Batticaloa:Fischer ohne Boote

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Der Tsunami hat das Handwerkszeug der Fischer zerschmettert und den Menschen die Lebensgrundlage geraubt - nicht aber den Lebenswillen.

Von Monika Maier-Albang

Von hier oben, vom Rande der eisernen Lady-Manning-Bridge, gleicht es einem Baumstamm, der im seichten Wasser der Lagune treibt. Doch Babu, unser Begleiter, erkennt das Krokodil sofort. Unzählige Male, erzählt er, habe er schon versucht, das Ungetüm vom Boot aus zu erschießen, weil es unvorsichtige Fischer ins Wasser zieht. Doch immer sei es ihm entwischt. Abgetaucht - und weg war es.

Die Fischer haben das Krokodil auch gesehen und bleiben respektvoll auf Abstand. Das fällt ihnen leicht, jetzt, da sich nur noch ein gutes Dutzend Boote die Lagune von Batticaloa teilt. Früher durchkämmten die Männer zu Hunderten das Wasser mit ihren Netzen. Es gab sogar eine Fischereischule auf der Landzunge, die der Stadt vorgelagert ist. Von dem Gebäude ist kaum etwas übrig. Trümmer nur, und ein Brunnen mit zwei sich der Sonne entgegen krümmenden Fischen.

Auf dieses Wahrzeichen, die "singing fish", die sogar in der Encyclopedia Britannica erwähnt werden, sind die Menschen in Batticaloa mächtig stolz. Nur an einigen Plätzen in der Lagune und nur in Vollmondnächten soll man sie hören können. Dazu muss man ein Paddel ins Wasser tauchen und sein Ohr daran halten - die Töne sollen wie hohe Orgelpfeifen klingen. Bis heute allerdings hat niemand die musikalischen Fische gesehen.

Die Fischer haben jetzt auch andere Sorgen. Die meterhohe Welle hat ihr Handwerkszeug zerschmettert. In Stücken haben die Männer die Boote aus den Ruinen der Häuser hervorgezogen. Andere liegen auf dem Grund der Meeres, neben Autowracks, Fahrrädern und Bauschutt. Auch viele Fischer haben nicht überlebt.

786,03 Euro pro Boot

Father Gabriel Alfreds, Jesuit in Batticaloa, hat aufgelistet, was der Tsunami in seiner Gemeinde angerichtet hat. Im Pfarrgebiet von St. Sebastian sind 71 Menschen gestorben, 15 Leichen hat man nicht bergen können, die Menschen gelten als vermisst. 1211 Familien mussten ihre Häuser verlassen.

In den ersten Tagen nach dem 26. Dezember hat der Jesuit gemeinsam mit überlebenden Gemeindemitgliedern "Rehabilitation Committees" gegründet und einen action plan aufgestellt. Benötigt werden demnach für die Fischer, die meist in Kooperativen zusammengearbeitet haben: 46 kleine und 21 große Lagunen-Kanus, 16 Netze für die Meeresfischer, 43 für die Lagunenfischer, 56 Wurfnetze plus 29 Lampen, die die Garnelenfischer in der Dämmerung auswerfen.

Dazu 16 meerestaugliche Boote, deren Preis Father Gabriel bis auf die Kommastelle in Euro angeben kann: 786,03 Euro pro Stück. Ein kleines Lagunen-Kanu - eine Art Einbaum aus Kunststoff, der mit einem Ausleger stabilisiert wird - bekommt man schon für 166,73 Euro. Die Stadt München will Father Gabriel bei der Wiederbeschaffung der Boote und Netze unterstützen.

In einer Bootsfabrik am Rande der Landzunge möchte Father Gabriel die Kanus herstellen lassen. Wobei Fabrik ein etwas hochtrabender Begriff für die familiäre Freiluftwerkstatt der "Narma Fibre Industries" in Kallady ist. Boothersteller Ruthramoorthy Tambirajah hat zwar zusätzliche Arbeiter angeheuert, die nun von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends durcharbeiten.

Trotzdem kann seine Fabrik nur vier Boote pro Tag herstellen - mehr Negativformen hat der Betrieb nicht. Und Father Gabriel möchte keine Boote aus Übersee importieren, weil das den lokalen Markt kaputt macht. Es wird also eine Weile dauern, bis alle Fischer wieder Boote haben. In die Formen hinein streichen die Arbeiter Kunstharz, legen Glasfasermatten darauf und lassen das Gemisch an der Sonne aushärten. Die Chemikalien beißen noch Stunden nach dem Fabrikbesuch im Hals, und man wünscht den Arbeitern, dass die Tücher, die einige sich über die Nase gezogen haben, etwas helfen.

Nun schwingt sich Father Gabriel auf sein Motorrad und fährt zurück über die Lady-Manning-Bridge in seinen Pfarrbezirk. Im Auto will er nicht mitfahren - er scheint zu wissen, warum. Sein Motorrad schlängelt sich flott durch den dröhnenden Verkehr, vorbei an Polizisten, die mit umgehängten Gewehren die schweren Laster in Einbahnregelung über die alte Kolonialzeitbrücke dirigieren. Radfahrer, die plaudernd zu zweit nebeneinander fahren, müssen auf Geheiß der Ordnungsstifter die Luft aus den Reifen lassen. Father Gabriel braust an den Verkehrspolizisten vorbei und erreicht als erster Mister Mahendirans Haus.

Velmurugu Mahendiran ist einer der Fischer ohne Arbeit, obwohl sein Boot der Welle getrotzt hat. Doch hat das Wasser den Motor mitgerissen. "Die Regierung hat uns versprochen, den Schaden zu ersetzen", sagt der Fischer. "Aber wann?" Und wovon leben Sie momentan, Mr. Mahendiran? Wovon ernähren Sie Ihre drei Kinder?

Der Mann blickt zum Pater, lächelt, antwortet nicht. Später wird Father Gabriel erklären, dass Velmurugu Mahendiran sich dafür schämt, Essenscoupons einzulösen. Coupons im Wert von 250 Rupien, zwei Euro, erhält jeder Erwachsene pro Woche. Dafür stehen die Menschen stundenlang vor dem Rathaus Schlange.

Doch selbst die Fischer, die noch funktionstüchtige Boote haben, können momentan kaum von ihrer Arbeit leben. Die Menschen in Batticaloa ekelt es vor dem Fisch, der in der Lagune gefangen wird und vor der Vorstellung, die Tiere könnten sich an ihren ertrunkenen Angehörigen und Freunden gemästet haben.

Auch haben die Menschen Angst, dass der Fisch krank macht. Früher boten auf dem Markt in Batticaloa 88 Fischhändler ihre Ware an. Jetzt stehen sie hier zu viert und zerteilen Thunfisch und Rochen, der 40 Kilometer entfernt gefangen wurde. Father Gabriel ist allerdings zuversichtlich, dass sich die Bedenken legen werden. "Den Menschen hier passieren immer wieder schlimme Dinge. Sie haben gelernt, damit zu leben."

© Süddeutsche Zeitung vom 14.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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