Ausstellung:Der Säbel der Gemütlichkeit

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Einsame Menschen mit Wiesn-Herz, zerbrochene Bierkrüge, Geisterbahn-Knochenmänner. Volker Derlath zeigt seine etwas anderen Fotos vom Oktoberfest im Stadtmuseum.

Von Jochen Temsch

Kürzlich sagte Fremdenverkehrschefin Gabriele Weishäupl im SZ-Interview, München werde im internationalen Tourismuswettbewerb "den schweren Säbel der Gemütlichkeit nicht aus der Hand" geben. Gleichzeitig aber gehe es bei der Vermarktung der Stadt um die "Diversifizierung eines gut eingeführten Produkts".

So gesehen müsste Weishäupl eine Ausstellung gut gefallen, die heute im Stadtmuseum eröffnet wird: "Oktoberfest Kabinett" mit Fotos von Volker Derlath und Sammlungsstücken der Schaustellerei.

Nämlich steht in einer Ecke dieser Schau ein Geisterbahn-Knochenmann, der einen schweren Säbel schon deswegen nicht aus der Hand gibt, weil er damit gemütlich einen Schädel durchsticht.

Des weiteren sind rund 60 Schwarzweiß-Fotografien zu sehen, die das bunte Bild des größten Volksfestes der Welt dadurch diversifizieren, dass sie ein Panoptikum des Bürgerlichen im Schatten der Neonlichter zeigen.

Oktoberfest als Lebensbühne

Oder, wie es der Fotograf selbst ausdrückt: "Ich betrachte das Oktoberfest als eine Lebensbühne, auf der ein international besetztes Ensemble sein Bestes gibt." Und das meint Derlath ernst, durchaus auch in einem lebensbejahenden Sinn, weil die heile Welt aus seiner Sicht sowieso für niemanden in Ordnung ist.

Hinterm Amüsierbetrieb, in der kollektiven Verzückung des verbindenden Bierrauschs kommt tief Menschliches zum Vorschein - die Wiesn als Fest, das an der Realität rührt, am Wesentlichen der Existenz.

Glückliche, Einsame, Versehrte, Blutende, Verzweifelte und Verliebte betreten die Lebensbühne. Gleich am Eingang der Ausstellung empfängt den Betrachter eine Serie von Wiesn-Besuchern mit Teufelshorn-Souvenirs auf dem Kopf: arme Teufel allesamt.

Paare, Situationen und hölzerne Schaubudenfiguren hängen in - auch humorvollen - Beziehungen zueinander. Viele Motive sind allegorisch. Eine Frau hält einen platten Ball: Die Luft ist raus. Ein zersplitterter Krug, eine bandagierte Hand: Die Bedienung geht so lange zum Gast, bis er bricht.

Vorbilder aus dem 16. Jahrhundert

Pieter Bruegels sprichworthafte Sittenbilder aus dem 16. und Bierkeller-Stiche aus dem 18. Jahrhundert bezeichnet Derlath als Vorbilder seiner Kunst. Heute wie vor 300 Jahren sieht es im Grunde gleich aus, wenn Menschen gemeinsam zechen.

Und weil er Menschen-Fotograf ist, kein Chronist der Zeit, sieht man nur an Kleidung und Frisuren der Feiernden, dass Derlaths Aufnahmen in einem Zeitraum von 1987 bis heute entstanden sind - immer mit 50 Millimeter-Objektiv, Aufsteckblitz und gleicher Entwicklungstechnik.

Derlath - Jahrgang 1960, Straßen- und Theaterfotograf, Bildjournalist unter anderem auch für die SZ - stiehlt seine Abbilder nie heimlich. Er arbeitet offen, für alle erkennbar, und kommt dabei auch leicht ins Gespräch. So stellt er sich nicht über den Menschenauflauf, sondern bleibt stets Teil davon, als einer unter vielen.

In seiner Ausstellung kommen immer wieder Herz-Symbole vor und Geisterbahn-Gerippe als Gleichnis für das drohende Ende: Memento-mori-Ensembles, die an das Leben gemahnen. Mit einer großen Würde.

(Bis 29. Mai 2005, Vernissage Donnerstag, 19 Uhr)

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