Bauboom:Stadt, Land, Überfluss

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Das Bauen boomt rund um München - nicht immer zum Besten der Gemeinden.

Oliver Herwig

München ist wieder obenauf. Die Landeshauptstadt stehe ,,deutlich an der Spitze der deutschen Bürostandorte'', jubelt ein aktueller Immobilienbericht, hier habe sich die ,,Trendwende vollzogen''.

Die leidige Hochhausdebatte von 2004 ist vergessen, München holt im Eilschritt nach, was andere Kommunen erfolgreich praktizieren: Standortmarketing durch spektakuläre Architektur. Hier glänzt die Pinakothek der Moderne, dort glüht die Fußballarena, und am Mittleren Ring wächst das wogende Auslieferungszentrum von BMW.

Baukultur aber lebt nicht von großen Gesten allein, sie braucht eine breite Basis. Genau hier zeigt sich ein tief greifender Wandel. War Qualität früher Sache der Urbanisten, entsteht sie heute überall, vor allem draußen, im Speckgürtel zwischen Freising und Weilheim, Landsberg und Rosenheim.

Bayern: Mekka künftiger Architouristen?

Wer einen Blick auf die täglichen Pendlerströme wirft, weiß warum: Stadt und Umland sind untrennbar verflochten. Gebaut wird, wo Bedarf besteht. 290 000 Quadratmeter Büroflächen setzten Münchens Makler allein im ersten Halbjahr 2005 um. Drei Viertel davon entfielen auf das Stadtgebiet, der Rest auf das Umland. Der Baudruck ist gewaltig, und immer öfter entlädt er sich in richtig schönen Häusern auf der grünen Wiese, mitten im historischen Ortskern oder in einem Bauernhof, der nicht hingerichtet, sondern liebevoll hergerichtet wird.

Die Bayerische Architektenkammer liefert Zahlen: 28 ausgezeichnete oberbayerische Bauten bei den Architektouren 2004, 52 im Folgejahr, heuer bereits 71. Wenn dieser Trend anhält, wird Bayern zum Mekka künftiger Architouristen.

Um München wächst viel Gutes, zumeist ganz normale Bauten auf hohem Niveau: der schnörkellose Jugendtreff in Erding etwa, das fesche Rathaus von Hörgetshausen, eine minimalistische Lärmschutzwand in Ingolstadt oder ein schnittiges Seniorenwohnhaus in Jesenwang. Dazu kommen jede Menge Einfamilienhäuser, Dachausbauten und Renovierungen - gebaut mit viel Gefühl für den jeweiligen Ort und seine Traditionen.

Der Transfer Stadt-Land funktioniert aber auch in entgegengesetzter Richtung. Läppische Moden und Eitelkeiten werden erst hingenommen, dann übernommen, schließlich unendlich wiederholt. Die Palette der Scheußlichkeiten reicht von blauen Schindeln über Bullaugen-Fenster und rosa Wandeinfassungen bis hin zu auffallenden Dachreitern. Auf dem Land wirken solche Showeinlagen noch lächerlicher als in der Stadt. Da werde allzu oft ,,mittels kitschiger Dekoration versucht, Individualität kosmetisch nachzutragen'', schimpft Johannes Berschneider.

Gegen Geranien und Klischees

Der Architekt setzt sich seit Jahren für modernes Bauen ein, kämpft aber zugleich für den Einsatz bewährter Materialien in neuen Grundrissen, Bauweisen und Techniken. ,,Die alte Baukultur wieder zu entdecken und mit heutiger Architektursprache selbstbewusst in Einklang zu bringen'', ist sein Ziel. Das teilt er mit allen, die genug haben vom Jodlerstil, der sich als Klischee des bayerischen Hauses mit viel Balkon, mehr Geranien und noch mehr dunklem Holz vor der Hüttn wie eine Landplage durch das Oberland frisst.

Die Stadt München bleibt ein Traum für Immobilienanleger, gekennzeichnet durch Wachstum, Zuzug und geringen Leerstand. Das Planungsreferat rechnet damit, dass noch etwa 60 000 Wohnungen durch Nachverdichtung errichtet werden können. Dann ist München dicht.

Dieser Boom beschert den Nachbargemeinden Luxusprobleme: Pendlerstaus und zersiedelte Landschaften. Höchste Zeit für die Politik aus Stadt und Umland, das Problem gemeinsam anzupacken. Wettbewerbe wie ,,Unser Dorf soll schöner werden'' können nicht länger Idyllen prämieren, ausladenden Blumenschmuck, Ziergärten und Lüftlmalerei, wenn gleichzeitig immer mehr Ortskerne veröden durch die Siedlungen und Gewerbegebiete an ihren Rändern.

Zerstörte Dorfidylle

Mit Grund und Boden sei sparsam umzugehen, fordert das Baugesetzbuch. Das Regelwerk wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Im Speckgürtel von München stehen Kommunen unter enormem Druck. Da reicht der Hinweis auf Arbeitsplätze, um neue Gewerbeflächen auszuweisen - oft mit verheerenden Folgen. Aus geschlossenen Gemeinden werden wuchernde Siedlungen.

Andreas Distler, pensionierter Ministerialrat in der Bayerischen Obersten Baubehörde, warnte bereits vor Jahren: ,,Wenn Innenstädte nur noch Dienstleistungs- und Handelsstandorte'' seien, bringe ,,dies große Nachteile mit sich für die Vitalität der Stadt.''

Es geht nicht mehr um Geschmacksfragen, um Hotels, Mehrfamilienhäuser und Feuerwehren, die als große Bauernhäuser auftreten, es geht um die Identität einer Landschaft. Längst greift die Zerstörung der Zentren auf das Land über: verödete Dorfstraßen, verdunkelte Geschäfte, tote Winkel, während ihre Ausfallstraßen überschwemmt werden mit Shops und Abholmärkten.

In den letzten Jahren haben viele Gemeinden nachgeholt, wozu Städte Jahrzehnte brauchten: die Amerikanisierung ihrer Ränder. Deutschland begräbt rund 130 Hektar Grund pro Tag unter Straßen und Siedlungen, Bayern holt dabei überproportional auf.

Auch München muss daran gelegen sein, dass Gemeinden an seiner Peripherie nicht zu anonymen Schlafstätten mit Autobahnanschluss und Shopping Mall mutieren. Stadterneuerung und -erhalt ist kein Parteienthema und keines, das nur an Ballungsräume gebunden wäre.

Es ist ein Bewusstseinsthema. Und das zeigt sich, dass der lange München-Boom auch einige Schattenseiten wirft. Gute Architektur kann städtebauliche Fehlentscheidungen nicht aufwiegen, auch wenn heute das Bekenntnis zur Qualität weiter verbreitet ist denn je.

Dass München den Einheimischen gefällt, Zugereisten aber zu Begeisterungsstürmen verleitet, ist ein Gemeinplatz. Schon immer spielte die Architektur dabei eine große Rolle. Matthaeus Merian schwärmte mitten im Dreißigjährigen Krieg davon, dass die Häuser ,,groß, schön und prächtig erbauet'' seien, und dass ,,umb die Statt liebliche Wäld, viel See und Weyher'' lägen.

Nichts hat sich gründlicher überholt als diese Trennung. Innen Stadt - draußen Land gilt nicht mehr. München bezeichnet eine Region, die ihr Zentrum irgendwo zwischen den Voralpenseen und dem Flughafenterminal hat. Stadt und Umland gehören zusammen, und das eröffnet riesige Gestaltungsmöglichkeiten - nicht nur für Architekten, Häuslebauer und Stadtplaner. Von einer nachhaltig wachsenden Region werden alle profitieren, die verstädterten Dörfer ebenso wie die Münchner, die es bei jedem Sonnenstrahl rauszieht.

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