Buga München:Ausweitung der Grünzone

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Streitfall Bundesgartenschau: An der Geometrie zeitgenössischer Landschaftsarchitektur scheiden sich die Geister.

von Oliver Herwig

Ein Sommerfest mit Blumenschauen hatte Bundespräsident Horst Köhler versprochen, herausragende Gartenkunst Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Viele Besucher aber empfinden die noch bis 9. Oktober in München stattfindende Bundesgartenschau (Buga) höchstens als depressiv verstimmte Grünzone, in der das Geodreieck regiert.

Beete im rechten Winkel, schnurgerade Setzlinge, kantige Kiesflächen - Albtraum vieler Hobbygärtner. (Foto: Foto: dpa)

Beete im rechten Winkel, schnurgerade Setzlinge, kantige Kiesflächen - die Kritiker der Buga albträumen von der Zwangsbegradigung ihrer Grün-Sehnsüchte. Schon wird die eigensinnige Ästhetik dieser Gartenschau für das drohende Millionen-Defizit verantwortlich gemacht. Die erhofften Besucher, sagen manche Kritiker, blieben auch deshalb aus, weil die Buga an den Bedürfnissen der Gartenfreunde vorbeigeplant sei. Die Schau sei schlicht zu "abgehoben" - und zu wenig "populär".

Erlebnis beispielloser Öde

Tatsächlich: wo die Gartenschau in den 200 Hektar großen Riemer Landschaftspark übergeht, pflügen Wege und Baumreihen durch den Raum wie Zubringer einer Autobahn. "Steine, Schotter, Sand", schreibt ein entsetzter Gast, "dazu Erdwälle, Betonmauern und ein Rasen wie zwischen Kahns Torpfosten." Das Gelände sei "ein Erlebnis beispielloser Öde" und werfe jede Vorstellung von Garten über den Haufen.

Die Landschaftsarchitektur der Gegenwart zeichnet sich tatsächlich durch eine gewisse Strenge und Orthogonalität aus. Allerdings: auch die Buga blüht, es duften die Rosen und es plätschert das Wasser. Nur will die Münchner Gartenschau kein zweiter Englischer Garten sein. Und noch weniger ein Vorgarten samt Goldfischteich und Zwergenpopulation.

Die vom Münchner Landschaftsarchitekten Rainer Schmidt konzipierte Schau wagt stattdessen den Perspektivenwechsel zwischen übermannshohen Stauden, in die Besucher eintauchen können, und spröden Einfassungen.

Wie mit dem Rasiermesser gezogen

Die Buga macht deutlich, dass sich zeitgenössische Landschaftsarchitektur längst von einem naiven Naturbegriff emanzipiert hat. Herausragend gestaltete urbane Landschaften - in Leverkusen, Zürich oder Rotterdam - demonstrieren ein landschaftsarchitektonisches Instrumentarium jenseits pseudotoskanischer Terracotta-Exzesse: Plätze, die wie mit dem Rasiermesser gezogen wurden; Stein, Beton und Holzplanken statt Rasen; Halfpipes, wo ein paar Lauben Platz hätten. Kurz: urbane Erlebnisräume, die nicht einmal mehr grün sein müssen.

Als das Landschaftsarchitektur-Büro "West 8" 1997 den Rotterdamer Theaterplatz umgestaltete, schuf man ein Kunstwerk. Wer dort abends bei Flutlicht flaniert, betritt ein Podium aus Stahlblech und Lattenrost. Kein Gramm Natur, kein Krümel Grün. Dafür öffnet sich eine riesige Fläche, die die Menschen selbst füllen müssen.

Perspektivenwechsel auch hier: Besucherin in einem überdimensionalen Vogelnest. (Foto: Foto: AP)

Das ließen sich die Rotterdamer nicht zweimal sagen; sie nahmen das Neue so ungestüm in Besitz, dass die steuerbaren Lichtmasten heute kaum mehr anspringen und die Latten so abgeschabt aus dem Boden ragen, dass man für die Sicherheit der Skater fürchten muss.

Poesie der schnurgeraden Wege

Typisch Holland, könnte man einwenden, wo alles aufgeschüttet, eingedeicht und künstlich ist. Aber das greift zu kurz. Der Schouwburgplein zeigt den fundamentalen Perspektivenwechsel vom Garten zur Stadtlandschaft. Natur ist nicht mehr nur Ausgleichsfläche jenseits der Siedlungen, sie ist Teil der Stadt und sieht auch so aus.

Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten: Der Pariser Landschaftsarchitekt Gilles Vexlard hat aus dieser Erkenntnis in München-Riem konkrete Poesie gemacht - mit schnurgeraden Wegen und Wällen, in denen Pflanzinseln wie Fortifikationen auf den Resten des alten Flughafens schwimmen.

Wer Romantik erwartet, Erholungsflächen für einen stadtkranken Blick, sollte in die Berge gehen, die hinter dem Park aufragen. Ausweitung der Grünzone heißt heute Urbanisierung der tagtäglichen Natur, die wir sonst nur als Abstandsgrün erfahren, als Randstreifen oder traurige Pflanztröge aus Waschbeton, aus denen dürre Gräser ragen.

Inszenierungen von Natur und Kultur

Diese neuen Grüninseln wuchern als ungestaltete Zwischenlandschaft neben Mauern und Asphalt, nicht unähnlich der viel diskutierten Zwischenstadt, jenen Siedlungsrändern aus Gewerbehallen und Märkten, die keinem urbanistischen Zugriff gehorchen.

Endlich greifen Gestalter diese Widersprüche auf und schaffen daraus eine neue Stadtlandschaft, wie 1999 auf der Buga Magdeburg, deren Elbauenpark als "Bühne für Inszenierungen von Natur und Kultur, von Kunst und Alltag" angelegt war, samt Schutt und militärischen Hinterlassenschaften aus Schießwällen und Kugelfängern.

Wenn die Kommunen Brachflächen und Industrieareale zurückerobern, bleibt notgedrungen etwas von deren Härte zurück. Der im Oktober 2003 in Zürich fertig gestellte Turbinenplatz wischt seine Vergangenheit nicht weg, er spielt mit ihr. Das Ergebnis ist ein Rechteck, groß wie zwei Fußballfelder: 14.000 Quadratmeter Beton, Schienen und Grün aus der Hand des Genfer Architekturbüros ADR.

Ähnlich funktioniert ein Park in Neu-Oerlikon (gestaltet vom Projektteam Zulauf, Seippel, Schweingruber Landschaftsarchitekten und Hubacher und Haerle Architekten), der sich vor allem durch eines auszeichnet: Geradlinigkeit. Bodenbeläge aus Holz und Schotter, Sand und Stein machen 1,75 Hektar ehemalige Fabrikflächen zu einer wahren Erlebnislandschaft. Die umlaufende Stahltreppe windet sich spiralförmig nach oben - darin liegt mehr Natur als man sonst sieht: Stadtnatur.

Die Natur spreche die Sprache der Mathematik

Das Runde muss in das Eckige. Das war schon immer so. Die Buga vollzieht keinen Kulturbruch. Sie kultiviert vielmehr auf überlegene Weise alte Traditionen. Der Hortus conclusus des Mittelalters war zum Beispiel nichts anderes als eingepferchtes Grün in einem rechteckigen Wandelgang, wodurch die Einheit von Garten und Weltordnung beschworen werden sollte.

Die Natur spreche die Sprache der Mathematik, wusste Galileo Galilei, die Buchstaben dieser Sprache seien Dreiecke, Kreise und andere mathematische Figuren. Was daraus wurde, erleben wir am Rande der Straße: Asphalt-Jahreszeiten aus schäbigem Grün, das Landschaftsarchitekten nun endlich zurückholen in den Kanon ihrer Gestaltung.

Die Münchner Buga mag vordergründige Sehnsuchtsreflexe und den Hang zur neuen Romantik nicht bedienen, doch sie leistet statt dessen sehr viel mehr: Sie stiftet Erkenntnis und überrascht auch auf ästhetische Weise abseits der ubiquitären Grün-und-Geranien-Klischees.

© SZ vom 22.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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