Sie zu Hause alles von Sony und suchen jetzt was Passendes?"

Na bitte, es ist lächerlich banal. Unsere kleine Kiste mit DVD-Anschluss ist die günstigste im unteren Mittelfeld. 88 Euro. Für eine Panasonic TU-CT30E Digitalkonverterbox, ditaler Audio-Ausgang, EPG, 999 Speicherplätze praktisch geschenkt.

Die fünfte Fernbedienung

Beim Auspacken dann die erste Überraschung. Eine Fernbedienung. Die Fernbedienungen von Fernseher, Videorecorder, DVD-Gerät, Stereoanlage und toller neuer Digitalkiste aufaddiert, besitzen wir in Zukunft also fünf. Der Erfinder einer General-Fernbedienung, mit der man alle anderen Fernbedienungen bedienen kann, hätte den Friedensnobelpreis verdient.

Aber die Gebrauchsanweisung ist ein Kleinod! Schlappe 19 Seiten, Texte prägnant, Grafiken wie gestochen, nur ein Idiot kann hier scheitern. Also dann. Seite 4: "Schnellstart".

Scart-Kabel von Kiste zu Fernseher, Antennenkabel von Kiste zu Buchse, Netzkabel von Kiste zu Steckdose, auf der Fernbedienung den roten Standby-Knopf gedrückt - "Wählen Sie die gewünschte Sprache und drücken Sie OK", lautet der nächste Schritt - und: nichts.

Weißes Rauschen im Fernseher, Schwärze im Kisten-Display. Immer mit der Ruhe. Wir reißen alle Kabel raus, stöpseln sie wieder ein, lesen alle 19 Gebrauchsanweisungsseiten, trinken einen starken Espresso und stöpseln nochmal. Nichts.

Zurück in die Achziger

Es ist ein bitterer Moment. Randvoll mit Trauer, roher Aggression und der bangen Gewissheit, dass ganz Fernsehmünchen dem digitalen Fortschritt in die Arme fällt, während unsere Zeit in Zukunft rückwärts läuft.

Schon der 1. Juni wird uns Anfang der Achtziger wiederfinden, wir sitzen in Karottenjeans auf einer neongelben Couchgarnitur und haben die Wahl zwischen "Was bin ich?" im Ersten und der "Schwarzwaldklinik" im Zweiten.

Der 30. August katapultiert uns dann endgültig in die Steinzeit: Bildschirm-Blackout, totale Abkoppelung vom kollegialen Flur-Talk, Ächtung, Vereinsamung, früher Tod.

Stopp. Wofür gibt es Service-Nummern?

Verbraucherzentrale, Telefonnummer 01805/107 222. Fünf Minuten auf der Warteschleife münden in eine Frauenstimme, zu der kein Herz gehört: "Da müssen Sie einen Techniker fragen, weil da gibt's ja so viele unterschiedliche Geräte." Aber die Unterschiede sind zu 98 Prozent Design! Ehrlich! "Dazu können wir leider gar nichts sagen."

Ganz ruhig. Nächster Versuch auf der Hotline von Panasonic. Drei Klingeltöne, dann ein umwerfendes Männertimbre. "Hallo, was kann ich für Sie tun?" Das Dings, HVX-Irgendwas, digitales Fernsehen, Sie wissen schon - es funktioniert nicht! "Das ist aber schade." Ja! "Da wollen wir mal sehen."

In einem rasanten Pas de Deux verwirft man in den folgenden zehn Minuten alle denkbaren und undenkbaren, terrestrischen wie extraterrestrischen Fehlerquellen, bis eine letzte übrig bleibt. "Welche Standby-Taste drücken Sie auf Ihrer Fernbedienung?" Die rote links oben. "Die ist für den Fernseher. Die Empfänger-Standby-Taste befindet sich direkt darunter."

Der Mai bleibt analog

So ein digitaler Schnellstart ist nichts für Anfänger. Man muss die entsprechenden Nummern kennen und die richtigen roten Knöpfe drücken. Aber dann ist es ein Kinderspiel.

Mit unserem DVB-T-Empfänger verstehen wir uns seither großartig. Mehrmals täglich plaudern wir via Bildschirmtext in vier Sprachen über Suchläufe, HF-Ausgaben und manchmal auch ein bisschen übers Wetter. Am Ende teilt er uns dann immer mit: "Keine Sender gefunden; bitte Antennenanschluss prüfen und OK zum Neustart drücken", und wir glauben, ein leichtes Bedauern aus diesem Satz herauszulesen.

Der Mai bleibt analog. Mittwochmorgen um 0.00 Uhr wird die digitale Zukunft dann feierlich angeknipst.

© SZ vom 28.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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