CSU-Affäre:Verdächtige E-Mails und geheimnisvolle Treffen

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Bei den Ermittlungen zu der Perlacher CSU-Affäre, die sich um manipulierte Parteiwahlen und falsche Mitglieder dreht, ist jetzt ein erstaunliches System des Mitgliederkaufs ans Licht gekommen.

Von Jan Bielicki

Die E-Mail-Schreiber scheinen sich gut zu kennen und sich darum nicht lange mit Formalitäten aufzuhalten. "Hallo Max", meldet sich da einer etwa am 8. August 2002 um 13.40 Uhr und hebt sofort an: "Jo und Christian fanden die Idee gut, dass Dein Freund die Aufnahme rückdatiert und Matthias sie rückdatiert unterschreibt." Darunter: "Gruß Rasso".

Diese Namen sind der Grund dafür, dass Kopien dieser Elektropost innerhalb der Münchner CSU mit Interesse gelesen werden. Unter Christsozialen kursieren nämlich gerade Ausdrucke solcher E-Mails; und Max, Rasso, Jo, Christian und Matthias sind in der Partei bekannt. Die ebenfalls auf den Ausdrucken notierten Adresszeilen, die angeben, wer Kopien der Mails erhielt, nennen die vollen Namen der allesamt jungen Brieffreunde: Maximilian Junker (22 Jahre alt), Rasso Graber (29), Joachim Haedke (33), Christian Baretti (30), Matthias Pawlik (27).

Alle fünf sind Mitglieder der CSU, drei von ihnen zählen zur lokalen Polit-Prominenz. Haedke sitzt im Landtag, Baretti im Stadtrat, Graber führt Münchens Junge Union. Auch in der Partei haben die drei wichtige Ämter: Haedke ist Schriftführer im Münchner Parteivorstand, Graber dort Beisitzer, und Baretti hat vor wenigen Wochen spektakulär Hans Podiuk, den bei der Kommunalwahl gescheiterten OB-Kandidaten und Chef der CSU-Rathausfraktion, aus dem Vorsitz des CSU-Kreisverbands 9 im Münchner Südosten vertrieben. Auch Pawlik und Junker gehören der Südost-CSU an.

Eben um diese Südost-CSU geht es in den E-Mail-Zeilen, um gekaufte Mitglieder und willkürlich datierte Aufnahmeanträge. Die Mails bieten neue Details zu jener Affäre, die im Februar (siehe SZ vom 24. Februar) über Perlachs CSU hereinbrach und die sich um manipulierte Parteiwahlen, falsche Mitglieder und gefälschte Aufnahmeanträge dreht. Damals begann die Staatsanwaltschaft zu ermitteln - und zwar bald gegen zwei junge Versicherungskaufleute: das CSU-Mitglied Junker und das Nicht-CSU-Mitglied Oliver Melka, 25.

Datenmissbrauch unnötig

Die Ermittler stießen dabei auf ein erstaunliches System der bezahlten Mitgliederwerbung in der CSU - und auf mit gefälschten Unterschriften versehene Aufnahmeanträge. Diese mit falschen Unterschriften versehen zu haben, gab Melka gegenüber den Ermittlern zu.

Dabei war bei Ausbruch der Affäre zunächst Junker unter dem Verdacht gestanden, persönliche Daten von in Perlach wohnenden Kunden seines damaligen Arbeitgebers, der Bayerischen Beamten Versicherung (BBV), samt falscher Unterschrift in CSU-Aufnahmeanträge gefüllt zu haben.

Doch auch die BBV bestätigte der Staatsanwaltschaft, ihr Ex-Mitarbeiter Junker - als Vertreter zuständig für den Landkreis Erding - habe ihres Wissens keine Kundendaten missbraucht. Das, sagt ein Beteiligter, sei auch nicht nötig gewesen: "Wenn du vor dem Perlacher Einkaufszentrum mit 200 Euro wedelst, kriegst du genügend Freiwillige."

Sind die der SZ vorgelegten E-Mail-Ausdrucke echt (wofür spricht, dass sie das Ausdruckdatum 18.02.2003 tragen, das vor dem Bekanntwerden der Affäre liegt), dann werfen sie ein Licht darauf, wie das System des Mitgliederkaufs funktioniert haben könnte.

So hat etwa Junker laut einem dieser Ausdrucke am 6. November 2002 um 21.47 Uhr per E-Mail Baretti - mit Kopien an Pawlik, Graber und an "joachim@haedke.de" - gemeldet, er habe einen weiteren Freund geworben: "Einziger Nachteil: Er kostet 100 ."

Der gleiche Ausdruck registriert als Antwort des Stadtrats Baretti: "Super! Können wir Deinen Bekannten ,zweistufig' zahlen? 50 Euro sofort und weitere 50 Euro bei Erscheinen bei der Wahl? Wäre sicherer, wenn wir einen Anreiz für ihn hätten, auch zur Wahl zu kommen (...) Gibts noch mehr Perlacher? Danke! Gruß Christian."

Im Sinne der Sponsoren

Bei dieser E-Mail, so schrieb Baretti der SZ, "muss es sich um eine Fälschung handeln". Er habe "zu keinem Zeitpunkt mittels E-Mail irgendwelche Geldzuwendungen für Neumitglieder in Aussicht gestellt". Auch Graber sagte auf Anfrage der SZ, er habe solche E-Mails "sicher nicht geschrieben".

Er habe höchstens einmal "zwei, drei" Schülern aus der JU den Jahresbeitrag gesponsert, sonst sei "definitiv kein Geld" geflossen. Davon habe das ganze System gehandelt, sagt dagegen ein Insider der SZ.

Die Neumitglieder sollten bei parteiinternen Wahlen im Sinne ihrer Sponsoren abstimmen. Hintergrund war das Ringen innerhalb der CSU um das örtliche Landtagsmandat des Abgeordneten Heinrich Traublinger, 59. Dieser Machtkampf hatte schon vor über zwei Jahren begonnen, als der CSU-Ortsverband Perlach auf Betreiben der parteiintern als "Klonkrieger" beschimpften Jungunionisten den Ortsvorsitzenden Traublinger stürzte und statt seiner Matthias Pawlik an die Ortsspitze hob - klar ein erster Schritt, den Altabgeordneten von seinem Sitz im Maximilianeum zu drängen.

Das Vorhaben missfiel jedoch Parteichef Edmund Stoiber, der Traublinger - als Präsident der Handwerkskammer für die CSU äußerst wichtig, um Stimmen und Spenden im Mittelstand zu gewinnen - im Landtag halten will. Doch über die Order des Chefs zerstritt sich die Jungmannschar. Markus Blume, 28, trat dennoch gegen Bäckermeister Traublinger an - und hatte fortan seine Ex-Freunde Graber, Baretti und Haedke gegen sich.

Beide Seiten begannen nun die Suche nach Mehrheiten. Die sind in den kleinen Ortsverbänden, die oft gerade einmal um die hundert Mitglieder haben, davon die wenigsten aktiv, relativ leicht zu bekommen. Oft reicht es, wenn ein Mitglied zehn, zwanzig Freunde zu einer Versammlung mitbringt. Diese stellen dann mit ihren Stimmen sicher, dass der Ortsverband Delegierte wählt, die wiederum den richtigen Kandidaten für Stadtrat, Landtag oder Bundestag aufstellen. So reanimierten beide Seiten CSU-Karteileichen, zu bestimmten Versammlungen zu kommen.

Das ist parteipolitische Routine. Getrickst aber wurde wohl auch fleißig: Freunde von außerhalb der Kreisverbandsgrenzen, so erzählt ein Kenner der Szene, hätten Wohnsitze in den Wohnungen von Freunden in Ramersdorf und Perlach genommen - zum Schein natürlich, aber offiziell angemeldet, um bei Ortswahlen stimmberechtigt zu sein. Und es wurden Mitglieder geworben: Oma und Opa, Verwandte, Bekannte, Freunde und Freunde von Freunden. Dabei scheint Geld geflossen zu sein - und zwar nicht zu wenig.

Manches Neumitglied, so berichtet ein Eingeweihter, hätte sich mit Gutscheinen und Essenseinladungen zufrieden gegeben und damit, dass der Mitgliedsbeitrag von jährlich 50 Euro bezahlt worden sei. Die E-Mail-Ausdrucke nennen höhere Summen: Danach mailte am 21.März 2002 um 20.13 Uhr Junker an Graber, Baretti und Pawlik die Adressen von drei Neu-Christsozialen.

Und deren Preis darunter: zwei Mal "450", einmal "200". Zwei Tage später: "Desweiteren habe ich noch ein Mitglied." Prämie: "350". Sogar Junkers Zugehfrau bestätigte den Ermittlern das System: Sie habe für ihr von Junker versprochene 100 Euro einen Aufnahmeantrag unterschrieben.

Auch ein Neuperlacher Student, ein Freund von Melka, bestätigte der SZ, Geld dafür bekommen zu haben, dass er, seine Eltern und seine Schwester CSU-Anträge unterschrieben. Ihre Kontoverbindung für die Abbuchung des Mitgliedbeitrags hätten sie nicht ausfüllen müssen.

Insgesamt habe die Aktion Mitgliederkauf "eine fünfstellige Summe" verschlungen, sagt ein Insider: Das Geld sei Junker bar überbracht worden - mal von Joachim Haedke, mal von dessen Schwester. Haedke wiederum, der als enger stadtpolitischer Vertrauter der neuen Münchner CSU-Chefin Monika Hohlmeier gilt und gemeinsam mit deren Bruder Max Strauß und dem Ex-Stadtrat Curt Niklas den CSU-Kreisverband 4 in Giesing-Harlaching beherrscht, weist solche Aussagen als "Märchen aus 1001 Nacht" zurück.

Mit solchem "frei erfundenen Quatsch" wollten "irgendwelche Leute der CSU im Wahlkampf schaden". Erfundener Quatsch? Melka sagt, sein Freund Junker - die beiden kennen sich aus gemeinsamen Zeiten als Azubis bei der BBV - habe ihn aufgefordert, bei der Mitgliederwerbung mitzumachen. Dafür sollte der Mitgliedersammler eine "Aufwandspauschale" bekommen.

Über das, was eines Abends Ende letzten Jahres in Junkers Wohnung passiert sein soll, hörte die Staatsanwaltschaft jedoch nicht ganz deckungsgleiche Versionen. Sicher scheint, dass Melka CSU-Aufnahmeanträge mit fremden Namen ausgefüllt und mit einer Unterschrift versehen hat.

An die 30 solcher Anträge liegen der Staatsanwaltschaft vor - etwa der einer jungen Frau, die als Zeugin aussagte, Junker habe sie bereits lange zuvor ganz regulär als CSU-Mitglied geworben, später sei sie jedoch ausgetreten. Den ihren Namen und ihre Unterschrift tragenden Aufnahmeantrag vom November 2002 habe sie jedoch weder ausgefüllt noch unterschrieben, die Schrift darauf sei auch nicht ihre Handschrift. Tatsächlich bestätigte Melka den Ermittlern, diesen und andere Anträge ausgefüllt zu haben - jedoch nur auf Junkers Drängen.

Die andere Version besagt, dass Melka die ausgefüllten Anträge mitgebracht und Geld dafür gewollt habe. Auf einer Bank im Englischen Garten traf er sich mit JU-Chef Rasso Graber. Dabei notierte Graber, wie er selbst bestätigte, handschriftlich eine Liste von rund einem Dutzend der Namen, die auf den gefälschten Anträgen stehen, und zwei Geldbeträge: 1375 Euro und 3150 Euro. Er habe das Gefühl gehabt, dass da einer eine "Art von Erpressung" versuchte, sagte Graber der SZ. Den Zettel habe er auf der Bank liegen lassen. Seit Melka jedoch der Staatsanwaltschaft Grabers Zettel, dazu Kopien von rund 30 allesamt - nach SZ-Informationen in zwei verschiedenen Handschriften - gefälschten Anträgen und andere Dokumente übergeben ließ, ist das Ermittlungsverfahren wieder in Gang.

reffen auf der Parkbank

Lange zuvor schon hatte sich Melka mit der Konkurrenz getroffen. Wieder auf einer Parkbank setzte er sich mit dem Traublinger-Gegner Markus Blume zusammen. Zuvor hatte Blume anonyme Anrufe erhalten: Seine Seite werde bei der Vorstandswahl in Perlach gegen Traublinger verlieren, habe es am anderen Ende der Funkstrecke geraunt. Nachdem Blume und seine Freunde tatsächlich verloren hatten, ging er auf das Treffen mit dem ihm Unbekannten ein.

Der habe den Eindruck gemacht, als wolle er Geld. Sie hätten sich getrennt, aber durch eine Fangschaltung auf seinem Telefon ermittelte Blume, mit wem er sich getroffen hatte: Melka. So schilderte Blume das Geschehen den Staatsanwälten, die damit nach Junker ihren zweiten Beschuldigten hatten.

Auch das Magazin Der Spiegel hatte da schon recherchiert - und Dokumente zugespielt bekommen. Die Geschichte brachte Ende Februar die Affäre in Fahrt. Sie erzählte von Kunden der BBV, deren Daten sich nun in den Mitgliederlisten der Südost-CSU gefunden haben sollen. Und im Namen dieser Falschmitglieder sollen Freunde der jungen Karrieristen bei internen Wahlen abgestimmt haben. Tatsächlich bestätigten zwei auf den Aufnahmeanträgen geführte Lehrerinnen der SZ, solche CSU-Formulare nie gesehen, geschweige denn unterschrieben zu haben - aber bei der BBV haftpflichtversichert zu sein. Auch ein auf den Anträgen verzeichneter Finanzbeamter sagte der SZ, nie einen CSU-Beitritt erwogen zu haben. Bei der BBV ist er für Berufsunfähigkeit versichert.

Keine Verbindung herstellen konnten die Staatsanwälte jedoch zwischen den Namen auf gefälschten Aufnahmeanträgen, den gekauften Mitgliedern und jenen Neu-CSUlern, die Anfang Februar sicher stellten, dass Traublinger den Ortsvorsitz in Perlach wieder erobern konnte. Sein Vorgänger Matthias Pawlik hatte am Abend der Wahlversammlung überraschend 34 unterschriebene Aufnahmeanträge vorgelegt.

Auf ihnen hatte ein Notar beglaubigt, dass die Neuen mehr als zwei Monate zuvor eingetreten und also wahlberechtigt waren. Die Anträge verschwanden nach Traublingers Abstimmungssieg allerdings wieder und tauchten erst drei Wochen später wieder auf. Stadtrat Christian Baretti behauptete damals, er habe sie so lange in seinem Schrank verwahrt. Die Personen, deren Namen auf den nun von Baretti der Parteispitze vorgelegten Antragsformularen standen, sagten vor der Staatsanwaltschaft aus, sie seien freiwillig und ohne Geld erhalten zu haben in die CSU eingetreten.

Geworben hätten sie auch nicht die Jung-Unionisten, sondern ganz regulär eigene Bekannte. Das CSU-Parteischiedsgericht befand später, das Verfahren mit den notariell beglaubigten Aufnahmen verstoße nicht gegen die Parteisatzung. Ob die von Baretti vorgelegten Formulare jedoch dieselben sind, die am Wahltag vorlagen, ist ungewiss: Das notarielle Siegel, das sie zusammen hielt, war zerbrochen.

Die stellvertretende Vorsitzende der Perlacher CSU die auch zu Grabers JU gehört, gab später zu, es gebrochen zu haben - obwohl die angehende Juristin wissen musste, dass Siegelbruch streng verboten ist. Ihre Entschuldigung: Sie habe die Namen nur mit der Anwesenheitsliste vergleichen wollen.

Seither fühlen sich die jungen Mehrheitsbeschaffer offensichtlich sicher. Als Christian Baretti Anfang Juli seinen 30. Geburtstag feierte, bekam er eine Glückwunschkarte - mit den notariell beglaubigten Unterschriften seiner Gratulanten.

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