Blutspenden soll hipper werden:Gesucht: Junges Blut, gebildet, urban

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Die Städter sind Blutspende-Muffel. Ganz anders sieht es dagegen in ländlichen Gebieten aus, wo es mehr Freiwillige gibt. Der Münchner Blutspendedienst steuert nun um. Mit einer neuen Imagekampagne sollen gezielt neue Spender geworben werden - vor allem Studenten.

Melanie Staudinger

Eine Turnhalle in Dachau. Vor dem Eingang stehen 15, zeitweise sogar 20 Menschen mit Personalausweisen in den Händen. Sie warten. Es riecht nach alten Turnschuhen und Schweiß. Das Licht ist grell, das Getuschel der potentiellen Blutspender klingt in dem hellhörigen Gebäude viel lauter, als es eigentlich ist. Nebenan in der Umkleidekabine sitzt ein Arzt. Er hat keinen Schreibtisch, keine Liege und keinen Computer. Immerhin trägt er einen Kittel.

Neue Werbekampagne des Münchner Blutspendedienstes: "Vielleicht gibt es auf dem Land mehr Tradition." (Foto: oh)

Im Zimmer sind nur die Bänke, auf denen untertags die Grundschüler vor und nach dem Sportunterricht Platz nehmen - und eine Waage. Wer weniger als 50 Kilogramm wiegt, darf kein Blut spenden: zu gefährlich. Der Arzt wird die Kandidaten später über die Risiken von Blutspenden aufklären und kontrollieren, ob sie alle Bedingungen erfüllen. Zu ihm werden aber lediglich diejenigen vorgelassen, die die Vortests bestanden haben - die Mitarbeiter des Blutspendedienstes München messen Fieber und den Eisengehalt im Blut. Sicher ist sicher. Alle, die die Richtwerte nicht einhalten, werden gleich nach Hause geschickt.

Inzwischen macht sich in Dachau Unmut breit. Es ist fast acht Uhr abends. Die meisten der Blutspender kommen direkt aus der Arbeit und haben einen langen Tag hinter sich. Eine junge Frau schimpft. Eine halbe Stunde habe sie bereits gewartet - nur um dann zu erfahren, dass sie zu wenig Eisen im Blut habe und nicht spenden dürfe. Ärgerlich. Weiter hinten kämpft ein Mann mit seiner Liege. Der Abstand zum Nachbarn beträgt keine 50 Zentimeter, eine Trennwand oder gar Regale gibt es nicht. Wo also die prall gefüllte Reisetasche abstellen, damit später die Ärztin auch ja noch durchkommt? Die Bedingungen für Spender, die immerhin uneigennützig ihr Blut zur Verfügung stellen, sind nicht gerade ideal.

Die Szenen aus Dachau könnten genauso gut in einem der anderen Landkreise im Münchner Umland spielen. Dass sich Städter davon abschrecken lassen, ist dem städtischen Blutspendedienst München auch bekannt. "Blutspenden wird von vielen als uncool und nicht hip genug angesehen", sagt Betriebsleiter Andreas Faber. Dabei würden Blutkonserven dringend gebraucht. In ländlichen Gebieten sei das weniger ein Problem, einen wirklichen Mangel an Freiwilligen gebe es hier nicht, auch wenn es natürlich stets mehr sein könnten.

In den Landkreisen um München lassen sich regelmäßig zwischen drei und vier Prozent der Menschen Blut abnehmen, um damit Unfallopfern oder Erkrankten zu helfen. In der Stadt München liegen die Zahlen weit darunter, genauer gesagt: bei etwa zwei Prozent der Spendefähigen. "Man kann schon sagen, dass das Umland die Stadt momentan mit Blut versorgt", erklärt Faber.

Über die Gründe, warum das so ist, kann er nur spekulieren. "Vielleicht gibt es auf dem Land mehr Tradition", sagt er. Der städtische Blutspendedienst existiere seit 68 Jahren. Manche Familien kämen schon in der dritten Generation, Eltern nähmen ihre Kinder einfach zu den Terminen mit, wenn diese alt genug seien. Eventuell spiele auch der Einfluss von Freiwilliger Feuerwehr und anderen Vereinen eine Rolle, der im Hinterland größer sei als in der anonymen Großstadt.

Jedenfalls spendeten im jüngsten Spendenzyklus, der die vergangenen zwei bis drei Monate umfasst, 13.989 Menschen in den Landkreisen Pfaffenhofen, Rosenheim, Erding, Ebersberg, Fürstenfeldbruck, Dachau, Miesbach, Starnberg, Wasserburg, Bad Aibling und Freising ihr Blut.

Der städtische Blutspendedienst will jetzt auch die Münchner für sein Anliegen begeistern. Er präsentiert sich bewusst jugendlich. Vor gut einem Jahr schon startete eine neue Werbekampagne - im Radio, in U-Bahn-Stationen und auf Plakatwänden. Man sieht viele junge, gut aussehende und strahlende Gesichter auf den Postern. Die Botschaft: Blutspenden macht Spaß. Im Juni dieses Jahres hat Betriebsleiter Faber in München seine renovierten Räume eröffnet. Moderner seien sie, heller, klimatisiert und komfortabler, sagt er.

Auch die internen Abläufe seien optimiert worden. Zu den Öffnungszeiten in der Dachauer Straße stehen nun zwei statt vorher ein Arzt bereit, das soll die Wartezeiten verkürzen. Vor allem junge Leute sollen sich, auch wenn ihnen gerade Blut abgezapft wird, wohl fühlen. Und das, so Fabers Idealvorstellung, ihren Kommilitonen, Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten dann auch erzählen. "Wenn sie gerne kommen, kommen sie auch öfter", sagt der Betriebsleiter.

Sein Engagement zeigt bereits Erfolge, zumindest wenn man die aktuellsten Zahlen betrachtet. "In den vergangenen Monaten ist ein ziemlicher Run in München entstanden", sagt Faber. Von Januar bis August spendeten 18.329 Münchner ihr Blut. Das bedeutet eine Steigerung von 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Natürlich ist das Niveau bei knapp 1,4 Millionen Einwohnern noch gering. Faber startet daher im Herbst eine neue Werbekampagne, die sich gezielt an Studenten richtet.

Hier sieht er enormes Potential, gibt es doch knapp 100.000 Studierende in der Landeshauptstadt. "Dieses Publikum bräuchten wir." Faber will das nicht als Diskriminierung der älteren Blutspender verstanden wissen. "Wir freuen uns auch über jeden 60-Jährigen, der zu uns kommt", sagt er. Dennoch seien junge Spender oftmals geeigneter - sie nähmen weniger Medikamente und seien in der Regel gesünder. Außerdem stünden sie für einen längeren Zeitraum zur Verfügung. Blutspenden ist nur bis zu einem Alter von 68 Jahren erlaubt.

Blut-Nachschub brauchen die 45 Krankenhäuser in München sowie die Kliniken in der Region ständig. Sie werden nicht nur vom städtischen Blutspendedienst versorgt, sondern auch vom Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes. Gemeinsam müssen die beiden Institutionen eine Vollversorgung der Krankenhäuser mit Blutkonserven sicherstellen, auch in Ausnahmefällen wie der jüngsten Ehec-Epidemie. Dazu benötigen sie stetig neue Spender. Und so versuchen auch die BRK-Verantwortlichen, junge Menschen für das Blutspenden zu begeistern.

Das ist gar nicht so einfach bei einer Einrichtung, die als sehr traditionell orientiert gilt. "Wir haben unterschiedliche Aktionen, um Menschen unter 30 Jahren zu aktivieren", sagt Pressesprecherin Anja Maria Endraß. Ehrenamtliche gingen etwa an die Münchner Universitäten, um aufzuklären. Auf der Internetseite kann man sich die kostenlose Blutspende-App fürs Handy herunterladen, die Informationen über Spendetermine samt Wegbeschreibung dorthin bietet und Videos zur Blutspende mitliefert.

Erlebniswelt Blutspende" nennt sich dieser Bereich auf der Homepage, Interessierte können sich Bilder von jungen Menschen anschauen, die berichten, warum sie sich gerne Blut abzapfen lassen. Die 21 mobilen BRK-Teams sind in Stadt und Landkreis München sowie im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen unterwegs. In München verzeichneten die Helfer im vergangenen Jahr 4339 Spender (0,14 Prozent der Gesamtbevölkerung). 2009 waren es 1422. In Wolfratshausen kamen 4339 Menschen (3,57 Prozent); 2009 waren es 4311. Auch hier trifft Fabers Aussage zu, dass die Menschen im Umland einfach spendefreudiger seien.

Wir versuchen zu vermitteln, dass die Menschen mit einer Blutspende wirklich Großartiges leisten", sagt Endraß. Als Aufwandsentschädigung gibt es Getränke und einen Imbiss, wie auch beim städtischen Dienst. In Berlin ist das anders. Da bekommen Spender 30 Euro. Auf Geld verzichtet das Rote Kreuz aber bewusst. "Wir wollen das gemeinschaftlich getragene soziale Engagement betonen", so die Pressesprecherin. Damit der Spender trotzdem von seiner guten Tat profitiert, bietet das BRK seit kurzem einen Gesundheitscheck an. Wer öfter zu den Terminen kommt, kann seine eigenen Werte analysieren lassen und bekommt die Untersuchung per Post zugeschickt. "Das ist für viele interessant", sagt Endraß. Ein bisschen Eventcharakter eben.

Dass sich die Blutspendedienste verstärkt auf die Stadt München konzentrieren, hat Folgen für das Umland. In Hebertshausen im Landkreis Dachau musste der städtische Blutspendedienst jüngst einen Termin ausfallen lassen. Insgesamt strich Faber im Sommer sechs Spendentage in der Region. "Mangels Personal", wie er sagt. Urlaubszeit und Krankheit seien zusammengekommen, und in München würden jetzt ja mehr Ärzte arbeiten. Als dramatisch sieht er das nicht an. Monatlich gebe es schließlich im Schnitt 50 Aktionen abwechselnd in den vom Blutspendedienst betreuten Orten. "Bevor es zu langen Wartezeiten kommt, weil wir zu wenige Helfer haben, lassen wir einen Termin lieber gleich ausfallen", sagt Faber. Ewig in der Schlange stehen, mache keinen Spaß. Und würde der neuen Imagekampagne so gar nicht entsprechen.

© SZ vom 07.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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