Außenansicht:Eine Reise, die gut für das Land sein kann

Lesezeit: 4 min

Mit dem Besuch von Benedikt XVI. werden Glaube und Religion wieder ein Thema für Deutschland.

Katrin Göring-Eckardt

Der Papstbesuch in Bayern ist mir ein bisschen viel Event, ein bisschen viel Brimborium, als ob es sich um eine Fortsetzung der WM handeln würde. Ob der Freisinger Domhof neuen Kies braucht und wie angemessen riesige Werbebanner sind, sei dahingestellt. Trotzdem kann ich mich freuen, wenn einem Christen so viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, das geschieht schließlich nicht so oft.

Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90 / Die Grünen (Foto: Foto: dpa)

Die angespannte Situation im Nahen Osten beunruhigt viele Menschen, und bestimmt in diesen Tagen. Papst Benedikt XVI. hat sich während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah in seinem Friedensappell an beide Seiten gerichtet und zum sofortigen Waffenstillstand aufgerufen. Über den Besuch eines Papstes, der deutlich für Frieden und Gerechtigkeit eintritt, werden sich die Friedensbewegten freuen, egal welcher Weltanschauung.

Das ändert jedoch für mich als evangelische Frau und vielleicht wegen meiner Herkunft aus dem Osten Deutschlands nichts an meiner Distanz gegenüber manchem in der katholischen Kirche. Ich bin froh, dass es in meiner Kirche Pfarrerinnen und Bischöfinnen gibt. Die katholische Sexualmoral ist mir fremd, und ich bin bei der Beurteilung von Lebenspartnerschaften Homosexueller sehr anderer Meinung als Papst Benedikt XVI.

Anderer Meinung aus einer christlichen Grundhaltung

Und das bin ich aus meiner christlichen Grundhaltung heraus. Ich gehöre auch nicht zu jenen Protestantinnen und Protestanten, die heimlich und leise bedauern, dass es keinen evangelischen Papst gibt, der für den Weltprotestantismus steht und die Aufmerksamkeit der Massen wie der Medien auf sich zieht. Ich deute den Satz "Wir sind Papst" als gut evangelische Aussage über das allgemeine Priestertum der Gläubigen.

Zugleich kann ich die Unterschiede zwischen mir und den offiziellen katholischen Glaubensauffassungen natürlich gelassener sehen als vielleicht manche katholische Schwestern und Brüder, die früher mit dem Glaubenswächter Joseph Ratzinger haderten und die nun über Papst Benedikt staunen. Ich stehe dem Besuch des Papstes in München und Regensburg, Altötting, Marktl und Freising übrigens auch deswegen positiv gegenüber, weil ich beobachte, dass der Glaube damit ein Thema in ganz Deutschland wird. Katholiken und Protestanten stehen da gar nicht in Konkurrenz zueinander.

Es ist gut für alle Christen im Land, wenn der Papst kommt, Gottesdienst feiert, predigt, und Zeichen des christlichen Glaubens setzt, weil er von Gott redet und von dem Grund, der die Christen trägt, egal, ob ihre Kirchen reich sind oder arm, groß oder klein, die große Mehrheit oder eine kleine Minderheit vereinen. Darum kann diese Reise auch gut für das ganze Land sein. Wir leben in unruhigen Zeiten, in Zeiten der Verunsicherung und Beschleunigung, der zunehmend ungleichen Verteilung von Wohlstand und Bildung.

Der Staat steht vor immensen Herausforderungen und wird dabei nicht selten als schwach empfunden; Bürgerinnen und Bürger fühlen sich zu Zuschauern degradiert, zu Objekten von Prozessen, die sie weder steuern und manchmal nicht einmal verstehen können. Vielleicht orientieren sich manche deswegen zunehmend am eigenen Vorteil und am Nächstliegenden. Sie fragen: Was nützt dies mir? Was bringt mir das? - und nicht: Was bedeutet das für andere? Was wäre wichtig für die Gemeinschaft?

Die Ressourcen der Demokratie und der Zivilgesellschaft scheinen zu schwinden; umso wichtiger ist es zu fragen, wo diese Ressourcen noch vorhanden sind.

Glaube, Vernunft und Moderne gehören zusammen

Und trotz aller Säkularisierung und Individualisierung, trotz aller Traditionsabbrüche: In den christlichen Kirchen lagert einer der Vorräte, aus dem unser Gemeinwesen lebt. Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass sich Religion und Moderne ausschließen würden - das steht nicht mehr zur Debatte, und hier bin ich ganz nah bei Papst Benedikt, für den Glaube, Vernunft und Moderne ebenfalls zusammengehören.

Es zeigt sich, dass der christliche Glaube ein wichtiges Motiv ist, warum sich Menschen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen, statt nur an sich selbst zu denken. Und in Zeiten terroristischer Bedrohung und dafür instrumentalisierter Religion kommt einem ernsthaften Dialog zwischen den Glaubensgemeinschaften wesentliche Bedeutung zu.

Ich würde begrüßen, wenn der Papstbesuch solche Debatten anstoßen könnte. Aber dies ginge dann sehr viel tiefer, als beim herannahenden Papamobil Jubel aufbranden zu lassen. Genauso wenig wie jubelnde Massen zuallererst Ausdruck tiefer Frömmigkeit sind, auch nicht in Bayern, genauso wenig führt die temporäre Begeisterung automatisch zu mehr Engagement für Frieden und Gerechtigkeit, zu mehr Dialog, zu mehr Nähe zur Kirche.

Der Papstbesuch ist kein Selbstläufer, die Kirchen sind gefragt, die neue religiöse Sensibilität gerade der jungen Menschen aufzunehmen, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen und Antworten auf die Fragen der Zeit zu suchen. Dabei sei ganz deutlich gesagt: Mit dem unkritischen Beschwören einer christlichen Kultur in Deutschland oder der Forderung von morgendlichen Gebeten in staatlichen Schulen, mit der der bayerische Ministerpräsident nun wieder auftritt, kommen wir nicht weiter.

Zu Recht sind Staat und Kirche in Deutschland getrennt, sind Politik und Glaube zwei verschiedene Bereiche, existiert in Deutschland eine plurale Gesellschaft. Den Pluralismus als Herausforderung und Bereicherung zu begreifen und den eigenen Standpunkt auf dem Markt der Ideen, Vorstellungen und Ansichten einzubringen, gehört dazu. Es gilt, die frohe Botschaft unerschrocken zur Sprache zu bringen.

Christen in Ostdeutschland

Die Reise des bayerischen Papstes führt nur durch Bayern. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Benedikt XVI. die Orte seiner Kindheit und Jugend besuchen möchte, und wünsche ihm, dass eine gewisse Privatsphäre auch möglich sein wird. Ich hoffe allerdings, dass der Papst auch bald einmal über Bayern hinaus reist. In Ostdeutschland zum Beispiel leben Christen immer noch aus den Erfahrungen der DDR, wo sie marginalisiert wurden.

Die Repression ist vorbei, doch Christinnen und Christen sind in der Minderheit geblieben. Nichts ist mehr selbstverständlich an seinem Christentum; dass eine die Bibel liest, einer seine Kinder das Beten lehrt und in die Kirche geht, wird hier mit Verwunderung, im besten Fall neugierig registriert. Wer sich für dieses Christentum entscheidet, muss das irgendwann sehr bewusst tun. Es ist sehr anders als jenes, welches zum Beispiel in Altötting gelebt wird. Aber womöglich ist es das Christentum der Zukunft, etwas bescheidener, weiblicher, ökumenischer auch.

© SZ vom 11. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: