Christopher Street Day:"Wir feiern, dass wir es soweit gebracht haben"

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Zwei große schwule Veranstaltungen in acht Tagen stehen bevor, der Christopher Street Day und die Eurogames. München gibt sich liberal. Ist Schwulsein etwa gesellschaftsfähig geworden? Die SZ sprach mit Thomas Niederbühl, 43. Er sitzt seit 1996 für die Rosa Liste im Stadtrat.

Von Tanja Rest

SZ: Beim Christopher Street Day an diesem Samstag ziehen tausende Schwule und Lesben durch die Straßen, für die Party danach räumt der OB das Rathaus, nächste Woche kommen 5300 schwule Sportler zu den Eurogames nach München. In einer solchen Stadt müsste es sich als Schwuler doch gut leben lassen.

Stadtrat Thomas Niederbühl (Foto: Foto: ddp)

Niederbühl: Stimmt. Es lässt sich in München sehr gut schwul oder lesbisch leben - auch, und das rechne ich mir mit an, weil wir in den letzten Jahren viel erreicht haben. Auf diese Erfolge sind wir stolz. Und es wird immer schwieriger zu sagen: Hier hört es noch nicht auf.

SZ: Eine Studie hat auch Bedenkliches ergeben: 60 Prozent der Münchner Schwulen sind schon einmal beschimpft worden, 40 Prozent spüren psychischen Druck, jeder Fünfte hat Gewalt erfahren.

Niederbühl: Daran sieht man, es ist immer relativ. Ich bin jetzt seit 20 Jahren in der Schwulenbewegung dabei. Damals gab es den Paragraphen 175 noch, der uns kriminalisiert hat. Wir hatten null Öffentlichkeit. Die Süddeutsche hat sich 1984 noch geweigert, das Wort "schwul" zu drucken, in einer Anzeige für ein schwules Sommerfest. Es hat sich also vieles gebessert - und gerade deshalb fand ich die Studie erschreckend. 40 Prozent sagen, dass sie ihr Schwulsein vor dem Arbeitgeber verheimlichen, weil sie Nachteile befürchten. Und den Jugendlichen fällt das Coming-out noch genauso schwer wie vor zehn Jahren. Unter der Oberfläche liegt weiterhin viel im Argen.

SZ: Gehört Diskriminierung wirklich noch zum Alltag der Schwulen?

Niederbühl: Schwierige Frage. Ich selber, der immer offensiv war, könnte sagen: Viel ist mir eigentlich nicht passiert. Wenn ich dann genauer nachdenke... Heute hat mich wieder jemand auf meinem Anrufbeantworter beschimpft. Ich versuche, das auszublenden. Aber man gewöhnt sich nicht wirklich dran. Oder nehmen Sie nur die Kirche. Ich bin katholisch, und das bedeutet mir was. Meine Kirche hat mich nicht Religionslehrer werden lassen, weil ich offen schwul bin.

SZ: Josef Kardinal Ratzinger sagt: "Toleranz des Bösen ist etwas anderes als Billigung oder Legalisierung des Bösen."

Niederbühl: Da kommt man sich vor wie der letzte Dreck. Ich bin seit 15 Jahren mit meinem Partner zusammen, wir haben uns eintragen lassen. Es ist keine Ehe, aber es ist schon ein großer Schritt. Und die eigene Kirche betitelt einen mit "das Böse". Auch in der Arbeitswelt haben Schwule noch zu kämpfen. Ich kenne Leute bei Siemens oder BMW, die sagen: Das darf dort keiner wissen! Ob es Repressionen gäbe, weiß man nicht. Aber es fehlt ein entsprechendes Signal des Arbeitgebers. Die Stadt macht es besser: Bei Stellenausschreibungen haben wir einen Anti-Diskriminierungs-Zusatz. Ein deutliches Signal, dass die Stadt die Gleichstellungspolitik will.

SZ: Ist auch der CSD ein Signal?

Niederbühl: Er wird ja immer kritisiert. Wie kommerziell er geworden sei, wie unpolitisch. Ich finde: Es ist immer politisch, wenn Schwule und Lesben auf die Straße gehen und sich in dieser Vielfalt zeigen. Es ist immer noch wichtig darzustellen: Wir sind eine sehr große Gruppe in dieser Stadt.

SZ: Trotzdem: Hat die Party nicht die Oberhand gewonnen über die Politik?

(Foto: Foto: ddp)

Niederbühl: Ich sehe das anders. Wir feiern auch, dass wir es so weit gebracht haben. Für den Einzelnen, der vielleicht aus Passau oder Bad Tölz anreist, bedeutet es viel, hier dabei zu sein. Es stärkt das Selbstwertgefühl. Es ist auch politisch gut, diese Massen zu zeigen - damit die Politiker merken, wir sind ein großes Wählerpotenzial. Problematisch ist allerdings, wie die Medien eine Veranstaltung wie den CSD rüberbringen.

SZ: Sie meinen: Am Montag werden Münchens Lokalteile mit Drag-Queen-Fotos erscheinen. Darüber regen sich dann nicht nur die üblichen Hardliner auf, sondern auch die Schwulen selbst.

Niederbühl: Genau das meine ich.

SZ: Ist die Selbstdarstellung vieler Schwuler beim CSD dann nicht unklug?

Niederbühl: Dargestellt wird ja die ganze Vielfalt. Und ich denke, 90 Prozent der Teilnehmer sind ziemlich "normal". Aber wenn wir 20.000 sind und nur drei Drag Queens, sind die am Montag in jeder Zeitung. Manche fragen: Warum müssen die dabei sein? Aber das wär' ja absurd - wenn wir die Vielfalt in der Gesellschaft wollen und die dann ausgerechnet beim CSD einschränkten! Das Medienecho macht allerdings deutlich, dass wir Klischees bedienen, an denen die heterosexuelle Gesellschaft gerne festhält.

SZ: Ein Schutzmechanismus?

Niederbühl: Ich hab' manchmal das Gefühl, es ist der Allgemeinheit lieber, wir sind schrill und kostümiert beim CSD, als dass wir das schwule Paar mit adoptiertem Kind im Nachbarhaus sind.

SZ: Es gibt einerseits den Wunsch nach Akzeptanz und Integration. Andererseits weisen Schwule und Lesben mit dem CSD oder den Eurogames selbst auf ihr Anders-Sein hin. Ein Dilemma?

Niederbühl: Ich bin sogar davon überzeugt: Selbst wenn wir eine Akzeptanz irgendwann mal kriegen, wird es solche Veranstaltungen weiter geben. Weil wir eben auch eine Gruppe sind mit eigener Tradition, einer eigenen Kultur. Warum sollen wir dann nicht sagen, wir gehen zusammen zum CSD oder gründen einen schwulen Fußballclub? Die Grundsatzfrage ist doch: Will ich assimiliert sein, oder will ich wirklich die Akzeptanz einer demokratischen Gesellschaft? Demokratie heißt ja, dass man verschiedene Meinungen und Lebensstile zulässt. Momentan gibt es eine bedingte Akzeptanz, das heißt: Man stellt uns Bedingungen, unter denen wir akzeptiert werden.

SZ: Unter dem Motto "Wie warm duscht die deutsche Nationalelf" bitten Sie heute Nachmittag schwule Profisportler zum Coming-out auf den Rathausbalkon. Wir prognostizieren jetzt mal: Viel Betrieb wird dort nicht sein.

Niederbühl: Ich bin auch nicht so optimistisch... Was aber deutlich macht, wie wichtig diese Aktion ist. Gerade im Profisport - und vor allem im Fußball - ist Homosexualität absolut tabuisiert. Und natürlich wird es da auch Schwule geben, da gibt's genügend Geschichten in der Szene, wer mit wem angeblich schon mal was hatte. Aber in 40 Jahren Bundesliga hat sich noch keiner geoutet. Bei der Frauennationalelf, wo der Lesben-Anteil sicherlich sehr hoch ist, gibt es sogar richtig Druck. Dass sich keine outen darf, sonst ist sie weg vom Fenster.

SZ: Warum ist gerade der Profisport so homophob?

Niederbühl: Es geht um Männlichkeits-Riten. Und die stimmen mit dem Klischee des femininen Schwulen, des "Warmduschers", nicht überein.

SZ: Fußballstadien gehören zu den letzten Bastionen offener Schwulenfeindlichkeit. Kostprobe aus der hiesigen Fankurve: "Arbeitslos und homosexuell, das ist der Vfl." Packt Sie da die Wut?

Niederbühl: Ich frage mich vor allem, wie geht es wohl den schwulen Fußballern dabei? Denn natürlich gibt es auch Gerüchte um den einen oder anderen Bayern-Profi. Sich ständig zu verstecken, die Angst, dass es jemand rauskriegt - da müsste noch viel passieren. Es ist wichtig, die Leute zu ermutigen: Macht den Schritt raus in die Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund sind auch die Eurogames nächste Woche ein ganz wichtiges Statement innerhalb der Sportszene.

SZ: Wie fanden Sie übrigens das Coming-out des Guido Westerwelle?

Niederbühl: Ärgerliche Strategie. Die FDP weiß es schon ewig, seit Jahren weiß es die Szene, seit Jahren wissen es die Medien. Er hat auch nie protestiert, wenn er als Schwuler bezeichnet wurde, jeder durfte es sagen. Nur er selbst hat es nicht gesagt. Jetzt hofft er auf den Regierungswechsel, er möchte ein gutes Amt - da könnte das nochmal Thema werden. Ein schwuler Außenminister, und das mit der CDU/CSU. Jetzt seinen Freund zu präsentieren und sich gleichzeitig zu weigern, irgendwas dazu zu sagen, das find' ich nicht toll. Das ärgert mich sogar ein bisschen. Jetzt endlich, nachdem wir in 20 Jahren die Gesellschaft verändert haben, da traut sich auch ein Westerwelle zu zeigen, was eh schon alle wissen.

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