Besondere Berufe:Das verborgene Leben

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Wie ein Energiemeister, ein Totengräber, eine Krankenschwester und zahllose Bärtierchen den Organismus der Stadt am Pulsieren halten

Christoph Kappes

Die einen tummeln sich lieber in klarem, die anderen in trübem Gewässer. Die Bachforellen wie die Bärtierchen tragen auf ihre Art Sorge für das Leben der Münchner. Die Forellen sind Testschwimmer im Trinkwasser.

Ihr Befinden verrät, ob sauber ist, was aus dem Mangfalltal und der Oberau in Münchner Badewannen und Gläser fließt. Die Bärtierchen sind dagegen im Schmutzwasser Zuhause: In den Klärwerken Großlappen und Marienhof fressen sie Wimpertiere, die sich von Bakterien ernähren. Die wiederum müssen sich mit Fäkalien begnügen.

Natürlich funktionieren weder diese Nahrungskette noch die Trinkwasserversorgung ohne Laboranalysen und Menschen. Sie sitzen in Schaltzentralen vor Bildschirmwänden und greifen per Mausklick ein, wenn etwas schief läuft. Oder gehen raus, warten Rohre, Kanäle und Klärbecken. Mehrere tausend Mitarbeiter erledigen, oft unsichtbar, die sogenannte Daseinsvorsorge der Stadt.

Sie stehen frühmorgens auf, öffnen die Tore für das Marktgeschehen, leeren Mülltonnen, pflegen Alte und Kranke, schaufeln Gräber, unterrichten, kümmern sich um die Energie oder sitzen am Steuer von Bus, Bahn und Tram.

Sie tun dies alles im Dienst städtischer Betriebe, zumindest in München. Andere Kommunen haben ihre Dienstleistungen in die Hände von Privatunternehmen gegeben, um ihre Haushalte zu sanieren. Und um das Angebot vielfältiger, effizienter und günstiger zu machen, wie Befürworter der Privatisierung sagen. Gegner, wie der Münchner Oberbürgermeister und Vorsitzende des Städtetags, warnen vor dem Ausverkauf: Ausbildungsplätze und Umweltstandards würden auf dem freien Markt Renditen geopfert.

Was sich im Müll so findet

Die Arbeitszeit von Walter Forster ist genau geregelt: Von 4.30 bis 13.12Uhr wacht er über den Warenfluss in der Großmarkthalle. Der 54-Jährige setzt seine Dienstmütze auf, bevor er das Kontrollmeisterbüro verlässt. Draußen stößt er fast mit einem Sackkarren voll Blumenkohl zusammen.

Auf dem Hof schwärmen Gabelstapler um Lastwagen mit italienischen, niederländischen, türkischen oder deutschen Kennzeichen. Forster streift durch die Hallen, grüßt bekannte Gesichter und schaut, dass sich keiner über die weiße Linie drängelt. Der Durchgang muss freibleiben, auch wenn jeder um Aufmerksamkeit für seine Ananas, Pilze oder Kartoffeln buhlt. Das Angebot ist riesig.

Seit zwanzig Jahren sorgt Forster auf dem städtischen Großmarktgelände für Ordnung. Zuvor war er bei der Bundeswehr, Versorgungsfeldwebel für Essen, Kraftstoff und Munition. Seit seine Frau vor zehn Jahren gestorben ist, lebt er auch auf dem Gelände.

Die Wohnung liegt über seinem Büro. Um zwei Uhr morgens geht es mit der Warenanlieferung los. Forsters Hund schlägt allenfalls noch beim Pfeifen der Standburschen an, die Obst und Gemüse in Kofferräume verladen. Destination Restaurantkochtopf oder Viktualienmarkt.

Es dämmert, als Acikan Scheriff mit seinem orangefarbenen Laster den Viktualienmarkt passiert. Mit drei Kollegen sammelt er den Müll rund um den Marienplatz ein. Seit 14 Jahren ist er für die Abfallwirtschaftsbetriebe unterwegs.

Die erste Fuhre schüttet Scheriff gegen 11.30Uhr durch eine kleine Öffnung ins Mülldepot des Heizkraftwerks Nord. Drinnen nimmt Josef Toman, 59 Jahre alt, die Ladung entgegen. Er sitzt in einer Glaskanzel und blickt tief hinunter in den Betonschlund des Depots, wo 8000 Tonnen Müll lagern. Mit einem Joystick steuert er den Greifer und füttert den Heizkessel.

Vergangenes Jahr wollte die Polizei im Mülldepot nach einer Leiche suchen. Als die Fahnder erfuhren, wie teuer ein Betriebsstopp die Strom- und Wärmekunden der Stadt kommen würde, bliesen sie die Aktion wieder ab. Das Kraftwerk selbst überprüft den angelieferten Müll in Stichproben und mit Kameras.

Trotz der Routinekontrollen ist man aber vor Überraschungen nicht gefeit. Auf der Anfahrtsstrecke der Laster fand Toman einmal eine Rolle mit Zeichnungen. Das Münchner Bankhaus war äußert dankbar, als es die Tresorbaupläne aus den Händen des Kraftwerkers zurückerhielt.

Klaus Forster (weder verwandt noch verschwägert mit dem Kontrollmeister der Großmarkthalle) ist Energiemeister des Heizkraftwerks Nord und kommt mit seinem Brennstoff selbst nicht in Berührung. Er sitzt in der Warte des Kraftwerks vor acht Wand-, 13 Computerbildschirmen und einem Laptop-Display.

Mit Blick auf Reserven und Bedürfnisse bestimmt er, wie viel Leistung Münchner Kraftwerke aus Müll, Kohle, Gas, Sonne, Wasser oder Wind gewinnen müssen. Ist der Energiehunger groß, kauft Forster auf dem freien Markt hinzu. Im Moment verlangt die Stadt nach 1108 Megawatt. Das entspricht in etwa der Prognose, erstellt aus unzähligen Parametern inklusive Wettervorhersage. Forster kann gelassen bleiben. Es gab auch schon brenzligere Situationen, aber seinen Strom hat der Energiemeister bisher immer zusammenbekommen. Das macht stolz.

Von Münchens Hausmüll bleibt nach der Verbrennung wenig übrig: Schlacke, Rauch und jede Menge Sprungfedern. Ein Rost hat die skelettieren Matratzen aus der Schlacke ausgesiebt. Sie türmen sich in einem Container und begraben den verbogenen Rahmen eines Kinderfahrrads unter sich.

Ein Knochenjob

Vier Beerdigungen finden morgen auf dem Nordfriedhof statt. Harry Bill Faltenhuber hat einiges zu tun. Sein Kollege reicht ihm aus der Grube vorsichtig einen Schädelknochen. Bis der Bagger die vorgeschriebenen 1,80 Meter erreicht, kommen noch ein weiterer Schädel und drei Oberschenkelknochen zum Vorschein. Behutsam vergräbt Faltenhuber die Überreste der Verstorbenen am Boden des neu ausgehobenen Grabs, nun fast zwei Meter tief unter der Erde.

Mit mehr als 27 Jahren Dienstzeit und einem Alter von 56 Jahren ist Faltenhuber der älteste Grabmacher der Stadt. Er musste anfangs noch mit Spitzhacke und Spaten statt mit Minibagger und Presslufthammer den Boden bearbeiten.

Eine Schinderei, vor allem im Winter, wenn der Frost tief reichte. Faltenhuber hat bislang 25000 Gräber in München ausgehoben. Er schätzt, dass er bis zu seiner Pensionierung rein rechnerisch den gesamten Nordfriedhof einmal umgegraben haben wird: 37000 Gräber. Es werden aber weniger. 1300 sind allein auf dem Nordfriedhof frei. Viele Angehörige lassen die vorgeschriebene Ruhefrist von zehn Jahren nicht mehr verlängern.

Fremdsprache Deutsch

In das Neugeborenenzimmer fällt mildes Herbstlicht. Hier wäscht, wiegt und untersucht Birgit Mezger die Kleinen, wenn sie aus dem Kreißsaal des Schwabinger Krankenhauses kommen. Nachdem Mezger in Bremen ihre Ausbildung machte, dort aber kaum Stellen frei waren, ist sie vor 18 Jahren nach München gekommen. Dort herrschte Pflegenotstand.

Die Stadt bot ihr damals eine Mietwohnung aus eigenem Bestand an. Auch dass sie gut versichert ist, weiß die 39-jährige Krankenschwester zu schätzen. Freilich müssen auch städtische Betrieben sparen. 2006 sind gynäkologische und Geburtshilfe-Station in Schwabing zusammengelegt worden. Mezger liebt Neugeborene, deshalb wurde sie Kinderkrankenschwester. Nun aber nimmt für sie der Stress überhand.

Sandra Behringer hält ihren Sohn auf dem Arm, während sie einen Volkshochschulkurs besucht. Der Kleine ist 11 Wochen alt. Sandra Behringer und ihr Mann haben ihn Thomas genannt, weil das alle aussprechen können: die deutsche Familie ihres Mannes, ihre amerikanischen Eltern und die spanischen Großeltern.

Behringer lebt seit einem Monat in München. Ihr Mann wird für eine amerikanische Firma die nächsten drei Jahre hier arbeiten. Während Thomas an ihrer Schulter schläft, liest sie: ,,Dieser Rock ist zu weit.'' Behringer hat den Kurs Deutsch für Ausländer bei Agnes Gschwind belegt. Kein Integrationskurs, alle sind freiwillig hier: Ehefrauen, Austauschschüler, eine Altenpflegerin. Im Grunde unterscheiden sich Integrationskurse und dieser hier nicht, sagt Gschwind, die schon Kurse für Gastarbeiter leitete. Außer, dass sich bei Integrationskursen neben Lehrbüchern Ordner stapeln: Vorschriften, Anträge, Nachweise.

Am späten Nachmittag blinzelt noch einmal die Sonne durchs Laub. Der Kurs ist für heute zu Ende, die Teilnehmer kommen nach draußen. Eine Ansammlung von 14 Nationen. Die meisten verständigen sich auf Englisch. Ein paar versuchen es nach den wenigen Lektionen bereits mit ihrer neuen Fremdsprache. Ein Erfolg für Agnes Gschwind, der sie in ihrer beruflichen Leidenschaft bestätigen wird: Nichts macht sie lieber als zu unterrichten.

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