Boule-Spielen:Bier statt Pastis und eine silberne Sau

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Es sieht nur lässig aus: Nach ernstem Reglement wird beim Boule gelegt, geschossen und taktiert, was die Metallkugeln hergeben. Neben einer guten Wurfhand sollte man dabei auch über ein flottes Mundwerk verfügen.

Von Anne Goebel

¸¸. . . geprüft am 3. Oktober 2002 in Grenoble vom Internationalen Kongress der Fédération internationale de Pétanque." Mit diesen Worten endet ein ernstes Regelwerk, das in 39 Artikeln und glasklarem Amtsfranzösisch abhandelt, wie der Mensch richtig mit Metallbällen um Punkte spielt.

Mit dem richtigen Schwung mitten hinein... (Foto: Foto: AP)

Boule ist nämlich keine nonchalante Angelegenheit. Auch wenn es im Frankreichurlaub immer so aussieht. Man gondelt über die Alleen, legt hier und da in verschlafenen Orten einen Stopp ein, wo jedesmal eine Gruppe Männer auf sandigem Boden zusammensteht, gemächlich Kugeln wirft und Pastis trinkt, während die Nachmittagssonne schräg durch die Platanen fällt. Was man nicht sieht: Die Härte des Wettkampfs. Le règlement! Les sanctions!

Boule in München: Treffpunkt ist der Hofgarten, des sandigen Bodens wegen. In den Nachkriegsjahren haben französische Soldaten, heißt es, ihren Nationalsport nach Deutschland exportiert. Das gilt auch für München, wo die Amerikaner das Sagen hatten. Von 15.000 organisierten Boule-Spielern in Deutschland sind 900 Bayern, davon 100 aus München.

Die Spieler verabreden sich bei schönem Wetter spätnachmittags hinterm Café Tambosi, und wer dazustößt, kann ein bisschen Frankreich gucken. Männer (und deutlich weniger Frauen) stehen plaudernd beieinander, stecken über komplizierten Formationen die Köpfe zusammen und sehen irgendwie lässig französisch aus. Durch die Bäume fällt friedlich das Licht der Frühabendsonne. Dabei, sagt einer, "ist Boule Krieg". Er grinst dazu, beteuert aber, es ernst zu meinen.

Dass beim Pétanque - der gängigsten Boule-Version - die Spieler leger drauf sind "wie kleine Jungs beim Murmeln", habe er bloß am Anfang gedacht. Christian Kunz, Sportwart der "Ersten Münchner Kugelwurfunion", würde wahrscheinlich nicht von Krieg sprechen, aber er bestätigt: "Es geht um absolute Konzentration." Kunz schwärmt, spricht er über Pétanque, von der frankophilen Atmosphäre (statt Pastis gibt's Bier), vom Palaver am Spielfeldrand, vom unverbindlichen "Vorbeischauen, ob sich ein Spiel ergibt". Doch wenn sich eines ergibt, will der Kugelwerfer eben unbedingt gewinnen.

Dazu muss er die Regeln kennen. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an, bestehend jeweils aus einem, zwei oder drei Spielern ("Tête à Tête", "Doublette", "Triplette"). Zu Beginn wird mit der Fußspitze ein Kreis in den Sand gemalt, von dem aus die Zielkugel "Cochonnet" (das Schweinchen, auch Sau genannt) sowie die selbstverständlich genormten Spielkugeln geworfen werden, letztere möglichst nah ans Schweinchen. Gelingt das, gibt es Punkte. Es gewinnt die Mannschaft, die als erste 13 Punkte erreicht.

Volle Konzentration beim Abwurf (Foto: Foto: ddp)

Eine solchermaßen verkürzte Darstellung der Regeln wird einen wahren Bouliste, wir ahnen es, nicht überzeugen. Der könnte ewig räsonieren über die Feinheiten des Legens und Schießens und über das Hochgefühl, wenn ein hellmetallisch klingender "Carot sur place" gelingt: Eigene Boule trifft gegnerische Boule und befördert diese ins Abseits.

Guy Ody ist so einer, der Franzose aus Fréjus kommt regelmäßig in den Hofgarten und setzt gerade eine Runde aus. Mit höflicher Nachsicht beantwortet er primitive Anfängerfragen und erklärt, dass es sich beim Legen um ein lockeres Rollen handelt. Schießen heißt: Die gegnerische Kugel zielgenau wegkicken.

Monsieur Ody, très français mit seinem linnenen Käppi, spielt Pétanque, seit er denken kann. Entsprechend elegant der Schwung, ob gelegt oder geschossen. Das in die Knie Gehen, das in die Höhe und nach vorne Schnellen des Körpers bei gespanntem Hochziehen der Augenbrauen, der schnurgerade Flug des Metalls. Dagegen der Anfänger: Leidlich geübt allenfalls darin, stets leckende bunte Boccias mit dumpfem Geräusch in den Adriasand zu setzen, fängt unsereiner schon grundfalsch an. Die Rechte treuherzig zur Kuhle geformt, das Silberrund hineingelegt, dann wie beim Ostereierkugeln oder Feierabendkegeln . . .

Von wegen. Merke: Beim Abstoßen umschließt die Hand die Kugel von oben, damit ordentlich Drall zustande kommt. Dann der Wurf - "nah an die Sau!", ruft Kunz noch - und die mit Bedacht komponierte Boule-Anordnung der Partner ist dahin. "Flach wegschießen wie beim Kegeln, dass es alles durcheinander haut, der Horror für gute Spieler", kommentiert Kunz. Er meint das gar nicht böse. Bloß: Boule-Spieler sind Taktiker, die können gar nicht mehr anders.

Neben ausgefeilter Technik sind am Sandboden nämlich psychologische Schachzüge gefragt. Wenn einer dran ist, sich zum Wurf anschickt, hebt das gegnerische Geraune an. "Das wird nichts!" und: "Schleeecht, ganz schlecht gestartet!" Klar, ein guter Treffer, ein Carot wird honoriert - mit Beifall-Klacken durch Aneinanderschlagen zweier Bälle. Worte hingegen spart man sich für die kleine Zermürbung am Rande - in aller Kugelwerfer-Freundschaft natürlich.

Jetzt macht sich Philipp Maurer auf, ein Könner. Er hat die vergangene dreiviertel Stunde damit verbracht, sich in aller Ruhe am Spielfeldrand ein Käsebrot nach dem anderen zu schmieren. Er hat dabei aus dem Augenwinkel sehr genau beobachtet, wer an diesem Sommerabend in Form ist und gegen wen antritt. "Schau den da hinten an, hobbymäßig rumgemacht vor drei Monaten, jetzt haut er uns die Kugeln um die Ohren." Noch ein Bissen. Dann steht er auf, lässt die Kugeln durch die Hände rollen. "Boule heißt, du musst resistent sein. Absolut Sprücheresistent."

© SZ vom 09.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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