Bereits 48 Tote:Trauriger Rekord in der Drogenszene

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Polizei und Suchthilfeorganisationen sehen vor allem Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Depression als Gründe.

Christian Rost

(SZ vom 25.7.2003) — Die Polizei sieht sich mit einer außergewöhnlich hohen Zahl von Rauschgiftopfern konfrontiert. 48 Frauen und Männer starben im ersten Halbjahr 2003 allein in München an den Folgen von Drogenkonsum. 2002 waren es im selben Zeitraum 31 Opfer.

Einer der Gründe dafür sei, so heißt es bei der Polizei, die wirtschaftliche Depression und fehlende Perspektiven.

Nach den Jahren 1993 und 2000, damals wurden insgesamt je 86 Rauschgifttote registriert, scheint auch dieses Jahr wieder einen traurigen Rekord hervorzubringen. Der Leiter des Rauschgiftdezernates am Polizeipräsidium, Torsten Wittke, befürchtet bis zu 90 Drogenopfer übers Jahr, wenn man zugrunde legt, dass zwei bis vier Prozent der Süchtigen einer regionalen Szene pro Jahr sterben.

Nahezu wöchentlich Todesfälle

Nahezu wöchentlich muss Wittke oft mehrere Todesfälle melden, weshalb sich Polizisten, Vertreter von Suchthilfeorganisationen, Krankenhäusern und Substitutionsambulanzen kürzlich wieder zu einer Analyse der Drogensituation in München trafen.

Die Gründe für steigende Opferzahlen seien vielschichtig, berichtet Wittke im Gespräch mit der SZ, deutlich bemerkbar mache sich aber "Perspektivlosigkeit und Resignation" bei den Abhängigen. In Folge der wirtschaftlichen Depression und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit sähen viele Betroffene keinen Ausweg aus ihrer Lage.

Sie praktizierten "hochriskanten Rauschgiftkonsum" und sagten sich dabei: "Wenn's passiert, dann soll es so sein." Auch die verhältnismäßig hohe Zahl von Selbsttötungen spricht für diese These. War es in den ersten Halbjahren 2001 und 2002 noch jeweils ein Fall von Selbstmord, so verzeichnete die Polizei heuer bereits sechs Suizide im Zusammenhang mit Rauschgift, wobei es sich nicht immer um tödliche Dosen mit Opiaten, speziell mit Heroin handelt.

Immer mehr weibliche Drogenkonsumenten

Erst vergangene Woche sprang eine 22-jährige Münchnerin nach Drogenkonsum und einem Streit mit ihrem Freund aus dem fünften Stock einer Wohnung in Schwabing in den Tod. Festgestellt wurde auch, dass der Anteil an Frauen bei den Drogenkonsumenten ansteigt — auf jetzt mehr als 20 Prozent.

Vor drei Jahren, als die Opferzahl ebenfalls stark angestiegen war — in "normalen" Jahren registriert die Polizei zwischen 60 und 70 Todesfälle —, gab es wirtschaftlich keine Probleme.

Damals erkannten die Experten als Gründe für den Anstieg die "Hochschwelligkeit bei der Substitutionsambulanz" und die mangelnde Kontrolle bei der Methadonabgabe. Einige Opfer hätten beispielsweise abends die vorgeschriebene Methadon-Dosis zu sich genommen.

Weil sie aber nach zwei Stunden nicht die erwartete Wirkung verspürten, hätten sie mehr von dem Ersatzstoff konsumiert. Die Folge daraus sei gewesen, dass sie mit der Überdosis "regelrecht in den Tod schliefen", so Wittke. Die Suchthilfe habe dieses Problem erkannt und weitgehend abstellen können.

Heute sei hier ein gewisser Qualitätsstandard erreicht. Um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Depression auf Drogenkonsumenten abzumildern, spricht sich der Rauschgiftfahnder für mehr Kontaktläden im Stadtgebiet aus. Bekämen die Betroffenen in solchen Einrichtungen Kleidung und hätten sie die Möglichkeit, sich zu waschen, würde dies auch ihr Selbstwertgefühl steigern und die Perspektivlosigkeit mildern.

Wittke macht sich aber keine Illusionen hinsichtlich neuer Kontaktläden: "In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt auch dafür das Geld."

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