Der Ministerpräsident war schon wieder weg, als es am Mittwoch in der CSU-Fraktion erst richtig munter wurde. So konnte Edmund Stoiber nicht mehr mitverfolgen, wie die Abgeordneten eine Idee zerpflückten, die er noch zwei Tage zuvor als "durchaus richtig" bezeichnet hatte: Die Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei.
Von Landesgruppenchef Michael Glos am Wochenende in die Welt gesetzt, von Angela Merkel begrüßt, von Stoiber am Montag verteidigt. Und von der CSU-Fraktion am Mittwoch wieder einkassiert.
Eine Schnapsidee
Zwar gab es keine Abstimmung darüber, das Meinungsbild in der Fraktion war aber eindeutig: Die Unterschriftensammlung sei gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Schnapsidee. Den Widerstand losgetreten hatte der liberal-konservative CSU-Abgeordnete Hermann Imhof: In einem Interview mit den Nürnberger Nachrichten ging er Stoiber am Mittwoch frontal an.
Die Unterschriftenaktion gegen den Türkeibeitritt sei gefährlich, weil sie rechtsradikalen, antidemokratischen Agitatoren helfe, Ängste der Menschen zu schüren und das Miteinander von Deutschen und Türken schädige. Auf Stoiber bezogen sagte Imhof, er vermisse die notwendige Sensibilität im Umgang mit den türkischen Partnern.
Das saß. Stoiber und sein Generalsekretär Markus Söder sollen gelinde gesagt sauer auf Imhof gewesen sein: Der frühere Caritas-Manager aus Nürnberg sitzt erst seit einem Jahr im Landtag und hat bereits mehrmals öffentlich seine Meinung gesagt. Für andere in der CSU-Fraktion ist das auch nach Jahren noch unvorstellbar.
Nur einer war dafür
In der Fraktionssitzung hielt sich Imhof zurück, danach fasste er das Ergebnis der Aussprache so zusammen: "Die Nachdenklichkeit der Fraktionskollegen ist durchaus da - und auch gewachsen."
Denn die Mehrheit der Abgeordneten stellte sich hinter Imhof. Namentlich Alfred Sauter, Engelbert Kupka, Erika Görlitz und Martin Neumeyer teilten Imhofs Bedenken. "Das spaltet mehr als dass es zusammenführt", hatte Kupka schon vor der Sitzung gesagt. Für die Idee einer Unterschriftensammlung soll sich nur einer ausgesprochen haben: Markus Söder.
Er stellte die umstrittene Aktion gewissermaßen als letztes Mittel dar. Ohnehin reiche bereits das Nein eines Mitgliedsstaats aus, um den EU-Beitritt der Türkei zu vereiteln, versuchte Söder zu beschwichtigen. Einen formellen Beschluss der Fraktion gab es zwar nicht.
Doch lieber Gesundheitspolitik
Dennoch herrschte Einigkeit darüber, die Idee nicht weiter zu verfolgen und sich lieber mit der Gesundheitspolitik zu beschäftigen. Weil gegen den Widerstand der Landtagsfraktion eine Unterschriftenaktion der Partei schlecht möglich ist, dürfte die Diskussion damit beendet sein.
Die CSU-Spitze steht nun dumm da. Aber auch für ein Kabinettsmitglied lief diese Woche ganz schlecht: Europaminister Eberhard Sinner besucht ausgerechnet jetzt die Türkei. In Ankara soll ihm Außenminister Abdullah Gül wegen seiner Türkei-kritischen Bemerkungen einen ziemlich frostigen Empfang bereitet haben.
Sinner verteidigte die Unterschriftenaktion sogar noch: Dafür hege er sehr viel Sympathie, sagte Sinner in Ankara. "Zur Demokratie gehört eben auch das Volk." Bis Samstag muss er in der Türkei noch durchhalten, dann fliegt er wieder zurück nach München.