Bahnhofs-Lokale:Von Hammelkeulen und In-Schuppen

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Einst berüchtigt für Nepp und Rotlicht, heute Trendsetter-Meile: das Bahnhofsviertel

Peter Würth

(SZ vom 16.05.2002)- Vorbei. Nichts ist's mehr mit dem Mathäser-Weißbierkeller, in dem sie saßen und soffen. Jetzt bauen sie ein Riesenkino hin. Das wird ein anderes Publikum ins Bahnhofsviertel bringen. Schicker, jünger, nüchterner. Bahn-Chef Helmut Mehdorn wird es freuen. Der hat es lieber sauber in und um seinen Bahnhof.

Hat ein schickes "Times Square Online-Bistro" als Edel- Variante zum 550-Computerplätze-Internet-Shop Easy Everything im alten Telegrafenamt bauen lassen und eine ganze gläsern-lichte Markthalle. Der Vulgärromantik vom wahren, echten und ursprünglichen, eben auch realistischen Leben kann die Bahn nichts abgewinnen. Dabei ist das Bahnhofsviertel eh schon nicht mehr das, was sich die meisten Münchner darunter vorstellen. Lange nicht da gewesen, oder?

Im Kopf noch die Geschichten von den illegalen Puffs, von Nepp-Bars und von Säuferspelunken wie jener, in der sie Konstantin Weckers legendären Antifaschisten "Willy derschlogn ham". Selbst das Image von "Klein-Istanbul" stimmt nur zum Teil. Die Wirklichkeit im Bahnhofsviertel sieht anders aus. Nüchterner, klarer, sauberer, langweiliger - und an ein paar Stellen, die man suchen oder kennen muss, schon richtig spannend, trendy gar. So sieht ein Viertel aus, kurz bevor es anfängt, "in" zu werden. Ein Viertel, in das sich ein paar Trendsetter vorwagen, die dann die Szene - oder was sich dafür hält - nachziehen.

Kostbar

In die Nähe des Hauptbahnhofs, hat sich das Kostbar (Augustenstraße 7) vorgetastet.Dahin, wo Schwabing schon vorbei und der Bahnhof nur zu ahnen ist, auch wenn es gerade fünf Minuten zu Fuß sind. Das Kostbar ist angesagt, sprich: rappelvoll. Um 21 Uhr, um 22 Uhr, um 23 Uhr. Um 24 Uhr auch noch, aber dann ist Schluss. Neun Stunden später wird schließlich schon wieder geöffnet. Die Zeit reicht kaum für den Luftaustausch. Ein wenig Kneipendunst hängt dann noch in den Räumen.

Das Kostbar hat drei Zonen. Vorne, zur Augustenstraße raus, ein großer heller Raum mit Riesenschaufenstern, Designer-Tischen und -Stühlen aus den Sechzigern. Hier wird zu zweit oder zu viert gegessen (zum Beispiel Entenbrust auf Gemüsenudeln für 11,80 Euro), mit scheuem Blick zum Nachbartisch allenfalls. Man ist schick und hübsch und reserviert. In der mittleren Zone ein Bartresen, und dahinter der wahrscheinlich schönste Teil, eine Art Lounge mit orange-gelb-braunen Pop-Tapeten, Sixties-Lampen und niedrigen Sofatischen, auf denen Style ausliegt. Ein Ort zum Plaudern, Kennenlernen, Entspannen.

Astoria Lounge Bar

Ein paar Ecken weiter der nächste Ort mit Potenzial zum Kult: Das Euro Youth Hostel mit der Astoria Lounge Bar in der Senefelder Straße 5. Ein Bartresen um eine zentrale Säule, alte Kronleuchter, hohe Decken, dunkles Holz, davor eine Art Lounge mit Korbstühlen. Alles unperfekt, ein wenig abgeschabt, aber mit Charme. So versteckt die Astoria Lounge Bar ist, so deutlich stellt sich das Café Schiller zur Schau. Gleich in der Schillerstraße 3, neben dem "Atlantic City"-Sexkino-Palast, bietet es Sport bis zum Abwinken Devotionalien an den Wänden zeugen vom Sportsgeist, wie ihn Hans Fretz, mit 52 noch deutscher Meister im Catchen, verkörperte, der das Lokal bis zu seinem plötzlichen Tod führte. Da hängen Siegerkränze, Fußballschuhe und ein WM-Gürtel von Muhammad Ali. Mike Tyson war sogar persönlich da.

Gap

Schon in der Szene angekommen ist Gap in der Goethestraße. Hier trifft sich unter blauem Neonlicht ein eher intellektuelles Volk, von dem man sich vor allem fragt, wo es in dieser kulturverlassenen Gegend wohl herkommen mag. Der Laden neben einer islamischen Metzgerei wirkt - höflich ausgedrückt - eher improvisiert, von der selbst genagelten Holzdecke über die unverputzte Ziegelsteinsäule bis zu den minimalistischen Toiletten im Anbau. Die Atmosphäre ist inspirierend und schräg bis schrill. Im Gegenüber könnte sich ein Genie verbergen, und Autoren und Dichter lieben den Laden, in dem immer wieder Multi-Kultur-Events stattfinden.

Türkisch: Kandil, Sultan, Hilal

Wer es echt und anders haben will, muss sich im Bahnhofsviertel auf den Weg zu anderen Kulturen machen. Das fällt nicht schwer, an jeder Ecke gibt es fremde Namen, fremde Sprachen, fremde Speisekarten, fremde Gerüche. Die Ethnokneipen und -restaurants des Bahnhofsviertels wenden sich an die eigenen Landsleute, nicht an Touristenpublikum. Das ist gut für die Preise und gut für die Küche, weil die Köche gar nicht erst auf die Idee kommen, sich mitteleuropäischen Geschmacksusancen anzupassen. Wo türkisch draufsteht, ist auch türkisch drin. So kann man etwa im Kandil (Landwehrstraße 8) gut und preiswert essen. Das Familien-Schnellrestaurant ist groß, hell, sauber und nur spärlich mit osmanischem Allerlei geschmückt.

Restaurants wie das Kandil gibt es mehrere in diesem Viertel. Das Sultan in der Schwanthalerstraße 43 oder das Hilal (Landwehrstraße 41) genießen einen ähnlich guten Ruf. Wer Türkisches mag, kommt um Ruhi Cavusoglu nicht herum. Er gilt als der "Pate" des Viertels - im guten Sinne. Einst Schneider, hat er sich Stück um Stück nach oben gearbeitet. Heute gehören ihm Cafés und Gemüseläden, Döner-Stuben und Computer-Shops. Zur Welt des Bahnhofsviertels gehören natürlich auch Telefon-Shops für billige Heimattelefonate, Spielhöllen und auch heute noch sogenannte Cabarets (Erotik- Bars), für diejenigen, die es darauf anlegen, dass man ihnen das Geld aus der Tasche zieht.

Ha Long

Wer's gepflegt scharf haben will, geht ein paar Schritte übers Bahnhofsviertel hinaus, die Goethestraße entlang, vorbei am Café am Beethovenplatz (als Konzertcafé Mariandl all denen ein Begriff, die Klassik live in Altwiener Ambiente mögen) bis zum Haus Nr. 68. Da lockt Scharfes im Kellergewölbe. Ha Long heißt das vietnamesische Restaurant, das die Fernsehmoderatorin Minh Khai hier eröffnet hat. Angenehm sparsam asiatisch dekoriert, mit einer erfreulich überschaubaren Speisekarte, wird das Restaurant trotz hoher Preise viel gelobt. Der eigene Eindruck war etwas zwiespältig, das Essen ordentlich (zum Beispiel Ga Kho man, Hähnchenkeule in karamelisierter Sauce nach vietnamesischer Art, 12,80 Euro), die in rote Seide gewandete Bedienung innerlich schon im Feierabend.

Trattoria La Fiorentina

Das würde Karlheinz nie passieren. Der rotblonde gute Geist der Trattoria La Fiorentina (Goethestraße 41) mit dem Knopf im Ohr hat zwar auch mal seine grantige Viertelstunde, ist aber ansonsten ein Charmeur von hohen Graden. Und das Essen ist prima. Die Vongole veraci sind so saftig, dass man gar nicht genug bekommt. La Fiorentina ist und bleibt auch fast 20 Jahre nach dem ersten Besuch unser Lieblingsitaliener. Immer hat man der Versuchung widerstanden, schick zu werden, die Karte leserlich zu gestalten, die Preise unangemessen zu erhöhen oder den Gästen nach dem Mund zu reden. Noch immer gibt es Speisen, die man sonst nicht bekommt, weil sie nicht ins Bild deutscher Gäste von der italienischen Küche passen. Noch immer gibt es viel zu wenig Platz, und noch immer meckert Karlheinz, wenn die Gäste nicht bestellen, was er für richtig hält.

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